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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 125-149 (2. Juni 1902 - 30. Juni 1902)
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Zweiten Kammsr.) Präsident Gönner eröffnet die Si'tzung
um V4IO Uhr.

Die allgemeine Beratung über das Eisenbahnbau-
budget wird fortgesctzt.

Abg. Gießler (Zenrr.) wendct sich gegen den Vorwurf
Frühaufs, als ob die beiden grotzeu Parteien des Hauses
in Eisenbahnfragen keine Jnitiatwe enrwickelten und sich mit
den B'rosamen, die vom Regierungstisch fallen, zufrieden
geben. Scit zehn Jahren haben die grotzcn Parteien mit
Energie eine fortschrittliche Eisenbahnpolitik vertreten und
grotze Ansgaben fnr Eisenbahuzwecke bewilligt. Schroff gegen
die Rcgierung anfzntreten, sei um so weniger am Platz, als
die Eisenbahnverwaltung rnstig vorwärts schreitet. Die von
'Frühauf vorgetragenen Wahrheiten, datz die Eisenbahn neue
Steuerguellen erschlicht und befrnchtend anf den Verkehr wirkt,
kennen wir längst; wenn wir am gemischten System festhalten,
so geschieht dics dcswegen, weil auf diese Weise abgelegene
Gegendcn am raschcsten dem Verkchr crschlossen werden.
Selbstverständlich müsse der Staat dafür sorgen, datz der
Verkehr anf den Privarbahnen ein geordneter ist. Würde man
die Tilgungsquoten nicht einhalten, so mützten wir notwcndig
zum Staatsbankerott kommen. Die Linie Rastatt-Kehl brauche
man vorerst nicht, so lange die Hauptbähn dcm Verkehr ge-
nügt. Die jetzige Eisenbahnpolitik leistc der Verpreutzung
der badischen Bahnen gewitz keinen Vorschub. Redner bringt
schlietzlich cinige Lokalwünsche vor: die Regierung möge die
Wünsche der Gemeinden Allensbach, Engen und Radolfzell
in Vetrcff der dortigen Bahnbauten berücksichtigen.

Aüg. Wilckens (Natlib.) findet die Ansführunge'n des
Abg. Frühauf insofern befremdlich, als sie die Meinung er-
wecken könnten, als ob man in Baden auf dem Gebiet des
Eisenbahnbaues rückständig wäre. Uuser Eisenbahnnetz habe
in kurzer Zeit einc beträchtliche Ausdchnung erfahren (etwa
680 Ltilometer in den letzten 10 Jahren).- Dies sei um so
ihöher anzuschlagen, als das Geld nicht auf der Stratze liegt,
sondern berzinst und zurückbezahlt werden mutz. An neue
Bahnprojekte dürfe man nur herantreten, wenn wichtige
Staatsinteressen nicht gefährdet werden. Wenn man die
Dinge objektiv betrachte, könne man gewitz nicht behaupten,
dah unser Bahnwesen rückständig sei. Allerdings müsse die
Regierung mit einer gewissen Vorsicht au neue Eisenbahn-
projekte herantreten, weil die Eisenbahnschuld bereits eine
solche Höhe angenommen hat, dah sie nur mit Mühe und
Not verzinst werden kann. Mit Bedauern habe er aus einer
Bemcrkung des Generaldirektors entnommen, datz die Regie-
rung beabsichtigt, die Bghnhofwirtschaften in die Perron-
sperre einzuschliehen. Dies entspreche wcder den WünfHen
der Budgettommission noch denen des Publikums. Redner be-
sürwortcl die Anrcgung des Abgcordneten Franz wegen Auf-
stellung einer Uhr auf dem Bahnhof Rastatt und den Wunsch
Mampels, bctreffend die Erbauung einer Bahn durch das
Steiuachthal. Auf die Heidelberger Bahuhoffrage will Redner
nicht eingchen, weil er in Erfahrung gebracht habe, dah für
die Verlegung des Bahnhofes cine Position in den Nach-
tragsetat cingestellt ist.

Abg. Kriechle (Natlib.) bittet um Beschleunigung des
Bahnbaucs Kappel-Bonndorf, damit die Bevölkerung recht bald
in den Genutz der so lange ersehnten Bahn fommt.

