Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

DOI chapter:
Nr. 101-124 (1. Mai 1902 - 31. Mai 1902)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.23860#0851

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Montag, 5. Mai 1902. ^kstes Blatt. 44. Jahrgana. — 104.

E rschcint täglich, SonntagS ciuLgenovunen. Preis uiit Fauiilienblättern monatlich 50 Psg. in's Haus gebracht, bei dcr Expedition nnd dcn Zweigstellcn abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be

zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.

A nzcigenpreis: LO Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahmc von Anzeigen an besiimmt
vorgeschriebcnen Tagen wird kcine Perantwortlichkcit übernommcn. — Anschlag der Iuserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den stüdl. Anschlagstcllen. Fernsprech-Anschluß Nr. 82

An mein teures badisches Wolk!

Dcr erhebcnde Rückblick auf die herrlichen Tage Meines 50jährigen Negierungsjubiläums erfülltZMein Herz mit tiefer daukbarcr Bewegung und es ist Mir ein
inuiges Bedürfnis, dieses Gefühl Meinem ganzeu Volke kundzugeben.

Jst cs doch eine gemeinsame Erinuerung, die Wir gefeiert haben, die Erinnerung daran, daß es Fürst und Lolk durch Gottes Gnade vergönnt war, 50 Jahre
lang zusammen zu steheu iu Freudc und Leid und gemeinsam zu arbeiteu iu guteu und schwereu Tagen. Was Jch in dieser langeu Zeit iu Pflichterfüllung und treuem
Wolleu für Mein Volk uud Land zu thun vermochte, ist Mir reich vergolteu wordeu durch deu sichtbaren Segen, der auf Unserm Wirkeu geruht hat, vergolten aber
auch durch die Mir zu Teil gewordeue Treue und die Liebe Meiues teuereu Volkes.

Ein übcrreichcr Ausdruck dieser Treue uud Liebe wurde Mir während der festlich begangenen Jubelfeiertage iu einer Mich ebenso rühreuden wie ergreifenden
Weise entgegeugebracht, so daß Jch Meinen tiefen Dankgefühlen dafür nur ungeuügenden Ansdruck zu geben vermag. Gott allein sei die Ehre — denn nur im Aufblick

zu Jhm kanu ich es versuchen, Mein dankerfülltes Herz zu eröffnen, um Meineni theueren Volke kundzugeben, wie innig und aufrichtig Meine Dankbarkeit empfunden

ist für Alles, was Mir mit so großer Liebe und Treue dargeboten wurde.

Wenn Mir noch vergönnt sein solltej für Mein geliebtes Land thätig sein zu dürfen, so will Jch die letzteu Kräfte eines alten Lebens einsetzen, auf daß Treue

mit Treue und Liebe mit Liebe vergolten werde.

Karlsruhe, den 3. Mai 1902.

gez. Friedrich.

Auf Allerhöchsten Befehl Seiner Königlschen Hoheit des Großherzogs wird oic,e Ällerhöchste Ansprache hicrmit zur öffentlichen KenntniS g-brachr.

Karlsruhe, den 3. Ma! 1902. Dcr Großherzoglichc Staatnninister:

_ v. Brauer.

Wrof. Koldschmit als Krzieyer

Ter Aeanuheimor „Gen.-Anz." schreibt: Seit Hcrrn
Professor Goldschmit das Glück widerfahren ist, mit Hilfe
des Abgeordneten B a s s e r m a n n endlich, endlich in
die badische Kammer gewählt zu werden, fühlt er sich
mit Vorliebe berusen, an Aeußerungen Bassermanns
Kritik zu üben. Fii der gestrigen Sitzung der Zweiten
Kammer hatte Abg. Fendrich — nach dem Bericht des
„Volksfreund" — gesagt, es sei „erfreulich, datz die
Anschanung von der Bevorzugung dar Schulmänner
gegenüber Juristen in der Schulverwaltung auch von
Juristen hier geteilt wird mit Hinsicht auf die Neigung
zu büreaukratischem Geist. Reichstagsabgeordneter
Bassermann kennzeichnete in seiner Karlsruher Rede die
Notwendigkeit, einen kräftigeren Luftzug durch die Stu-
ben des Ortsschulrates wehen zu lassen. Diese Meinung
eines gewiß nicht als Ouerulant verdächtigen Herrn,
lasse schließen, daß etwas Wahres an der Sache sein
muß." Darauf erwiderte in der gestrigen Sitzung. der
Abgeordnete Goldschmit — nach dem Bericht der
„Badischen Landeszeitung":

