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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 101-124 (1. Mai 1902 - 31. Mai 1902)
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DieMüg, 6. Mai 1902._Jweites Blatt. 44. Jahrgallg. — Ar. 105.

Erschcint täglich, Sonntags ausgenommen. — Prcis mit Familienblättern monatlich SO Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-

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Dorlage des Stadtrats Keidelöerg an den
vereHrttchen Mürgerausschutz.

Die neue Bahnhofanlage in Heidelberg
betreffend.

Unterm 24. Juli vorigen Jahrcs erklärte sich dcr Bürger-
ausschutz einstimmig damit einverstanden, datz nach Matzgabe
der Vorschläge, welche in einem seitcns der Herren Oberbaurat
R. Baumeistcr von Karlsruhe, Gencraldirektionsrat Jäger
von Augsburg und Baurat Iteuffer von Stuttgart erstatteten
Gutachten vom 28. Juni vorigen Jahres hinfichtlich der neuen
Bahnhofanlage in Heidelberg gemacht worden waren, mit der
Grotzherzoglichen Regierung Verhandlungen angeknüpft wür-
den. Es ging dieses Gutachten, welches wir unterm 2. Juli
vorigen Jahres der Gemeindevertretung in Vorlage gebracht
hatten, im Wesentlichen dahin, datz der neue Bahnhof nicht
an der von der Generaldirektion der Grotzherzoglichen Staats-
eisenbahncn in Aussicht genommenen Stelle, welche von dem
jetzigen Stationsgebäude etwa 1100 Meter in westlicher Rich-
tung entfernt ist, sondern noch etwa 130 Meter weiter ivestlich
anzulegen, gleichzeitig aber die neue Zugslinie der Odenwald-
bahn nicht, wie die Gcneraldirektion vorgeschlagen hatte, auf
der Nordseite, sondern auf der Südseite des Friedhofes in
dcn Gaisberg einzuführen sei.

Wir legten den betreffcnden Bcschluh des Bürgerausfchusses
unterm 1. August vor. Jahres der Generaldirektion der Groh-
herzoglichen Staatseisenbahnen mit der Bitte vor, nach Matz-
gabe dieser Vorschläge das Projekt für den neuen Bahnhof
gestalten zu wollen. Wir fügten unser Planmaterial bei und
bemerkten, datz die Stadtgemeindc der in den Plänen rot ban-
diertcn Linie*), wie solche die Generaldirektion mit Erlatz
vom 4. Mai vorigcn Jahres vorgeschlagen hatte, im Jnteresse
des Rohrbacher Villenvicrtels und der Erhaltung des land-
fchaftlichcn Rcizes des Friedhofthales nicht zustimmen könne.
Ebensowcnig sei die Stadt in der Lage, sich mit der in'
den Pläncn mit gclber Farbe eingetragcnen Linie einverstan-
den zu erklären, welchc dcn Sachverständigen seitens der
Generaldirektion an und für fich als möglich bezeichnet worden
war und bei deren Festhaltung der neue Personenbahnhof
vom jetzigen Stationsgebäude etwa 1380 Meter weit in west-
licher Richtung abgerückl, der Tunneleingang für die Oden-
waldbahn abcr auf die Südseite des Friedhofes verlegt wor-
den wäre. Dagegen scheine uns in der von unseren Sach-
verstänbigen in Vorschlag gebrachten, in den Plänen blau
eingezeichneten Linie ein sachgemätzer Ausgleich der Jnterefsen
der Eisenbahnverwaltung wie der Stadt zu liegen.

Seitens der Generaldirektion der Grotzherzoglichen Staats-
eiscnbahnen wurde die stadträtliche Vorlage vom 1. August
vorigen Jahrcs mit folgendem, am 21. März dieses Jahres
dahier cingelaufenen Erlatz vom 20. glcichen Monats Num-
mer 29 003 O beantwortet:

„Den Vorfchlag der Sachvcrständigen-Kommission, das
Projekt dahin zu ändern, dah die Odenwaldbahn weiter
hinausgerückt wird und der Tunncl südlich des Friedhofes
ausmündet, haben wir einer näheren Prüfung unterzogen,
da es uns von vornhcrein zweifelhaft erschicn, ob mit dieser
Linienführung eine Lagc des Bahnhofes nicht zu ent-
fernt von der Stadt, wie das Gutachten annimmt, itvch zu
vereinigen ist. Denn für die Lage des' Bahnhofes ist nicht
allcin die Linienführung der Odenwaldbahn matzgebend, son-
dern es ist dieselbc auch noch von anderen Verhältnisseit, von
dem Verlauf dcr Einmündungslinien von Kirchheim sowie

*) Jn dcm Plänchen, welches der stadträtlichen Vorlage
an den Bürgerausschuh vom 2. Juli v. I. beigegeben war, ist
die rote Bandierung aus Gründen, die mit dem technischen
Teile des Drucks zusammcnhängen, durch eine in schlvarzer -
Farbe ausgeführte ersetzt worden.

