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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 125-149 (2. Juni 1902 - 30. Juni 1902)
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Mittwoch, 25. Juni 1902. Zweites Blatt. 44. JahrgMg. — i^r. 145.

Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be.

zogen vierteljährltch 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.

LnzeigenpreiS: 20 Psg. für die Ispaltige Petitzeile oder beren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für dic Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
dorgeschriebenen Tagcn wird keiue Berantwortlichkeit übernommcn. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den städt. Anschlagstellen. Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Wom neuen preußischen KisenöaHnrninister
Wudde.

Turch seine Stellung als Chef der Eisenbahuabtei-
lung im Grotzen Geueralstab ist Minister Budde mit dem
Eisenbahnwesen so vertraut worüen, wie man es werden
kann, ohne diret't in der Verwaltung zu stehen.

MannigfaLtige Betriebszweigei umfatzt die Vtsm-
bahnabteilung des Grotzen Generalstabcs. Sie mutz,
wie eine sachverständige Darlegung der „Kölnischen Ztg."
ausführt, die ganze Technik des Eiscnbahnwesens mit
allen Neuerungen fortlaufend kennen, nm die Kriegs-
sahrpläne und alle Kriegsvorbereitungen dem Eisenbahn-
betriebe anznpassen. Daher werden auch fortlaufend
Generalstabsoffiziere zu den Staatseisenbahnen kom-
Mandiert, um sich mit dem Betrieb vertrarü zu machen,
auch Herr Budde hat mehrere solcher K'ommandos bei ver-
schiedenen deutschen Eisenbahndirektionen gehabt. Wei-
ter gelangen sämtliche Entwürfe für den Neubau und
den Umban von deutschen Eisenbahnen, sowie allc Ge-
setzesvorjiagen in Eisenbahnangelegenheiten durch das
Kriegsministerium zur Begutachtung vom Standpunkte
der Landesverteidigung an den Chef des Generalstabes
der Armee, dessen Tezernent in diesen Dingen der Chef
der Eisenbahnabteilung ist. General Budde hat wieder-
holt derartige Vorlagen iin Reichstag vertreten. Wie er
an aüen kommissarischen Beratungen über einheitiiche
Betriebsreglements im Reichseisenbahnamk teilgenom-
Men und besonders auch die neue Dkilitär-Eisenbahn-
ordnung bearbeitet hat, so hat er auch als Kommissär
der Mlitärverwaltung bei Beratung des neuen Militär-
tarifs sehr eingehende vergleichende Studien niedergelegt
über die Entwickelung der Personen- und Gütertarife
der Eisenbahnen seit 1870; auf Grund seiner Studien
und seiner Anregung hat die Militärverwaltung ihre
weitgehenden Vorschläge auf Minderung der Sätze des
Militärtarifs im Mderspruch gegen Finanz- und Ar-
beitsministerium schlietzlich durchgesetzt. Schon hieraus
geht hervor, datz Minister Budde auf dem schwierigen
und verwickclten Gebiete des Tarifwesens kein Neuling
llt. Buddes eigenste Schöpfung ist das für alle Pferde-
Züchter und Pferdekäuser hochbcdeutsame „Pferdekurs-
ouch"; aus ihm können Militärbehörden und Offiziere,
die einzelne Pferde, bis zu 18 Stiick, mit der Eisenbahn
Zu befördern haben, ersehc», wann und mit welchem Zuge
dic Pferde am zweckmätzigsten von der Einladestation
Au befördern sind, um sie auf dem kürzesten nnd billigsten
Wege der Zielstation zuznführen, an welchen Stationen
Zeit zum Tränken, zur Verpflegung des Pferdewärters
usw. ist und wann die Pferde an der Ansladestation in
Cmpfang genommen werden können. Diese Praktische
Neuerung hat sich vortrefflich bewährt.

^ Hat schon die umfassende Thätigkeit im nnlitärischen

Eisenbahndienst Herrn Budde in enge Beziehungen zu
denEisenbahnverwaltungen und den verschiedenen Reichs-
nnd Staatsbehörden gebracht, hat sie ihm des öfteren
Gelegenheit geboten, als Regierungkommissar in den
Kommissionen des Reichstags und des Lgndtags thätig
zu sein und sich eine bedeutende Personalkenntnis na-
mentlich in Bezug auf zahlreiche höhere Eisenbahnbeamte
zu verschaffen, so hat er diese Kenntnisse und Erfahrun-
gn durch ausgedehnte Reisen im Jn- nnd Anslande vcr-
tieft nnd ergänzt. Er hat Rutzland, die Türkei,
Osterreich-Ungarn, Jtalien, die Niederlande, Belgien,
die Schweiz und England in zum Teil längercn Reisen
besucht und sich namentlich mit den dortigen Eisenbahn-
einrichtungen vertraut gemacht. Ebenso ist er seit ihrem
Entstehen Mitglied der Studiengesellschaft für elektrische
Schnellbahnen, deren Arbeiten die Anfmerksamkeit aller
Techniker der ganzen Welt fesseln.