Es war natürlich vorauszusehen, datz der Herr Abgcordnete
Fcndrich die Aeußerungen des Reichstagsabgeordnetcn Basscr-
rnann hier verwcrten würde. Jch kann nur beklagen, datz auf
Herrn Fendrich bloß dicscr kleine Teil der Rcde Eindruck
gemacht hat. Aber was beweist er mit dem Citat, das er
übrigens unvollständig anführte? Meines Erachtens doch uur,
daß auch cincm so namhaften Politiker und gewandten Parla-
mentarier, wic Herr Bassermann es ist, in einer sonst meister-
haften Rede cine Aeußcrung cntschlüpfen kann, die in dieser
Form besser nicht gcsagt wordcn wäre. Wenn wir auch un-
fercm Partcifreundc Bassermann für die Unterstützung von
damals zu grohem Danke verpflichtet sind, so kann mich dieses
doch nicht abhaltcn, zu gestehen, daß ich jenc Aeußerung sür
eine Entgleisung ansah, und mit mir gar manche Hörer.
Uebrigens hatte der Redner hinzugefügt, was Herr Fendrich
verschweigt, „damit nnser Schulwesen nicht rückständig bleibe".
Bassermann sieht es alsa sekbst nicht so an, es ist es auch
nicht.

Boshafte Leiite köimten versucht Mu, weitcr zu
geheu uud zu behciupten, die ganze Rede Bassermanns
zu Guusten der Goldschmitscheu Kandidatur wäre besser
ungesagt geblieben. Wir nnsererseits wollen nns be-
gnügen, festzustellen, daß Abgeordneter Binz, der en-
gere Kollege des Herrn Goldschmit, dessen Ansicht n i ch t
teilt. Er beklagt es, daß die Bescheide des Oberschulrats
oft lange aus sich warten lassen. „Bassermann sei viel-
leicht in seinem Ausdrnck zu weit gegangen, aber seinen
Aeußernng sehle doch stcherlich nicht jede reale Unter-
lage. Dazu ist Bassermann eiu vie.I zu ernster Politiker,
auch muß man bedenkeu, daß eine große Dersammlung
ernster Politischer Männer dcn Worten bransenden Bei-
sall gespendet hat. Es müsse demnach etwas an der
Sache sein, wenn sich die öffentliche Meinung so aus-
spricht nnd Remeduff verlangt." Unser BeP'icht über
sene Versammlung dom 3. Oktober giebt dic fragliche
Stelle wie folgt wieder: „Es sei sehr wünschenswert, daß
in die verstaubten Kammern des badischen Oberschulrats
einmal ein recht kräftiger Luftzug getrageu werde."
(Stürmischer Beisall.) Den werden auch nicht wenige
Wäbler des Herrn Professor Goldschmit gespendet haben.
Wenn Herr Goldschmit selbst der Meinung ist, der ehr-
würdige Aktenstaub in den Zellen des Obcrschulrates
sei sorgfältig zn konscrvieren, so kann ihm das natür-
lich niemand verwehren. Mit etwas mehr Urbanität
dürfte er seiner Meinimg gegenüber politischen Freun-
den, die in der Partei eine nicht minder hervorragende
Stellung einnehmen als Herr Goldschmit doch immerhin
Ansdruck geben."

Deutsches Reich.

— Die Reichstagsersatzwahl im Wahlkreise Celle-

Gishorn hat, wie gemeldet, zum Siege des national-
liberalen Kandidaten Wehl geführt. Zwar liegt die
amtliche Feststellung der Abstimmung noch nicht vor, doch
läßt sich vorläufig eine Mehrheit von etwa 800 Stimmen
für den Nationalliberalen konstatieren. Die Sozial-
demokraten haben, in ihrer Mehrzahl für den
welfischen Kandidaten gestimmt. — Mit dem neu ge-
wählten Abg. Wehl ist die Mitgliederzahl der national-
liberalen Fraktion auf 52 gestiegen.

— Die naiionalliberake Fraktion bniet in ihrer
Fraktionssitzung vom 3. d. über die parlamentarische Be-
handlung der Vorlagen zur Brüsseler ZuÜerkonvention
und zum Zucker gesetz und beschloß, beide Vorlagen seien
a» eine Kommisston zu überweisen. Geschieht düs so muß
der Reichstag bis über Pfingsten hinaus zusammen bleiben.

Deutscher Weichstag.

Berlin, 3. Mai.