Abg. Heimburger (Dem.): Bezüglich der Privat-
bahnen stehe er wesentlich auf dcm Standpunkt Frühaufs. Das
Privatkapital nehme wenig Rücksicht auf dic volkswirtschaft-
lichen Jnteressen, sondern trachte nur darnach, die Dividen-
den zu vermehren. Durch die Privatbähnen sei allerdings
rnanche Gegend dem Verkehr erschlosseu worden; dies wäxe
aber auch geschehen, ivenn prinzipiell nur Staatsbahnen
Hebaut würden. Ueber die Frage, ob unser Eisenbähnwesen
rückstündig sei, könne man verschiedener Meinung sein. Mit
Preuheu lasse sich Baden nicht gut vergleichen. Die Bahn
Nastatt-Kehl müsse unbedingt einmal gebaut werdcn. Redner
befürwortet schlietzlich den Umbau beziehungsweise die Ver-
legung des Bahnhofs Dinglingen und betont, datz nicht blotz
die Siadt Lahr, sondern auch die umliegenden Gemeinden an
diescr Frage interessiert sin> Die Eisenbahnverwaltung sollte
daher auf ihre Wünsche Rücksicht nehmen.

Abg. Lauck (Zentr.) bringt Wünsche lokaler Natur vor.

Staatsminister von Brauer hält eine besondere
Widerlegung der. Fxühaufschen Rede nicht für notwendig, weil
teils von einigen Abgeordneten schon das Nötige gesagt, teils
früher bom Negierungstisch eine entsprechende Erklärung ab-
gegeben wurde. Der Minister geht dann auf die Einzelwünsche
ein. Für die Erstellung der Bahn Rastatt-Kehl liege ab-
solut kein Bedürfnis (!) vor, da dem Lokalver-
kehr bereits Rechnung getvkgen sei und die Abkürzung von
wenigen Kilometern keinen Grund bietet zur Erbauung einer
DurchgaNgsbahn. Jn erster Linie komme die Erstellung wei-
terer Geleise an der Hauptbahn in Betracht und da frage
es sich, ob es nicht besser wäre, eine neue Linie längs des
Rheins zu erstellen. Vorerst aber genügen die bestehenden
Geleise. Das Projekt einer Bahn durch das Steinachthal sei
gegenwärtig zu einem gewissen Stillstand geräten, weil die
Arage der Einmündung in Steinach noch nicht entschieden sci.
Die meisten Wirtschaften, speziell die Heidelberger,
sollen autzerhalb der Perronsperre verbleiben.

Abg. Pfefferle (Natlib.) äutzert seine Befriedigung
mit dem bisherigen Verlauf der Generaldebatte und bespricht
die vorgebrachten Wünsche und Anregungen.

Abg. Wittum (Natlib.) stimmt den Ausführungen
Frühaufs insofern bei, als er auf dcn grotzen Unterschied
zwischen der früheren und jetzigen Eisenbahnpolitik hinge-
wiesen hat. Um so dankbarer sollte man unserer Eisenbahn-
verwaltung sein, dah sie den Wünschen der Bevölkerung nach
Möglichkeit entgegenkommt. Wenn man die auswärtUen
Bahnverhältnisse mit den unsrigen vergleiche, so könne man
mit den badischen Bahnen wohl zufrieden sein.

Abg. Eichhorn (Soz.) giebt zu, datz iu den letzten
Jahren für den Eisenbahnban vicl geschehen ist, im jetzigen
Moment sei aber ein gewisser Stillstand eingetreten. Nur
vier Millionen von dem grohen Baubudget werüen für neue
Bahnen verwendet, der Rest komme auf bereits im Bau be-
griffene Strecken. Es werde zu erwägen sein, ob nicht ge-
wisse Bauten hinauszuschieben und dafür neue Bahnen in
Angriff zu nehmen sind. Er denke zum Beispiel an die Rhein-
korrektion, die nach Rentabilität und Zweckmätzigkeit sicherlich
hinter verschiedenen Bahnprojekten zurückstehe. Aehnlich stehe
es mii den Bahnhofbauten, die zum mindesten etwas billigcr
erstellt werden könnten. Redner vermitzt ein bestimmtes klares
Bauprogramm. Die Rentabilität der grotzen Linie sei auf die
kleinen Nebenlinien gestellt. Mit dem Gedanken, kleine An-
schluhlinien zu bauen und den Privatvcrkehr zu pflegen, könne
fich unsere Eisenüahnverwaltung nur schwer befrcunden. Schon
im Jahre 1866 wurde in einer Denkschrift eine Rcihe von
Linien als bauwürdig bezeichnet, die heute noch nicht vollendet
sind. Die rentabelsten Bahnen sind die Vorortbahnen, an
denen es bei uns noch gänzlich fehlt. Diese würden eine Geld-
quelle erschlietzen, mit der man unrentable Linien alimentwreu
könute. Auch der Ausbau des Lokalverkehrs auf schon vor-
handenen Linien wäre zu empfehlen. Unrentable Linien sollte
man aus dem Bauprogramm nicht ausschlichen. Eine Ge-
fahr für die Staatsfinanzen wäre nur zu befürchten, wenn
lauter unrentable Bahnen erstellt und die Eisenbahnschuld ins
Ungemessene gesteigert würde. Daran sei aber bei den jetzigen
Grundsätzen unserer Eisenbahnverwaltung, welche zahlreiche
Linien Prjvatgesellschaften überlätzt, nicht zu denken. Jnfolge