In aller Erinnerung ist noch sein kräftiges Eintreten
im Auftrage des Chefs des Generalstabes, Grafen
Schlieffen, für das Zustandekommen des Rhein-Weser-
Elbekanals im preutzischen Abgeordnetenhause. Alle
Freunde des Ausbaues unserer kiinstlichen Wasserstratzen
iverden seine Berufung an die Spitze des Ministeriums
der öffentlichen Nrbeiten deshalb mit Freude begrlltzen;
denn sie können vertrauen, datz er alle Kräfte anspannen
wird, nm das vertrauensvolle Wort seines Vorgängers
v. Thielen „Gebaut wird er doch" wahr zu machen. Di«
Ernennung Buddes giebt eine Bürgschaft dafür, datz die
Kanalvorlage zur richtigen Zeit wiederkommen wird.

Aus Stadt und Land.

Ziegelhausen, 22. Juni. (Die Enthüllung des
Kriegerdenkmals) fand letzten Sonntag hier statt.
Bnrgermeister Hummel brachte am Denkmal ein Hoch auf
die hiesigcn Beteranen, noch 28 von 74, die einst ins Feld
gezogcn tvaren, aus. Pfarrer a. D. Hagenmeyer hielt die Fest-
rede, dcren Grundgedanke war: Dankbarkeit fnr die erkämpfte
Freiheit und Grötze des dentschen Vaterlandes und dankbares
Gedcnken der teuren Toten. Er schlotz mit einem Hoch anf
das deutsche Vaterland und seine höchsten Vertreter Kaiser
und Grotzherzog. Herr Welz dankte im Namen der Veteranen.
Sein Hoch galt der Gemeinde Ziegelhausen. Die Feier wurde
verschönt druch die Gcsänge dcr Liedertafcl und des Lieder-
kranz und durch die Vorträge der Militärkapelle aus Heidel-
berg. 14 Kränze wurden auf den Gräbern der Veteranen nie-
dergelcgt, wobei Herr Welz in herzlichen Worten die toten
Kameradcn ehrte. Auf dem Bankettplatze brachte Herr Pfar-
rer Hagenmeyer ein begeistertes Hoch auf den Grotzherzog
aus. Bürgermeistcr Hummel vcrlas cin Danktclegramm des
Grotzherzogs auf die Huldigung der Fcstversammlung hin.

-r- Waldhilsbach, 23. Juni. (F a h n e n w e r h c des
M i l i t ä r v e r e in s.) Am Sonntag fand hier die Fahneu-
weihe des Militärvereins statt. Der Berein wurdc erst vor
etwa 5 Jahrcn durch den derzeitigen Vorstand, Herru Alt-
bürgermeister Ganl, gegründet. Am Samstag Abend war

Zapfenstreich, Sonntag frllh Weckruf und Böllerschietzen. Rach
12 Uhr trafen die auswärtigen Vereine ein. Nach 2 Uhr
bewegte sich der Festzug durch den festlich geschmückten Orü
Herr Oberstleutnant Heusch aus Karlsruhe, als Vertreter
des Präsidiums, und Herr Rittmeister Reusch von Neckar-
gemünd, Vorsitzender des Gauverbandes, nahmen vor dem
Schulhause öie Parade ab. Nach Ankunft des Festzuges auf
dem Festplatze ivurde die Feier mit einem Marsch eröffnet.
Der hiesige „Licderkranz" unter Leitung des Herrn Kapell-
meisters Schneebergcr trug das Lied „Grutz ans Vaterland"
vor. Hierauf begrützte der Vorstand, Herr G a u l, die Gäste.
Nach einem weiteren Lied ergriff Herr Hauptlehrer Ebner
das Wort zur Festrede, in welcher er auf die hohe Bedeutung
der Fahne unter Bezugnahme auf die Regimentsfahnen hin-
wies und schloh mit einem begeistert aufgenommenen Hoch auf
Se. Majestät Kaiser Wilhelm und Se. Kgl. Hoheit den Grotz-
hcrzog. Hierauf wurde von der Festdame, Fräulein Barbara
Schwag, die Fahne mr den Fähnrich, Herrn Ph. Rein-
h a r d, übergcben; beide trugen die von Herrn Hauptlehrer
Ebner hiezu verfatzten Gedichte sehr schön vor. Alsdann er-
griff Herr Rittmeister Reusch das Wort, die Mitglieder er-
mahnend, allzeit ihre Aufgabeu und Pflichten als alte Sol-
dateu treu zu crfüllen. Er schlotz mit einem Hoch auf den
Vereiu. Hierauf überreichte Herr Oberstleutnant Heusch
dem Verein Gauangelloch die von Sr. Kgl. Hoheit gestiftete
Medaille, ermahnte die Mitglieder des Gauverbandes, sich
allzeit den soldatischen Geist zu wahren und wies insbesondere
aus die FLrsorge und Liebe hin, welche Se. Kgl. Hoheit der
Grotzhcrzog den Vercinen angedeihen lätzt. Herr Heusch schlotz
mit einem Hoch auf Präsidium und Gauverband. Der Feier
folgte gemütliche Unterhaltung und Tanz. Heute findet uoch
cine Nachfeier mit Frühschoppen, Bolksfest und Ball statt.
Möge der Verein wachsen, blühen und gedeihenl