Dagcgen find die in obiger Vorlage weiter erwähnten z
blanen und gelbcn Linien in fraglichem Plänchcn in der That !
blau, bezw. gelb eingetragen.

Ler abgczweigten Gütcrlinie der Odenwaldbahn, welche beide
sich nicht im Niveau kreuzen dürfen, abhängig, die den Sach-
verständigen nicht im Einzelnen bekannt waren.

Die Ergebnisse unserer Untersuchungen sind in dcm an-
liegenden Uebersichtsplan niedcrgelegt. Es sind darin sowohl
für unser mit 1 bezeichnetes Projekt mit der Führung der
Bahn nördlich vom Friedhof, als auch für vier damit in Ver-
gleich zu ziehende Projekte 2 bis 6 mit Führung der Bahn auf
der Südseite des Friedhofes, die Richtungslinien der ein-
mündenden Bahnen, sowie die dabei möglichen Stellungen
des Bahnhofsgebäudes durch entsprechene verschiedenfarbige
Einzeichnungen kenntlich gemacht.

Das erste Projekt mit der Linienführung vor dem Fried-
hof ist im Uebersichtsplan rot cingezeichnet, das Aufnahms-
geüäude kommt dabei der Stadt am nächsten zu liegen.

Die anderen Projekte haben alle die Linienführung hinter
dem Friedhofe zur Grnndlage und unterscheiden sich vonein-
ander durch eine mehr oder weniger entferntc Lage des Auf-
nahmegebäudes von der Stadt, sowie auch in der Stellung
dessclben zur alten Spehrer Strahe, indcm bei zwei Projekten
die Lage in der Richtung dieser Strahen lvie beim ersten
Projekt eingehalten wurde, während bei deri andereu beiden
eine Verschiebung in nördlicher Richtung vorgenommen wurde.
Bei allen diesen Projekten wird der Tunnel unter dem Gais-
berg und dem Schlohberg erheblich länger, als beim Projekt
1. Die grötzere Länge beträgt im Mittel 800 Meter, was zu
eincr erheblichen Verteuerung der Ausführung Veranlassung
giebt.

Das Projekt 2, im Uebersichtsplan blau gestrichelt, ent-
spricht ungefähr dcm Projekte der Experten. Das Aufnahms-
gebaude bleibt in der Richtung der Speyrer Straße und ist nur
ctwa 130 Meter weiter von der Stadt als bei Projekt 1 ent-
fernt. Dasselbe kann aber für die Ausführung nicht em-
pfohlen werden, weil dabei die Bahnentwickelung zur Unter-
führung der Guterlinie der Odenwaldbahn unter der Haupt-
hahn soweit nach Süden rückt, datz auch noch die Station
Kirchheim mit in die Hochlegung einbezogen werden mutz, ab-
gesehen von sonst damit verbundenen mitzlichen Umständen,
tzchon der Kosten wegen nicht angängig erscheint.

Vielmehr wird unter der Voraussetzung der Berlegung der
Bahnlinie auf öie Südseitc des Friedhofs eine wciterc Hinaus-
schiebung des Aufnahmsgebäudcs nicht zu vermeiden sein, wie
dies in den Projekten 3, 4 und 5 znm Ausdruck kommt, die
sich in nachfolgenden Punkten unterscheiden:

Bei Projekt 8 sgelbe Linie) ist die Stellung des Aufnahms-
gebäudes an der Speyrer Stratze festgehalten. Dic weitere
Entfernung des Aufnahmsgebäudes von der Stadt gcgenüber
Projekt 1 beträgt 290 Meter.

Bei Projekt 4 und 6 ist von der Stellung des Aufnahmsge-
bäudes an der Speyrer Strahe Abstand genommcn nnd ein
Abrücken dcsselben in nördlicher Richtung von dieser Strahe
vorgesehen, so datz in diescm Falle eine andere Zufahrts-
stratze zum Bahnhof anzulegen wäre.

