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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 125-149 (2. Juni 1902 - 30. Juni 1902)
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Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Prcis mit Familienblättern monatlich Sv Pfg. in's Haus gebracht, bei dcr Expedition und den Zweigstcllen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-

zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausichließlich Zuste.lgebühr.

Änzeigenpreis: 2V Pfg. sür die Ispaltige Petitzeile oder deren Rauw. Reklamezeile 4V Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzcigen on bcstimmt
vorgcfchriebenen Tagen wird keine Lerantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den städt. Anfchlagstellen. Fernsprech-Anfchluß Nr. 82

Dicustag, 24. Juni 1902.

ZweLtes Blatt.

44. Jahrgullg. — ilir. 144.

Aie deutsche Koröwareninduffrie.

„Die Wiege der feineu K o r b m a ch e r e i"
nennl ein Artikel der „Tentschen Erport-Revne" das
Städtchen SR ichelau in Oberfranken. Ihren Hanpt-
sip hat die Korbwarenindustrie in den Bezirken Lichten-
fets nnd Kronach der reichgesegneten bayerischen Provinz
Oberfranken nnd in üem angrenzenden Herzogtum Ko-
burg. Ferner ist sie von Bedeulung in öem schlesischen
Bezirk Oppeln, in dcr Gegend von Ratibor, sowie an der
Oder nnterhalb Oppeln in den Orten Alt-Schalkowitz,
Chrosczytz, Grotz-Döbern und Schurgast. Ihre Haupt-
erzeugnisse in dieser Gegend bestehen in rohen Flecht-
waren, wie Kartosfelkörbe usw. aus grünen Weiden
und Reisekörbe, Wäschekörbe usw. aus weitzeit Weiden.
Tie zu den Fabrit'aten verwendcten Weiden stammen
alle aus Teuschland, wie auch der Absab sich lediglich auf
das Inland beschräitkt. Weit bcdeutender ist abcr die
als reine Hausindustrie betriebenc Korbflechterei in den
unterhalb Oppelns gelegenen Ortschaften, die in deit
lcvlen Iahren an Bedeutung und Umfang sehr viel ge-
wonnen hat. Rach den an Ort und Stelle angestellten
Erhebungcn sind in diesen Ortschaften ca. 1000 Per-
sonn in der Hausindustrie mit der Korbslechterei be-
schästigt. Ter Gesamtocrkaufswert der Iahresprodnk-
lion an Korbilecht- und anderen Flechtwaren üeläust sich
auf etwa 450 000 biS 500 000 M. Hergestellt wcrden
fast nur grobe Flechtwaren, wie Kohlenkörbe, Kartofsel-
körbe, Waschkörbc, Reisekörbe u. s. w. Ter Wert der
zu den Flechtwaren verwendeten Weiden beträgt un-
gesähr 250 000 bis 260 000 M. Ter grötzte Teil der
Weiden wird aus Preußen, bezw. aus Schlesien bczogen.
Tie fertigen Waren werden zum grötzten Teil durch in
den Dörfern heimischeHausierer in großen Fuhren auf die
Blärkte der benachbarten Ltädte gesahren und dort zum
Pcrkauf gebracht. Ein großer Teil der fertigen Korb-
waren geht auch aus der Eisenbahn nach weiter entfernt
liegenden Gebietcn, und zwar um Breslau, Sachsen,
Berlin und zum klcineren Teil auch in dcn oberschlesischen
Indnstriebezirk.

Von größercr Bedeutnng ist, wie beinerkt, die Korb-
macherci sti Oberfranken, wo man Michelan „die Wiege
der feinen Korbmacherei" nennt. Jhre Anfänge klingen,
wie bei fast allen Industrien, die sich ans der Hausarbeit
eutwickeln, sagenhaft. Wandernde Handwerksburschen
sollen im Anfang des letzten Iahrhunderts in dem baye-
rischen Torfe Michelau am Obcrmain als Dank für
Trank und Spcise die Einwohner das Flechteu einsachcr
Körbe zum Samineln von Beeren gelehrt haben. Spä-
ter wurden auch andere Hauswirtschastsartikel, z. B.
Trag- und Waschkörbe von den dortigen Landleuten an
langen Winterabendcn verfertigt. Das Rohmaterial zu
diesen Erzeugnissen wuchs ja gcwissermaßen vor ihrer
Thür, am Ufer des Mains.