Wiesloch, 18. Juni. (Das hiesige Elektrizi-
tätswerk.) Es dürfte, so schreibt man der „Stratzburger
Post", nicht allgemein bekannt scin und deshalb doppclt inter-
essieren, datz unter den mit Dampfkraft arbeitenden
Elektrizitätswerken Deutschlands sich hier das
ausgedehnteste befindet. Bekanntlich liefern ja die
Elektrizitätswerke in Rheinfelden die bedeutendste Strom-
menge, doch wird dort nicht Dampf, soudern die Wasserkraft der
Rheinstromschnellen zur Erzeugung nutzbar gemacht. Das
Wieslocher Werk ist Eigentum der Aktiengesellschaft „Ober-
rheinische Elektrizitätswcrke". Die gesamte hier vorhandene
Anlage umfatzt zur Zeit in drei liegenden Tandem-Dampf-
maschinen mit Präzisionssteuerung eine Gesamtleistung von
1000 Pferdekräften; der Strom wird infolge geeigneter An-
bringung der Elektromagneten direkt durch je ein fünf Meter
hohes Schwungrad erzeugt. Wegen der andauernd sehr regen
Nachfrage nach Neuanschluh muh nun eine Erweiterung der
maschinellcn Anlage durch Erstellung eines Wechfclstromdynamo
von 1000 ?. 8. in Angriff genommen werden. Die Span-
nung, in Ivclchc der Strom sür die Fernleitung gebracht ist,
beträgt 10 000 Volt, bci Verwendung von einphasigem Wechsel-
strom. Nicht wenigcr als 21 Städte und Dörser der Amts-
bezirke Wiesloch, Bruchsal und Heidelberg mit eincr insge-
samtcn Einwohnerzahl von 43 680 werden mit Licht und
Krafi versorgt. Die Fernleitung crsteckt sich zu einzelnen
Ortschaften bis 23 Kilometer vom Werke. Der Flächeninhalt
dcs mit Strom versehcnen Gebietcs beträgi 146 Quadrat-

Per Drefchgraf vor Kerichl.