Die Verschiebung gegcnüber Projekt 1 beträgt bci Projckt
4 270 Meter, bci Projekt 5 160 Mctcr. Letzteres ist jedoch
nur dadurch ermöglicht worden, datz bezüglich der Gleisent-
wickelung und des Ramncs für die Absteligruppen wesentlich
ungünstigere Verhältnissc, als bci den übrigen Projekten zuge-
lassen wurden. Dadurch nur ist es möglich geworden, die Gleis-
cntwickelung in dcr Richtung nach Süden soweit zurückzuhalten,
datz in Kirchheim die bestchende Höhc wieder erreicht und eine
Einbeziehung dicscr Station in die Höherlegung beseitigt ist.

Von den drei lctztgcnannten Projckten (3, 4 und 5),

welchen die Fuhrung der Bahn um die Südseite des Friedhofes
zu Grunde liegt, kommt Projekt 8 (blaue Linie) dcm Experten-
projekt am nächsten, entspricht aber dcn Anforderungen dcs Be-

*s Es ist dies das ursprüngliche Projekt der General-
dircktion, wclches dcm Bürgerausschuh bercits im Juli v. I.
vorgclegen hat und in dem Plänchen, das unscrcr Drucksache
vom 2. Juli v. I. beigegeben war, schwarz eingezeichnet ist.

triebes am wenigsten, während Projekt 3 (gelbe Linie) ledig-
lich vom Standpunkte des Betricbes nicht zu beanstanden wäre.

Wie schon bcmerkt, ist aber bei allen diesen Projekten
dic Tunnellänge eine erhcblich grötzere, als bei Projekt 1, denn
währcnd dicselbe bei Projekt 1 2400 Meter heträgt, erhöht
sich dieselbe bei dcn anderen Projekten auf 2860 bis 2925
Meter.

Dadurch vermehren sich die Tunnelkosten sehr erheülich, da
nicht nur dic Mehrlänge am Tunnel in Rcchnung zu ziehen,
sondern auch dcr Grundpreis für die Längeneinheit des Tun-
ucls mit zunehmendcr Länge Höher zu greifen ist. Die Mehr-
kosten würdcn ctwa eine Million betragen. Dieselben mützten
ausschliehlich, um den Wünschen der Stadt zu entsprechen,
aufgewenbet ivcrdcn, da eine Ausführung nach Projekt 1 mit
dem kürzcrcn Tunnel den Jnteresscn der Eisenbahnverwaltung
vollständig entsprechen würde und die Jnteressen dcr Stadt
dabei auch noch vollständig gcwahrt wären, da alle Wege
unter' der hochliegenden Bahn anstandslos hindurch geführt
werden könnten.

Um die Mehrkosten zu bermeiden und den Wünschen
des Stadtrates doch möglichst cntgegen zu kommen, haben
wir nun noch einc andere Lösung versucht, die in dem Projekt
jekt 1 s niedcrgelegt ist, und bei der wie bei Projckt 1 möglichste
Nähe des Aufnahmegebäudes bei der Stadt und kürzeste
Tunnellänge gleichzeitig erreicht sind und eine Durchfchneidung
des Rohrbacher Baubezirkes durch eincn Damm ebenfalls ver-
mieden ist.

Dies ließ sich dadurch erreichen, datz an Stelle der allen
vorngenannten Projekten zu Grunde liegenden hochliegenden
Personenbahnhofes ein tiefliegender Bahnhof ange-
nommen wurde, das heißt eine Anlage, bei der der Bahnkörper
in das Gelände soweit eingeschnitten ist, datz die Straßenzüge
ohne wesentliche Erhöhung mittelst Brücken über densclbcn
überführt werden können, ivährend bei den bisherigen Projekten
dicsclben mittelst Durchlässen unterführt waren.

Auch der Zugang zu den Bahnsteigen würde hierbei an-
statt durch Bahnsteigtunnel durch Bahnsteigbrücken erzielt
werdcn, dic mit dem Boden des Aufnahmsgebäudes auf glei-
cher Höhe liegen würben.

Die Gesamtanordnung bei dem tieflicgenden Projekt stimmt
im Grundritz genau mit dcm Projckt 1 des hochliegenden
Bahnhofes überein; ein Unterschied besteht nur in den Höhen-
verhältnissen des Personenbahnhofes, die Höhcnlage des Güter-
bahnhofes bleibt unverändert.