dcs gcmischten Systems kommen gewisse Gegenden allerdings
rascher in den Besitz einer Bahn; wenn aber das Haus mehr
Energie zeigen würde, dann würde die Eisenbahnverwaltung
siäicr ciu rascheres Tcmpo einschlagen. Den Einlvand: „die
Eiscnbahnrente ist gcfährdet, wenn der Staat älle Neben-
bahnen an sich bringt", sucht Redner mit dem Hinweis auf den
indirektcn Nutzen der Bahnen zu entkräften. Auch sei zu be-
dcnken, datz sich die Rcnte verschieden berechnet, je nachdcm
man nur den Bauaufwand des Unternehmers, oder den Ge-
samtbauaufwand zu Grunde legt. Redner unterzieht die Bi-
lanzen mehrerer Privatbahngesellschaften einer Prüfung und
stellt fest, datz die Rentabilitütsberechnungen mit den thatsäch-
lichen Rechnungsergebnissen nicht stimmen. Anstatt 30 000
Mark für den Kilometer zuzuschietzen und den Aktionären der
Privatgesellschaften eine gutc Dividende zu sichern, sollte der
Staat die Privatbähnen selbst übernehmen. Dann werden
auch die unaufhörlichen Klagcn über den Privatbahnbetrieb
verstummen.

Staatsminister v 0 n Brauer giebt zu, datz der Schwer-
punkt unseres Bauprogramms in den Neu- und Umbauten be-
stehender Bahnanlagen liegt; deswegen werde aber der Bau
ncuer Linien nicht vernachlässigt. Von einer Systemlosigkeit
könne man nicht sprechen; denn es könne ein eigentliches System
gar nicht aufgestellt werden, wie in einem unbewohnten Land,
sondern es handle sich darum, ein längst bestehendes Netz zu
vcrvollständigen. Den Vorortverkehr können die Städter viel
besser rcgeln als der Staat. Die Nebenbahnen brauchen
durchaus nicht so opulent ausgestattet zu werden, wie die
Hauptbahnen. Auch wenn das hohe Haus dem Rate Eich-
horn's folgen und die Regierung drängcn würde, so würde sich
lctztere doch niemals zu gefahrvgllen Experimenten hergeben.

Nach einer persönlichen Bemcrkung des Abgeordneten W i t-
tnm wird die Sitzung um 2 Uhr abgebrochen. Fort-
setzung morgen. _

IH Karlsruhe, 11. Juni. Mit Bezug auf die
durch die Blätter gegangene Mitteilung, datz Staatsminister
von Brauer gestern während der Rede des Abg. Frühauf
den Sitzungssaal der Zweiten Kammer verlassen habe,
bringt heute die „Karlsruher Zeitung" eine Erklärung,
wonach Herr Staatsminister von Brauer sich zu einer
kurzen Audienz zum Großherzog begeben hatte und dem-
nach das Verlassen des Sitzungssaals in keinem ursäch-
lichen Zusammenhange mit der Rcde Frühaufs gestanden
habe.

Sachsen.

Leipzig, 11. Juni. Wie daS „Leipziger Tagebl."
meldet, ist der Rcichsgerichtsrat Winchenbach zum Senats-
präsidenten beim Reichsgericht ernannt worden; ferner stnd
der Rechtsanwalt beim Reichsgericht Krantz und der
Ministerialrat im badischen Justizdienste Dueringer zu
Reichsgerichtsräten vom 1. Jult 1902 ab ernannt worden.