Aus der G e r i ch t s v e r h a n d l u n g in Glogau gegen
den Grafen Pückler berichten die Blätter u. a. Folgeu-
des. Es handclt sich bekanntlich um Zerstörung einer Feldbahn
ünter Gefährdung von Menschenleben. Graf Pückler:
^rch dachtc, das ist einc kleine Sachbeschädigung, da kann er
^nich vcrklagcn. Vo r s.: Ein Unglück ist doch hier nur durch
^snen Zufall verhindert worden. Graf Pü ck l e r lachend:
^ch hätte keine Anzeige gemacht; ich hätte das als Scherz
dufgcfatzt. Jch wollte dem Manne einen kleincn Schabernack
wl.elen. Jch hätte nicht geglaubt, datz er das anzeigt. Vo r s.
Tas konnte doch auch ein anderer zur Anzeige bringen. Sie
M>d doch selber Jurist gewesen. Sie waren Referendar?
Graf Pückler : Ja, Gott, ich bin eine Zeit lang Referendar
öetvesen. Jch habc es als Scherz, als Spatz aufgefaht,
uuherdem war ich in der Politik thätig; ich habe gar nicht
un die juristische Seite gedacht. Das war vielleicht unüber-
^gt. (Lachend.) Jch glaube, es liegt in meinem Charakter
etwas Gewaltsames. Jch hätte es nicht für möglich gehalten,
uah eine Strafanzeige crfolgt. Jch war immer so koulant,
1000 Mark hätte ich fordern können, denn cr mußte das Land
haben. — Die vier Arbciter sagen aus, sie hätten den Befehl
"efolgt, weil der Graf ihr Brotherr sei und sie ihres Brotes
Pcht verlustig gehen wollten. Graf Pückler: Die Leute
ünd eben gcwöhnt, zu thun, was ich befehle, ich bin Ler cinzig
°erantwortliche Redakteur. (Heiterkeit.) Jch nehme alles auf
wich. Der Staatsanwalt behält sich Zweifel vor, ob
°er Graf die Tragweite seiner Handlung zu erfassen in der
s^age war, er beantrage Freisprechung. Vors.: Haben Sie
5?ch etwas zu bemerken, Herr Graf? Graf Pückler: Jch
°>tte Rücksicht zu nehmen auf meine soziale Stellung und aus
z'eine Thätigkeit als politischer Führer, als Führer der natio-
Wsfn Parteien. Geh. Sanitätsrat Dr. Neumann (Ein
lOjähriger Herr, der die Feldzüge mitgemacht und das Eiserne
»lseuz besitzt) leistet den Zeugeneid. Vors.: Was ist Jhre
^teinung? Sachverständiger Dr. Ncumann: Es ist
'Ne etwas schwierige Frage, die an mich herantritt, weil ich
>°ch uiemals mit dem Grafen Pückler gesprochen habe, wir
^ben uns zuweilen wohl gesehen. Jch habe eine ganze Rsche
Zeitungsberichten erhalten, Gespräche gehört usw., nach
fven allerdiugs Graf Pückler sich in früherer Zeit etwas
^futümlich . . . Gras Pückler (unterbrechend): ver-
Z-chen Sie, foll der mich aus meine geistige Zurechnungsfähig-
iw "tz^Cuchen? Jch fasse das als persönliche Beleidigung auf,
B weitz ganz genau, was ich zu thun und zu lafsen habe. Vors.:
bitte, sich ruhig zu verhalten. Graf Pückler: Jch er-

kläre also, datz ich das als persönliche Beleidigung auffasse,
ich bitte sich danach zu richten. Vors.: Jch ersuche Sie, sich
zu mätzigen, Sie haben den Herrn Sachverständigen nicht zu
unterbrechen. Graf Pückler: Als persönliche Beleidigungl
Jch erkläre das hiermit, wenn jemand mich auf meinen Gcistes-
zustand untersuchcn will, denn ich gehöre mit zu den Führern
der politischen Parteien. Vors.: Es ist der Antrag gestellt
worden, dcn Gutachter zu vernehmen, also bitte, unterbrechen
Sie uns nicht weiter. Graf Pückler: Jch bitte die Herren,
die Konsequenzen sich zu überlegen. Vor s.: Jch bitte den
Herrn Gutachtcr fortzufahren. Geh. San.-Rat H. R e u -
mann: Jch weiß nicht, ob Graf Pücklcr an Krankheiten früher
gelitten hat oder ob iu seincr Familie irgendwelche geistige
Störungen vorgckommen sind. (Graf Pückler ruft: Nie-
mals, niemals l) Ob er erblich belastet ist. Gras Pückler:
Auch nicht. Der Vorsitzende fordert den Grafen Pückler wieder-
holt auf, den Gutachter nicht zu unterbrechen. Geh. San.-Rat
Dr. Neumann: Jch kann nur sagen, datz er mit eincm
Grötzenbewutzisein, icb will nicht sagen mit Grötzenwahn be-
haftet ist. Seine Rede am 6. Juni dieses Jahres in Bcrlin
war derart, datz man sich wundern mutz, datz cin Herr, der
Osfizier gcwcsen ist, der Fura studiert hat, dcr den höchsten
Kreiscn angehört, sich in emer solchen matzlosen Weise uu?-
drücken kann .... Graf Pückler (unterbrechend) : Das
war eben notwcndig. Vors.: Seien Sie doch still! S a ch-
verständiger . . . . sich solche Schimpfereien erlaubt.
Wenn er auf die Juden schimpft, wie kommen die Glogauer
Juden dazu, datz diese ganz besondcrs beschimpft wcrden?
Graf Pückler (unterbrechend): Gehört gar nicht hierher.
Vors. weist diese Unterbrechungen scharf zurück. Graf
Pückler: Aber das ist doch für mich beschimpfcnd, daß der
Mann übcr meine geistigen Eigenfchasten schimpft. Das ist
doch ein Skandal, man Ivird immer wie ein Schust behandelt.
Sachverständiger: Verfolgungsideen kommcn zum
Vorschein in jener Rede, wo er behauptetc, datz man ihn in
der Schweiz habe vergiften wollen. Graf Pückler (schrei-
end): So ist es auch gewesenl Wenn ich sage, so ist es gewesen,
dann ist es so. Jch möchteSie mal sehen, wenn Sie Gift schlucken
müssen . . . . Vors. macht den Angeklagten, der in immer
größerer Erregung schreit, auf die Folgen aufmerksam und
droht ihm sofortige Abführung in dreitägigen Arrcst an.
Sachverständiger: Er sagte dann wciter in der Vcr-
sammlung, datz er die Bahn kurz und klein geschlagen habe,
und daß er von den Gerichten unanständig behandelt werde.
Graf Pückler: Unwürdig habe ich gesagt. Jch bitte das
zu konstatieren. Der Sachverständige kommt nun noch-
mals auf die Vergiftungsgeschichte zurück und erklärt: da kann