Tem Zuge der Zeit entsprechend, war es natürlich,
datz das Gewerbe bald auch zunstmäßig betrieben wurde.
Tie erstc beglaubigte diachricht iiber eine Korbmacher-
Zunft finden wir im Iahre 1796. Die Zunft hatte da-
Mals 138 Mitglicder, die sich auf 13 Ortschaften (alle
in der Unigcbung von Michelau) verteilten. dkeben den
ZÜiiftigen Mcistern gab es auch „unzünftige Körbstricker"
oder „Pfuscher", die aber doch in einer gewissen Abhän-
gigkeit von der Zunft standen. Sie hatten alljährlich ;
cinen Gulden an den „Zunstrechnungsleiter" abzusüh- '

ren und durftcn keine Gesellen halten, sondern ivaren
auf die Mithilfe ihrer Angehörigen angewiesen. Die
Zunftgenossen scheinen ihrer bald überdrüssig geworden
zu sein. Als 1807 eine neue Zunftordnung erlasseu
wurde, sollten die Psuscher beseitigt werden. Der Ein-
tritt in die Zunst wurde ihnen erleichtert, doch um der
Weitcrverbreitung des Gewerbes ein Ziel zu setzen,
nahm man die Bestimmung anf, daß von nun an kein
Lehrling mehr zur Profession zugelassen werden solle,
der das fünfzehnte Lebensjahr überschritten habe.

Die Auflösung der Zunft aber wirkte auf die Fort-
entwicklung des Gewerbes wahrhaft befreiend. Neue
Niaterialien wurden nunmehr eingeführt, so Fischbein,
dann Palmblatt oder Schils, wie die Körbinacher es
nennen. Nicht mehr am Alten blieb man hängen; hatte
man sich bis 1850 mit der Ansertigung von „Pupperlen"
und Hüten begnügt, so kam jetzt auch der Formsinn zu
seinem Rechte. Bald kam auch Esparto (Seegras) als
Flechtmaterial zur Verwendung. Eine Zeitlang, bis
ungefähr 1866, beherrschen die Leegraskörbe den Markt.
Als dann nach dem Iahre 1866 das lackierte Rohr ein-
geführt wurde, wurden die Körbe benagelt, d. h. an
den Räudern mit Lackrohr verziert. Auch das Korbge-
rüst, öas vorhcr aus Weide bestand, wurde jetzt aus
Rohr hcrgestellt. Nach dem Iahre 1870 erfolgte dann
das feine Strohgeflecht, das als Arbeitsmaterial diente.
Die Strohkörbe wurdcn dann auch „garniert", d. h. mit
glänzenden Lederriemen versehen.

Ein merklicher Fortschritt der Korbflechterei zeigt sich
in der sogenannten Gestellarbeit. Als Muster sind hier-
für anzuführen Zeitungshalter aus Natur- und Lack-
rohr, ferner Blnmcnkörbe. Anstatt des Strohgeflechts
folgen dann in den achtziger Iahren die Bänder oder
Borten nnd neuestens anch das Celluloid. Ein bewußtes
Zurückgreifen auf die anfänglichen Formen bemerken
wir in den Papierkörben, sowie in den Fässern. Diese
dienen zur Aufnahme von Wäsche u. s. w. Wohl das
begehrteste Material in unsern Tagen ist der Raffiabast,
der zur Anfcrtigung von Vlnmenkörben und dergleichen
verwendet wird.

Deutsches Reich.

Badcn.

— In der jüngsten L-itzung der Frei b urge r
Handelskammer wurde u. a. über den vom Ministerium
des Innern übcrsandten Enkwnrf cines Gesetzes übcr die
Besteuerung der Ware n h äusc r beraten. Bei der
Abstiininung erklärten sich 7 Mitglieder gegen und 9
Mitglieder für eine besondere Bcsteuerung der Waren-
häuser, die aber nicht, mie in dem Entwurf vorgesehen,
durch die Gemeinde erhoben werden sollte, sondcrn, wie
in Prenßen, durch den Ltaat.

Prenßc».

— Die „Germania" hatte unter Vorbehalt eine Liste
der Kandidaten des Nietropolitancapitels für die
.K öIner Erzbis ch o f s w a h l mitgeteilt, die
„Köln. Volksztg." erklärt diese Liste als ein vollständiges
Phantasieprodukk. Der vatikanische Berichterstatter der
„Wiener Pol. Korr." will wissen, die dentsche Regierung
wünsche deu Bischof B c n z l e r von Metz als Nachfolger
des Erzbischofs Simar.