Präsident Gras Ballestrem erbittet und erhält
die Erniächtigung, aus Antaß des Todes des P r i n-
zen Georg von Prenßen dem Kaiser dnrch die Vize-
präsidenten und ihn die Beileidsempfindnngeii des
Reichstags auszusprecheu.

Bei der dritten Bcraiung des Gcsetzentwurfcs bctreffcnd
den fliegenden Gerichtsstand der Presse teilte auf elne Anfrage
in der Generaldcvatte Geheimrat Dr. Tischendorf mit,
datz auch nach Anffasning der verbündeten Regierungen in dcm
Falle, wo der Slaatsanwalt, nachdem zuerst Privatklage er-
hoben ist, im offentlichen Jnkeresse Anklagc erhebt, mir Ver-
folgung am Orte des Erschcincus der betreffenden Druckschrift
erfolgen kann.

Der Entwurf wird darauf gegen die Stimmen der Sozial-
demokraten cmgenommen.

Der Servistarif wird nach kurzer Beratung in
dritter Lesnng in der Fassnng dcr zwcitcn Lcsung angenom-
mcn.

Der Gcsctzentwurf betrcffend dic kaiscrlichc S ch u tz-
truppe in dcn afrikanischen Schutzgcbietcn und die Wchr-
pflicht daselbst wird in erster und zweiter Lesung angenommen.

Es wird sodann die zweite Lesung des Toleranzan-
trages bei Paragraph 2 fortgesetzt, der vorschreibt: Für
die Bestimmung des religivsen Bekenntnisses, in dem das Kind
erzogen wird, ist die Vereinbarung der Eltern maßgebend.
Paragraph 8 a sieht vor, datz in Ermanglung ciner Vereinba-
rung dic Vorschriften dcs bürgerlichcn Gesetzbuches maßgebend
sind.

Die Paragraphen 2 und 2 a lverden in der Kommissions-
beratung angenommen.

Ein ncu von der Kommission cingefügter Paragraph 2 b
will, daß die Kinder gegen den Willcn der Erziehungsberech-
tigten nicht zur Tcilnahme am Religionsnnterricht oder dem
Gottcsdienst ciner andcren Religionsgenosscnschaft angehalten
werden, als es der Bcstimmnng der Paragraphen 2 und 2 a
entspricht. Hiezu liegen Abänderungsanträge vor.

Abg. v. Chrzanowskh begründet unter hcftigen
Ausfällen einen Antrag der Polen, der mit der Entscheidung
des religiösen Unterrichts auch die Entscheidung über die
Mnltersprache des Kindes in Beziehung brlngen will.

Abg. Dr. Oertel (kons.) bekämpft den Antrag der
Polen.

Abg. Knncrt (Soz.) bestreitct dcm Abgcordneten Oertel
gegenüber, daß die Religion allein dic Grundlagc der Sitt-
lichkeit sei.

Sodarm wird cin Vertagungsantrag angcnommen.

Nächste Sitzung Montag 1 Uhr: Diätenvorlagc, Schutz-
truppengesetz. __

Baden.

L.N. Karlsruhe, 4. Mai. Der deutsche Kron>
prinz traf heute Vormittag 8.46 zu kurzem Besuche hier
cin und wurde am Bahnhofe vom Prinzen Max und dcm
preußischen Gesandten von Eisendechcr empfangen. Nach
mehrstündigem Aufenthalt bei den Großh. Herrschaften

reiste derselbe in Begleitung des Prinzen Max um 12.30
nach Kaltenbronn zur Auerhahnjagd.

Madischer Landtag.

110. K a r l s r u h e , 3. Mai. (76. Sitzimg der
Zweiten Kaminer.) Präsident Gönner erösfnet die
Sitzung um i/^IO llhr.

Die allgemeine Beratung über das M i t t e l s ch u l-
wesen wird sortgesetzt.

Abg. Muser (Dem.) kommt auf die 'Ausführungcn
des Abgeordneten Binz znrück, der anscheinend genaue Kennt-
nis i'lber gewisse Vorgänge innerhalb der Zentrumspartei habe.
Es sci unverkennbar, daß der Ausfall der Karlsruher Wahl
der thätigen Mithilfc des Zentrums zu verdanken ist. (Abg.
Goldschmit: Das ist nicht wahrl) Nun habe aber Frühaus
zngcstandcn, daß sich die Koalition dcr Freisinnigen und
Nationallibcralen gegen das Zentrum gerichlet hat. Wenn
das richtig ist, dann hätten zum mindcsten die Zentrums-
wähler vor dcr Wahl davon in Kenntnis gesetzt werden müssen;
denn eine größere Blamage wärc für sie gar nicht denkbar, als
lvenn sie für eineKoalition eingetreten wären, die sich gegcn das
Zcntrum richtetc. Dic Acnßerung Bassermanns bcwcisc, datz
entwedcr etwas nicht in Ordnnng ist tm Oberschulrat oder
datz der Redner übcr dic Schnur gehauen hat, um die Lehrer
für seine Partei zu gewinnen. Goldschmit habe die Aeußernng
clne Entgleisung genannt. (Abg. Goldschmit: Nur in dcr
Forml — Rufe: So, so! Hciterkeit.)