Sybtllenort, 11. Juni. Eine Privatmeldung berichtet:
Der Zustand des Königs wechselt fortwährend. Auf
asthmatische Anfälle folgen Perioden tiefer Erschöpfung,
während welcher oft Schlaf eintritt und darnach eine kurz;
Zeit Wohlbefinden. Es ist völlig ausgeschlossen,
daß dem Wunsche des Kranken gemäß an eine Rückkehr
nach Dresden gedacht werden könnte. Der König ist
nicht transportfähig.

Sybillenort, 11. Juni. Der heute Morgen aus-
gegebene Krankheitsbericht lautet: Der König hat in de.
ersten Hälfte der Nacht ruhig geschlafen. Jn den
frühen Morgenstunden trat jedoch wieder etwas Unruhe
ein. Der hohe Kranke verlangte Speise und Trank. Der
Zustand des hohen Patienten erfordert unausgesetzte Ruhe
im Bett oder auf dem Liegestuhl. Fieber ist nicht vor-
handen. Puls regelmäßig.

Aus der Karlsruher Zeitung.

Seine Königliche Hoheit der Grotzherzog haben dem
Haushofmeister Karl R 0 gge im Dienste des Prinzen Maxi-
milian die Erlaubnis zur Aunahme und zum Tragen des ihm
von dem Regenten von Sachsen-Koburg-Gotha verliehenen
Verdienstkreuzes des Herzoglich Sachsen-Ernestinischen Haus-
ordens erteilt.

— Die Stationen Appcnweier, Basel, Durlach, Karlsruhe,
Konstanz, Mannheim, Müllheim, Oos und Pforzheim sind mit
Krankenfahrstühlen ausgestattet. Die Stühle dienen zur Be-
förderung Kranker von den Stratzenfuhrwerken nach den
Eisenbahnwagen und umgekehrt, sowie für die Ueberführung
von einem Eisenbahnwagen zum andern; sie werden unentgelt-
lich zur Verfügung gestellt.

Karlsruhe, 11. Juni. Heute Vormittag von 10 Uhr
an hörte der Großherzog den Vortrag des Präsidenten
des Evangelischen Oberkirchenrats Geheimerats Dr. Wie-
landt und empfing sodann den Kaiserlich deutschen Bot-
schafter in Konstantinopel Freiherrn v. Marschall. Um 2
Uhr begab flch der Großherzog, begleitet von dem General-
leutnant und Generaladjutanten v. Müller und dem Flügel-
adjutanten Hauptmann Freiherr Seutter von Lötzen, zum
Bahnhof zur Begrüßung des Kronprinzen von Siam,
welcher, von Baden kommend, zum Besuch der Groß-
herzoglichen Herrschaften hier eintraf. Am Bahnhof war
eine Ehrenkompagnie mit den militärischcn Vorgesetzten auf-
gestellt. Nachdem der Großherzog den Gast begrüßt hatte,
gingen dieselben die Front der Ehrenkompagnie ab und
bestiegen hierauf den Wagen, um nach dem Schlosse zu
fahren. Die Großherzogin empfing den Kronprinzen im
Marmorsaal, wo hierauf der gesamte Hofstaat vorgestellt
wurde. Jhre Königlichen Hoheilcn begaben sich sodann
mit dem Besuch in die Gemächer der Großherzogin und
verweilten daselbst längere Zeit. Der Kronprinz bezog
sodann seine Gemächer. Um 4 Uhr unternahm der Kron-
prinz von Siam mit dem Prinzen Max eine Ausfahrt
durch die Stadt und besuchte daran anschließend die Ju-
biläums'KunstaussteÜung. Heute Abend 7 Uhr findet zu
Ehren des Kronprinzen eine große Hoftafel im Groß-
herzoglichen Schlosse statt. Die Rückkehr des Kronprinzen
nach Baden-Baden erfolgt abends 10 Uhr.

Ausland.

Afrika.

Tunis, 11. Juni. Der Bey von Tunis ist heute
früh 9'/^ Uhr gestorben. Sidi Ali, Bey und Besitzer
des Königreichs Tunesien, war am 14. August 1817 ge-
boren. Den Thron bestieg er am 23. October 1882.

Mutmaßlicher Thronfolger ist sein Sohn, Prinz Moha-
med, geboren am 24. Juni 1855. Das Königreich
Tunesien ist durch den Vertrag von Kav-el-Said am
12. Mai 1881, ergänzt durch das Uebereinkommen vom
8. Juni 1883, uuter französische Schutzherrschaft gekom-
men. Die Verwaltung des Landes ist vom französischen
Ministerium des Auswärtigen abhängig.

Aus Stadt und Land.

H eidelb e rg, 12. Iuni.