Kisenöaßntarif-Aragen in der württem-
öergischen Aögeordnetenkammer.

i

Die w ü r t tem be r g ls ch e A b g e o r d n e t e n -
kammcr hat sich am Mittwoch und folgende Tage auf
Grund der Anträge Haußmann und Blumhardt eingchend mtt
Eisenbahntarif-Fragen beschäfrigt. Aus der um-
fangreichen Diskussion hcben wir Nachstehendes hervor, nach-
dem wir das Refultat dcr Schlußabstimmung, sowie den Jnhalt
dcr Erklürungen des Ministcrs von Soden schon kurz mitge-
tcilt haben.

Abg. H a u ß m ann : Aus der Statistik des Reichsantts
für Eisenbahnen (dic Statistik sei eigentlich die frnchtbarste
Thätigkcit diescr Bchörde) habe er entnommen, datz in Würt-
tcmbcrg in dcr 1. Klasse 6,46 Prozent befetzt sind und
93,54 Prozent l c c r, in der 2. Klasse 16,22 Prozent besctzt,
83 lcer, i» der 3. Klasse 30,85 bcsctzt unü 69,65 leer. Jn dcm
Matz, als cs uns gelingcn würde, die Plätze mchr zn bcsctzcn,
würdcn die Einnahmcn besser werden. Jm Schnellzugsverkehr
sci d7c Platzausnützung schon besscr. Das Problem bcstehe nun
darin, zu fragen, wie cinc Besserung der Ausnützung der
Plätze crzielt werden könnc. Der Paristand könne narürlich
nicht erreicht wcrden, aber eine erhebliche Besserung der Platz-
ausnütznng sci nntcr allen Ilmständen anzustreben. 'Unser
jctzigcr Tarif bctrage für dcn Kilometer in dcn drci Klassen
8, bczw. 5,3 Pf., bezw. 3,4 Pf. bei der einfachen Fahrt und
5,7, bezlv. 4, bezw. 2,65 Pf. bei dcr Hin- nnd Rückfährt. Auf
eincn zeitlichen Nenncr gebracht, heitze das, datz 1 Minute
Eisenbahnfahrt bei uns 3 Pf. koste. Bei einer kleinen Fahrt
von 30 Kilomcter bctragcn dic Kosten 1 Mk. 5 Pf. Die Frage
sci nun, ob dcr Tarif der 8. Klasse, der für die Entschei-
dnng in finanziellcr Bcziehung bon ausschlaggebender Bcdcu-
tnng sci, im Verhältnis stche zu der ökonomischen Lage der
Bcwohncr unscres Landcs. Soll man den Tarif auf den
Turchschnitt dcr Reisenden berechncn, auf den Wohlstand der
mittleren und obcrcn oder befscr auf die Vcrhältnissc der
untcrcn Klassen stützen. Man müsse sich fragen, ob unser
Tarif auf brcite Masscn verhindernd in dcr Richtung wirkt,
datz sic nicht ödcr seltcn fahren können. Nur 2 bis 3 Prozent
Württembcrgcr scien pekuniär so gestellt, datz sie sich freier
bewegen können. Das falle für ihn ausschlaggebend ins Gc-
wicht. Bishcr habe man den Tarif daranfhin nicht genügend
untersucht. Das zeige dcutlich, dah man den Vcrkehr cinzig
nnd allcin anf die Masse stützc'n müsse. Soll die Eiscnbahn
gut bcsctzt sein, so müsse eine Erleichtcrung des Gcwö'hnens
an das Rciscn hcrbeigeführt werdcn. Jctzt spreche man von
dcr Reise nach Ulm noch wie von ctwas Bcsondercm. Ein
Viertcl dcr Bevölkcrung mchr als heutc heranzuziehen zum
Bcrkchr, müsse nach sciner Mcinung verhältnismätzig nnschwcr
sein. Unscre Bevölkcrung sei verhältnismätzig sparsami das
gehe schon aus dem schlcchten Besuch der obcrcn Wagcnklasscn
hervor. Mancher, der gut 2. Klasse fahrcn könnte, fahre
3. Klasse. Einc Schranke müsse f«ilich sein, und das sind
dic Selbstkostcn, dic Sclbstkosten nicht in dem Sinn, datz sie
für jedes einzelne Stadium zu bercchncn seien, sondcrn daß
in dcr Dancr des Bcstehens des Jnstituts die Sellistkosten
sicher gctragcn wcrden. Jn der Zwischenzeit habe dic Gene-
raldirektion sich der Arbeit unterzogen, für ein bestimmtes Ge-
bict in Würtcmberg die Gencralkostcn zu berechncn. Er
glaube, datz dicse Bcrcchnung ein übcraus wichtiges Material
sür die gesamtc Tariflttieraiur sci, wie cs bisher noch von
kcinem Landc vorliege. Die Betriebskosten für den S ch n e l I-
zugsverkehr bcziffcrn sich für den bcwegten Platz in
dcr 1. Klasse anf 16,37 Pf. pro Person und pro Kilometcr,
2. Klasse 3,64 Pf., 3. Klasse 1,80 Pf. Jm Personenzug
stcllc sich das Verhälinis noch merkwürdiger, nämlich 1. Klasse
28,56 Pf., 2. Klassc 6,66 Ps.. 8. Klasse 1,47. Die Kostcn
sür eincn Rcisenden 1. Klasse im Bummelzug scien um 10
Pf. höhcr als im Schncllzng, sür cincn Reisendcn 2. Klassc nm
3" Pf., für cinen Reisenden 3. Klasse um 0,06 Pf. So gering