Die Einschnittstiefe ist mit Rücksicht auf eine ungestörte
Ablenung des Nicderschlagswassers allerdings beschränkt, je-
doch lätzt sich nach den vorläufig gemachten Erhebungen noch
eine solche Tiefenlage crreichcn, bei der die Stratzenzüge mit
nur geringcn Ucberhöhungen über das jetzige Nivcau übcr die
Bahu übcrführt werden können. Die Einschnittsticfe beträgt
durchschnittlich 4,0 bis 4,5 Meter unter dem jetzigen Stratzen-
nivcau, so datz bei eincm Höhenunterschied an den Ueber-
führungen zwischen Stratze und Bahn von 6 Metcr sich noch
1,8 bis 2 Meter als nötige Aufhöhung der Stratzen an den
Ucbergangsstcllen über ihr jetziges Nivcau ergeben. Bei An-
wcndung mätziger Steigungen mit höchstens 1,5 Prozent sind
zur Ueberwindung dieser Höhenunterschiede nur kurze Rampen
erforderlich, die wedcr auf das Aussehen der Stratzenzüge»
noch auf den Vcrkehr von störendcm Einflutz sind.

Die Ausführung dieser Aenderungen im Stratzennibeau
bcgegnct auch insofern wohl keincn Schwierigkeitcn, als die
Stratzen in dem von der Bahn berührten Gebiet noch nicht
fertig gestellt beziehungsweise noch nicht bebaut sind.

Die im Gutachten crwähnte Beeinträchtigung des land-
schaftlichen Charakters der Friedhofgegcnd und des angrenzen-
den Villenviertels des Rohrbacher Stadtteiles infolge Durch-
querung mittelst eines Dämmes käme nicht mehr in Frage, da
an Stelle des Dammes ein Einschnitt treten würde, dcr im Ge-
samtbild bgs Stadtteiles fast verschwinden unb deshalb das
Aussehcn dcsselbcn nicht beeinträchtigcn würde.

Äei der Beschrünkung der Einschnittstiefe auf das ange-

Auf abschüssiger Vayn.

Roman von B. Corony.

(Fortsetzung.)

„Dir lvär's wohl am liebsten, ich stündc beständig am
Hcrd odcr am Waschfaß," erwiderte Gertrud mir cinem recht
böscn, unfreunülichen Blick. „Da hätte ich mich ja gleich als
Magd auf irgend einem Baucrnhof verdingen könnenl Dann
hätte ich wenigstens einen freien Sonntag gehabt. Du thust
ja geradc, als wcnn ich mir's zur besonderen Gnade schätzen
mützte, deine Frau gcwordeu zu sein. Nirgends führst du
mich hin, nirgends sieht man uns miteinander, gerade als
wenn's eine Schande wärc, sich mit mir zu zeigen."

„Du glaubst doch wohl selbst nicht, daß ich so denke. Mir
geht zu viel im Kopfe herum, als datz ich auf den Kirmessen
und in den Schänken lustig sein könnte. Dir liegt nichts au
mir, Trude, sag's nur offen heraus, dir liegt nichts an mirl"

Sie zuckte mit den Achseln und ging ihrer Wege.

„Willst du mir nicht antworten?" klang es dicht an ihrem
Ohr.

Gertrud summte ein Liedchcn und fchritt weiter.

„Ob du mir nicht antworten willst?" fnhr Reiner heftig
auf und fatzte ihren Arm.

Sie befreite sich mit einer zornigen Bcwegung. „Neinl
Auf solche Dummheiten antworte ich nicht, daß du's nur weiht,
Und jetzt latz mich in Ruh."

Eine Weile gingen sie ftumm neben einander her, dann
sagte Gertrud: „Nächsten Donnerstag ist Vogelschietzcn auf
oer grotzen Wiese. Sind wir dabei?"

„Nein," lehnte Just knrz ab. „Was soll ich denn jetzt
nnter dcm Jägervolk? Jch gehöre ja nicht mchr dazu."

„Auch gut l"

Sie hatten das Häuschen crreicht.

„Alles mutz man allein machen", grollte die Karten-

Lo«, die Suppe vom Feuer hebend. „Da könnte einem schon
die Lust vergehen, überhaupt zu kochen."

„Scheltet nicht, Muhmc," sagte Rciner, „jeder thut seine
Ärbeit."