Dcr Kronprinz von Siam trifft heure Nachmirrag
3 Uhr 9 Min. ans Badcn-Baden am hiesigen Bahnhof ein.
Die Abreise wird um 6 tlhr 86 Min. erfolgcn.

L Traurrfeier für Kart Zangemcister Gestern Nachmittag
fand rn der Anla der Universität die Trauerfeier für den ver^
storbenen Oberbibliothekar Prof. Zangemeister statt. Die Dozenten
der Universität, die Vertreter der Stiidenlenschaft in Tranerwichs,
die Spitzen der staatlichen, städtischen uiid inilitärischen Behörden,
sowie zahlreiche Damen und H rren ans dem Frenndes- und Be-
kanntenkreise des Verblichenen waren in dem Raiime, der schon
so manche Trauerversammlnng gesehen, versammelt, als mit
dem von dem Bachverein vorgetragenen Choral „Ach wie
so flüchtig" der ernste, wcihcvolle Akt der Pietät seinen An-
sang nahm. Nach dcm Liede bestieg Stadtpfarrer Schwarz
die Rednerbühne, um dcm Entschlafeneu, anknüpfeud an die
Worte des Psalmistcn, der die Vergänglichkeit des Menschen so
ergreisend schildcrk, ehrende Worte nachzurufen. Bei einer
engeren Feier am Sarge des Dahingeschiedenen war der eine
Grundzug des Wesens Zangemeisters bcsonders heworge-
hoben worden, seine Trcue; hier nun schilderte der geisrliche
Redner den zweiten Pfeiler seines Charakters, die starke Wil-
lenskraft, die mit cinem grotzcn Schaffensdrang und der Liebe
des Verstorbenen zur Wissenschaft verbundcn war. Sein
Wissen war ein lebcndiges; er sammelte um zu gcben; seine
dienende Bereitwilligkeit, seine willige Dienstbereitschast, er-
innern an das Bibelwort: „Dienet einander, ein jeglicher mii
der Gabe, die er empfangen hat". Der zweite Redner, Pros.
Wille, der als nächststehender Amtsgeriosse das berufliche
und das wissenschaftliche Wirken Zangemeisters zu schildern
hatte, hob besonders das in Zangemeister pulsierende kräftige
Leben hervor; unter sein Bild möchte er als einzige Unterschrifr
das Wort „Lebcn" setzen. Er naimte den Verblichenen eine
Zierde des Standes deutscher Bibliothekare und rühmre die
glückliche Mischung in seincm Charakter und scinen Geistes-
gaben: ein fröhliches Herz, den wissenschaftlichen Ernst, die
Fähigkeit, sich in deuischer Gelehrtenweise der Arbeit hinzu-
geben und dabei einen auf die Wirklichkeit, auf das Leben ge-
richreten Sinn. Zangemeister studierte unter Ritschl, deffen Auf-
fassung des Studiums der tlassischen Sprachen iu ihm fortlebte.
Seine Erstlingsarbeit, die Entzifferung pompejanischer Jn-
schrrften, bezeugte seine grotze Begabung. Später ist er der
römischen Kulrur am Oberrhein nachgegangen, sein Werk über
die römischen Jnschrifte» in Obergermanien ist fast zu Ende
gckommen; noch in den Fieberträumen seiner letzten Siunden
hat es ihn beschüftigt. Die geistige Verwertung der unter seiner
Obhut stehcndcn gesammelten SchKtze hat auf vielen Ge-
bieten beeinflusscnd oder umgestaltend gcwirkt. Die Archäo-
logie, die alte Gcschichtc, die alte Geographie und die Paläo-
graphie werden seinen Namen dauernd aufbewahren. Zange-
meister war die Seele des Limesunternehmens. Die Liebe
und Leidenschaft des Gelehrten für Bücher einerseits, und seine
aus dem Jnnersten kommcnde Bereitwilligkeit, die Verwertung
dcr Buchschätze mit Rat und That zu unterstützcn, stempelten
ihn zum prädestinierten Bibliothekar. Als er hierher kaM,
zählte die Bibliothek zwar schon 300 000 Bände, die Verwal-
tung war der früheren Zeit entsprechend und angemessen ge-
wesen, aber es kam eine neue Zeit herauf, und Zangemeistec
verstand ihren Zug. Er hat die hiesige Bibliothek neu orga-
nisiert; er hat ihrcr Verwaltung den Stempcl seines Geistes
aufgedrückt. Dcr Thüringer hat sich in die Pfalz gut hinein-
gefunden und der Pfälzer Geschichte, insbesondere auch der
Heidelberger, und speziell der der Heidelberger Universitäts-
bibliothek sein warmes Jnteresse erfolgreich gewidmet. Den
Schluh des sehr herzlichen Nachrufes bildete ein Hinweis aus
das schöne Verhältnis Zangemeisters zu seinen MitarbeiterN,
die ihm Kollegen und Freunde waren. Der anregende, gc^
sellige Mann verstand die ^Kunst, Jedem in seinen GrenzeN
Freiheit und Selbständigkeit zu gewähren und doch die Zügek
fest in seiner Hand zu behalten. Nach der Rede des HerrN
Professor Wille sang der Bachverrein den Choral: „Wenn iw
einmal soll scheiden", der Geistliche sprach den Segen und danN
verlietz die Trauerversammlung die Aula, um sich drausstv
zum Zuge auf den Friedhof zu ordnen. Der endlos lange ZUü
bewegte sich durch die Grabengasse, Leopoldstrahe, Seegarten-
stratze und Röhrbacherstrahe nach dem Friedhof. Eröffnet
wurde er von dcm Orchesterverein; es folgten zwei Obec-
pedelle mit umflorten Szeptern, die Studentenschaft, ein
Oberpedell mit den Orden des Verstorbenen, die FamilienaN-
gehörigen, der Prorektor und Exprorektor mit den Vertreterv
der Grohh. Staatsrcgierung, die Abgeordneten auswärtiger
Körperschaften, sowie die Spitzen der Behörden, die Lehrer de-
Universität, sowie die Beqmten der Universitätsbibliothek, da»'
Offiziercorps, sowie viele Freunde und Bekannte des Ver^
storbenen. Auf dem Friedhof angekommen gruppierte sich dn
Trauerversammlung im Halbkreise um das Krematorium, ''j
dem der Sarg, umgcben von einer Unmasse herrlicher KraE
spenden, prachtvollen Blumen- und Palmenarrangements, auff
gebahrt war. Herr Stadtpfarrer Schwarz nahm hierauf n^
einmal das/Wort zu einem kurzen Gebete, worauf zahlreick^
Kranzniederlegungen stattfanden. Hofrat Buhl widmftj.
dem Verstorbenen als Prorektor herzliche Worte, schilderte
als Mensch und Gelehrten und legte einen Kranz im AuftraS^
der Universität nieder; Professor Hintzelmann im
men der Universitütsbeamten, Profeffor Bezold für