Vor dcr Krönung.

London, 20. Juni.

London hat schon vielerlci erlebt; dicsmal wird aber seine
rcich bewcgte Gcschichte doch um ein neues Ääpitel bereichert,
das bishcr cinzig in seincr Art dasteht. Zum Glück ist es ein
ersreuliches und zu hoffen steht, datz cs durch keine iraurigen
Zwischenfälle gcstöri werden wird. Wird sich dies abcr bei dem
n n g e h e u r e n Z u s a m m e n st r o m von Menschen, der
Ivährend der Krönungsiage zu erwarten steht, ganz
derhindern lassen? Man ist darauf gcfatzt, datz wohl drei
Rillionen Menschen die Siratzen füllen werden, durch
hie sich an dcn beiden Krönungstagen dcr Zug belvegi. Es
sind wohl vier englische Meilen, vielfach aber geht der Zug
durch enge Stratzcn, und was sind da vier Mcilcn für einc
lolchc Menschenmasse! Den Behörden ist schon bange! Den
10 000 Polizisten und dcn 70 000 Soldaten, die dem Krö-
bungszug entlang Spalier bildcn werdcn, wird es, bei der
Lcnkvarkeit der englischen Masse wohl gelingen, die Ordnung
viifrccht zu crhalten. Jn dcm zu gewärtigenden furchtbaren
^iedrange kann cs aber ntcht vcrmicden werden, dah linfälle
sivrkommcn und dics um so wcnigcr, als die schaulustige briiische
piatrone aus dem Volke, ob sie nun ins Theater, ins Konzert,
die K'irche, oder ins Wirishans geht, ihr Bäby mitschleppt.
^choi, anlätzlich der beiden Jubiläen der Königin Viktoria
6ab cs nach Hunderten zählcnde Opfcr der Schanlust, und was
si>arcn dic Feiern im Vergleich mit dem was jetzt bevorsteht?
sibgcschcn von dcr Mengc in den Strahcn, kommt aber noch
das Publikum auf'den Schaugerüsten dazu, das kaum weniger
als cine halbc Million betragcn dürftc. Wird cs ohne Z u-
1 a m rn e n b r u ch einer dieser Tribünen abgchcn, dic in den
siltenstcn Fällcn nur ciner Bclastungsprobe unterworfen ivur-
?ps? Dazu kommt noch die F e u e r s g e f a h r. Es sind

Fragen, die ernstlich in der Presse besprochcn und von den
^hörden erwogen werden nnd die autzcrordcntlichen Vorbe-

rettungeii, die durch Errichiung vo» Nettuiigsstationen nnd
in den Hospttäkern getroffen wcrden, biiden cine dunklc Folie
zu dem Festgewande, das die Stadt angclcgt hai, und zn dcn
andcrcn srcudigen Vorbereiinngcii, die überall, bis in die ent-
lcgcnstcn Teile der Stcrdt, sich beöcits bcmerkbar machen.