„Hier im Hausc habe nur ich Arbeit und sie wird mir
schwer. Wenn man Lber die Sechzig ist —"

„Ja, ja, unrecht känn ich euch nicht geben," mnrmelte
Reiner, während sein junges Weib, vhne sich um die Alte
zu kümmern, in das Zimmer lief. „Die Trude will nun
einmal nirgends mit angreifen. Jhr hättet sie eben anders
erziehen sollen."

„Na, nuu komm du nur noch und Mach' mir Vorwürfel
Wer jeden Groschen sauer vcrdienen mutz, dem bleibt keine
Zeit, sich um so 'n junges Ding vicl zu kümmern. Jch
hab' sie aufgenommen, als ihr Vater nach Amerika ging, hab'
sie gckleidet und ernährt und meinen kärgen Bissen Brot mit
ihr geteilt. Mich auch noch hinzusetzen, Moral zu predigen,
und jedcn Schritt zu übcrwachcn, dazu fehlte es' mir an der
nötigen Zeit; und wenn sie nach dem Vater geraten ist, kann
ich auch nichts dafür l"

„Jch mache euch ja keine Vorwürfel"

„Wär' auch noch besfer, wenn du's thätestl Sei doch selbst
kein solcher Strohmann, sondern rede mal ein ernstes Wort
mit ihr. Zeig' dich als Herr im Hause!"

„Sagt mir nur eines, Muhmel"

„Was demi?"

„Hat mich die Gertrud wirklich so recht von Herzen gern?"
„Herr Jesus, was weitz denn ich? Du warst vcrschosscn
in das Mädel und sie hat dich genommen. Was weiter ist,
mützt Jhr miteinander abmachen. Jhr seid Mann und Fran,
also treib ihr die Grillen aus. Jch hab' gemcint, nun würden
bessere Tage für mich anbrechen, ja, prosit Mahlzeitl Iiichts
ist damit. Vich hast du angeschafft, abcr ich muh es besorgen,
und die Ställe rein halten; Gcmüse wächst im Garten, aber
wenn ich mich nicht darum kümmcre, so verdorrt oder verfault
es. Gestohlen könnt ihr mir schon alle beide werdenl Es

war ein viel angenehmeres und lustigeres Leben, als ich
meine Kräuter sammelte und bald hier, bald dort die Karten
gelcgt habc. Da ist mir das Geld förmlich in die Taschen ge-
regnct und fast alltäglich brachtc cincr cntwcdcr Eier, Butter
oder eine fette Henne angcschlepptl"

„Jch geb doch auch Gcld genug für unseren kleineu Haus-
halt her."

„Ach, du meine Güte! Was du hergiebst, verbraucht die
Trude für sich allein. Die hat bald einen neuen Rock, bald
ein paar neue Schuhe, bald irgend einen anderen Firlefanz
nötig. Oder sie holt tcure Näschereien aus' der Stadt, wäh-
rend ich Schwarzbrot mit Speck kaue. Da möchte man ja
schon —"

Sie rih deu Topf vom Feuer und fahte ihn mit eincm
rutzigen Lappen an. „Mach' mir die Thüre auf und nimm
das Brot mitl Siehst ja, dah ich keinc Hand frei habe. Jch
wollte, Jhr wärct beide, wo der Pfcffer wächstl Hätte mich
einfach nicht auf die ganze Geschichte einlassen sollen!"

„Fhr sagtet doch selbst: „Ein Mann muh herl"

„Ein Mmin — jal Aber wärst du etwa einer? Ein
Waschlappcn bist du, weiter nichtsl"

„Muhme Elzner!"

„Na. wirf mir doch gleich das Brot an den Kopf. Siehft
ja gcrade so aus, als ob du Lust dazu hättcst. Meinst wohl,
deincr fünftansend Mark wegen mützt ich jetzt zu allem den
Mund halten? Die habcn mir kein bequcmeres Leben ge-
schaffen. Rechne nur cinmal nach, was noch davon da istl"

„Kaum die Hälfte, weil ich das andere in euer kleines
Anwesen gesteckt habe."

„Nicht mir, sondcrn der Gertrud zu Licbc!"

Sie stieß die Thür auf.

„Hcrr Gott, noch nicht einmal die Lampc angesteckt!"

Die junge Frau stand aus dem Lehnstuhl auf, machte
Licht, uahm Tischgerüt aus dcm Wandschrmik und setzte sich
dann wicder ans Fenster.

(Fortsctzung folgt.)
 
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