philosophische Fakultät, Geheimrat Haus; aus Berlin


Namen des Staatssekretärs des Jnnern für die Reichsvrr
waltung, Hofrat von Duhn im Namen der Zentrale d^
kaiserlichen archäologischen Jnstituts, der Oberbibliothek^
der Universität Freiburg, Professor Steup, im Auftrage d
Universität Freiburg, Geheimrat Fabricius im Namen d.
Reichslimeskommission, Direktor Schumacher für d»;
römisch-germanische Zentralmuseum in Mainz, Hofrat B U «
im Namen des Schlohvereins, Major Hildebrand
das OffizieLkorps des 2. Bad. Grenadierregiments Nr.
die S t u d e n t c n s ch a f t und verschiedene studentische Kn ^

porationen. Schöne herrliche Spenden hattcn u. a.

die Stadt Heidelberg und die Vereinigung für FeN r „
bestattung in das' Trauerhaus gesandt. Der Segen d.^,
Geistlichen schlotz die Feier, während die irdischen Uebercel
des bedeutenden Manncs den Flammen übergeben wurden. ,,
** Straßenspcrrc. Nach einer in heutiger Nummer r> .
haltenen bezirksamtlichen Bekanntmachung wird für die Da^
der Gleisverlegungsarbeiten in der Bergheimerstratze diese
den Fuhrwerksverkehr gesperrt. g

8O Karlsruhe, 11. Juni. (Zur Ausführung
Motorfahrten) kommeu folgende Strecken in Betraw^
Karlsruhe-Graben-Neudorf, Karlsruhe-Maxau, Karlsrn»",
Wilferdingen, Karlsruhe-Bruchsal, Radolfzell-StahrinS
Ucberlingen, Ueberlingen-Stahringen-Stockach.

Sdl Bühl, 11. Juni, (Der Frühobstmarkt)
uunmehr hier begonnen und zwar mit den Kirschen.
Zentner ivurde mit 18—20 M. bezahlt.
 
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