Ettic andere Frage, die Sorgen bereitet, ist die Unter -
bringung der nach London tomm'cnden Zuzüglcr und dic
V e r p r o v i a n t i e r u n g. Für die nach London komman-
diertcn Truppen ist gesorgi. Es sind autzerdein nur 60 000
Mann, für die man in den öffenilichen Volksschulen Untcrknnft
schafft nnd wird Tommy Atkins nichi nnr in komforiablen Feld-
beticn schlafcn, sondern auch mtt doppclicn Rationcn.bedacht
und königlich bewirtet werden. Nebcn Beigaben von „Jam"
(Frnchirmis), Marmeladen, Käse: Thee und Wcisch znm
Frühstück, zu Mitiag cin Pfund Rindcr- odcr Hammelbraten
mit Znlage, Pudding, Lber ein Lttcr Bier, nachmiiiags Thee
mit Beigaben imd abends wieder Bicr und Fleisch, nebst einer
Unze Tabak für jedcn Mann pro Tag. Die Extra-Ausgabc
wird auf 500 000 M. bcrechnct. Tommy Atkins ist versorgt
nnd anfgehoben. Wie aber die Zuzügler, die nicht des Königs
Waffcnrock tragen, von der zarten Weiblichkeit ganz abge-
schen? Alle Hoiels nnd was auherhalb dcrsclbcn zu vcr-
mieicn ist, sind bercits bcsetzt oder vcrgcbcn. Wo sollen nun
die Hnndertiausende dcr Provinzler Unterkommen für die Nacht
findcn, die am Vorabende der Krömmg hier erwartet wcrden?
Bei dcm diamantenen Jubiläum dcr verstorbenen Königin
hielt man die Parks offcn und schliefen Tausende wohl zum
crstenmal bei „Muiter Grün". Es gab da auch das traditio-
nelle „Königin-Wctter", das schöne Weitcr, das Königin Vik-
toria bci allen besonderen Anlässen begünstigie. Bci König
Eduard war bisher das „Königswetter" regclmätzig Regen.
Gang abgcsehcn davon, werden die Zuwanderungen dicsmal
mindestens eine Million beiragen und das ist selbst für die
Londoner Westend-Parks zu vicl. Dcr Vorschlag ist nyn
gcmacht worden, die Kirchen und Kapellen als Schlafstätien
offcn zu hakten. Die noch freien Volksschulen sollen für dcn-

sclben Zwcck dicnstbar gcmacht werden. So hofft man, dic
obdachlvscn Wandercr unter Dach nnd Fach zu bringen. Für
ihrc Verköstigung bcginni sich London wie sür cine Belagerung
vorzubcreiten. Dic Schwierigkeit liegt darin, datz London
während dcr Krönnngstage ohnc Zufuhren bleiben wird. Alle
Eisenbahnen habcn bcreits angekündigt, datz sie dcs grohen
Personcnverkehrs wcgen, dic Befördernng allcr Frachtcn cin-
stellcii wcrdcn. Da abcr London in Bezug auf Milch, Gcmüse
mid zum Teil auch Flcisch, von der Hand in den Mund lcbk,
da auch an den Krömingstagen allc Märkte mid Läden ge-
schlosscn sctti wcrdcn, so stehcn anch in diescr Beziehung Schwic-
rigkeitcn bevor. Wie cs abcr mit dcm Vcrkehr ftchen wird,
davon hat noch niemand cinc Ahming. Die Polizei ist in
ihren Vorsichksmatzregeln allcm Anscheinc nach zu wcit gc-
gangcn. Die mcisten dcr zur Routc des Krönungszuges
führendcn Stratzcn wcrdcn verbarrikadiert. Auf den vier
Hauptbrückcn über dic Thcmsc wird der Verkehr von sechs
llhr morgcns ab ganz cingcstcllt. Um dcn Andrang mög-
lichst einzuschränkcn, wcrdcn so Vcrkehrshindcrnisse geschaffcn,
dic den Ucbelstand im Gefolge haben, dah das Gedränge in
de» wenigcn offcn gchaltcnen Zugängen desto schlirmncr wird,
ganz abgeschen von den Unannchmlichkeitcn nnd Schwierig-
keiten, die dicse Vorschrifien für alle jene im Gefolge haben,
dic sich Sitzc auf dcn Tribünen gcsichert haben. London wird
noch uie so zeitig aufgestcmdcn scin, wie an dicsen beidcn
Krönuiigstagen. Die Eiscnbahncn lassen schon von vier Uhr
morgens ab Sonderzügc ans den Vororten fahrcn. Omnibusse
nnd allc andcrcn crdcnklichcn Fahrzcng'e werden bis zn dcr in-
ncrn Siadtgrenze fahren, bis zn der der Wagenberkchr ge-
stattet ist. Wcr Wagcn micict, mutz heuie schon ganz exor-
biiante Prcise zahlen. Das Fahrgeld der Omnibusse und
Pferdcbahncn wird von 1 und 2 Pence (81^ bis 17 Pf.)
anf 6 nnd 12 Pence (50 Pf. bis 1 Mk.) crhöhi. Welche
Völkerwanderung wird sich da in den ersten Morgenstunden
vollzichcnl Denn nm 8 Uhr wird schon der Verkehr dem
ganzen Krönungszug cntlang und allcn benachbartcn Zugängen
 
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