Präsident Gönner bitlet dringend, Abschweifungen und
llntcrbrcchungen zu nnterlasscn. (Bravol)

Abg. Muser (fortfahrcnd): Das Beispicl war also
gegeben, der Oberschulrat sollte daher die Pretzerzeugnisse
der Lehrer weniger strcng beurteilen. Redner wünscht sodann
bessere Ausstattnng der Realmittelschulen mit ncnen Lehr-
büchern und protcstiert lebhaft gegen die Ausführungen Köh-
lers übcr das FrauensMdium. Der Oberschulrat sei wegen
scincr Haltung in diescr Frage zu beglückwünschen.

Abg. Hanser (natlib.) weist auf den grotzen Nutzcn
eincr guten Schulbildung für alle Bernfszwcige hin. Wo
Mittclschulcn fehlcn, gehc die Bevölkerung wirtschaftlich und
intcllcktuell znrück. Jn Baden cxistiercn immer noch zwölf
Amtsbczirke, die gar kcinc Mittelschule habcn. Jm benach-
barten Württemberg finden sich neben 50 höheren Lehranstalten
etwa 130 Latein- und Realschulen nbers ganze Land zer-
strent. Daranf sei zwcifcllos dcr gewerblichc Aufschwung
einzclner Städte, wie Schramberg, Schwcnningcn, Tuttlingen,
Ebingen, Balingen znrückzuführen, die sirotzdem sie von der
Natur nicht begünstigt und abseits dcr großen Verkehrsstratze
gclegen sind, vom Kleingewcrbc zur Grotzindustric übergcgan-
gen sind.- Die Regierung sollte dahcr dic Gemeinden, welche
Mittclschnlen ins Leben rufen wollen, kräftig nnterstützcn. Man
soNc nch nicht von dcm Grundsatze leiten lasscn: Wo nichts
ist, kommt nichts hin, sondern den Satz bcherzigen: Was nicht
ist, kann werdcn. (Lebhafter Bcifall.)

Abg. Rohrhurst (natlib.) wnnscht cinhcitlichc Rcge-
lnng dcr skhristlichen Arbeiten und der Unterrichtszeit an allen
MiÜclschulen nnd spricht sich gegen die Vermehrung der
Mathematikstiinden aus, wcil die Stundenzahl (31) in Baden
ohnchin schon die höchste sei. Dcn Klagen der Mathematikcr
nnd Lehrer der ncueren Geschichte über zu geringc Stunden-
zahl könnte man durch Einschränkung des Unterrichts in dcr
Grammatik nnd in der Geschichte des Altertums abhclfen.
Die Wünsche der Obcrrealschulcn nach bessercn Schulbüchern
sollten cndlich die gebührende Bcrücksichtigung findcn. Die
öffentlichcn Prüfnngen werden gar nicht mehr besucht; cs kom-
men höchstens in die nnteren Klassen cinige Tanten, die sich
frcnen, wenn cin Scxtancr cin Gedicht von Gerok dcklamiert;
in den oberen Klassen siiid bei den Prüsnngen in der Regcl
nnr Lehrer nnd Schüler anwesend nnd beidc märcn herzlich
froh, wcnn cndlich der nlte Zopf abgeschnitten würde. Die
Prüfuiigen gleichen dem Parademarsch, dcr vielfach zn tcuer
erkanft wird, auf Kostcn des Untcrrichts. Das badische
Mittclschnlwcsen sci mnsterhaft organisiert. Nnr dic Besorg-
nis, daß ein Rnckgang eiiitretcn könntc, hat da und dort
ein Wort des Tadels hervorgcrufen. Die Erklärung des
Obcrschulratsdirektors habe diesc Besorgnis zerstreut. Wenn
der Oberschnlrat am 12. Angust dieses Jahres semen vierzig-
sten Gebnrtstag begehe, so wcrdc man ihm sicherlich das
 
Annotationen