man den Mann nicht mehr für normal halten. Graf Pückler:
Dann sind Sie es auch nicht, verehrtcr Herr, ich werde Jhnen
meinen Kartellträger schicken. Vorf.: Jetzt sind Sie endlich
einmal still. Setzen Sie mich nicht in die Lage, Sie abführen
zu lassen. Sachverständiger: Es würde sich em-
pfchlen, den Angeklagteu auf scchs Wochen in eine Landes-
irrenanstalt zu bringen. Jch beantrage dieses. Erstcr Staats-
anwalt Koblick: Jch glaube, über diesen Antrag wird das
Gericht hinwegkommcn könncn. Was hier zur Sprache ge-
bracht ist, ist ja wohl nicht derart, datz man daraus dcn Be-
wcis schöpfen kann, datz Graf Pückler sich in einem solchen
Gcisteszustand befand, bei dem eine freie Willensmeinung
ausgeschlossen war. Wenn sich der Gerichtshof meincn Aus-
führungeu von vorhin anschlietzt, crübrigt es sich, dem Antrag
dcs Gutachters stattzugeben. Jch beantrage Freisprechung.
Vors.: Haben Sie noch etwas zu sagen? Graf Pückler:
Nein, ich finde es unerhürt. Vors.: Werden Sie still sein,
Angeklagter? — Während der hicrauf folgenden Bcratung des
Gcrichtshofes führt Graf Pückler laute Selbstgespräche: Das
ist unerhörtl Jch, der ich seit drei Jahren für Deutschland
fcchte, das ist eine Beleidigung. — Das ll r t e i l lautete
bekanntlich, datz Graf Pückler imBesitz scincr Gci-
steskräftc ist. Graf Pückler wird zu sechs Wochen
und Jnspcktor Kirchner zu vier Mochen Gefängnis verurteilt
und ihnen die Kosten des Verfahrens auferlegt. Die vier
Arbeiter wurden frcigesprochen.

Eine eigenartigc Beleuchtung erfährt die Annahme des
Gerichtshofes, Graf Pückler sei geistig gesund, durch den Um-
stand, daß Pückler an sein Organ, die „Staatsbürgerzeitung",
solgendes Telegramm richtete: „Jch bitte folgenden Passus in
Jhrc Zeitung aufnehmen zu wollen: Gleich nach der Sitzung
habe ich dem Sanitätsrat Dr. Neumann eine Pistolenforde-
rung Lbersandt, welche derselbe jedoch ausgeschlagen hat. Der
Mann kann wohl anständige Leute beleidigen, hat jedoch nach-
her nicht den Mut, für diese seine Worte einzutreten. Jch
erläre dahcr den Dr. Neumann in Glogau öffentlich für einen

.Graf Pückler Klein-Tschirne." Das letzte Wort

lätzt die „Staatsbürgerzeitung" aus pretzgesetzlichen Gründen
fort.

G'raf Pückler hat auch dcm Vorsitzenden dcs Glogauer
Gerichtshoss cine Forderung auf Pistolen zugesandt,
Seitens des Landratsamts ist übrigens bei der Landcsregie-
rung bcrcits am Samstag die Unterbringung des Grafen
in cincr Jrrenanstalt zur Beobachtung seineZ Gcistcszüstandes
beantragt worden.
 
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