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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 125-149 (2. Juni 1902 - 30. Juni 1902)
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44. Jahrgüng. — >r. 146

Dounerstag 26. Juai 1W2. Aweites Blatt.

^rscheinr täglich, SonnregS auSgenoinnien.

Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in'8 Haus gebracht, bei der Expcdition und den Zweigstellen abgcholt 4V Pfg. Turch die Post be-
zogcn vierteljährlich 1.35 Mk. ansschließlich Zuslellgebühr.

A nz eig eu pr ci s: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeilc oder deren Raum. Reklamezeilc 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigcn ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen an bcstimmt
vorgeichriedeneu Tagen wird keine Perantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln dcr Heidelberger Zeitung und dcn städt. Anschlagstellen. Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

GisenöaZntarif-Kragen in der rvürttem-
öergischen Aögeordnetenkammec.

ii

Minisier dcs Auswärtigen Frciherr von Soden: WaZ
mc 4. Klasse anbclange, so habe die^Vcrwaltung bis jetzt keinen
^liilaß gehabr, von^sich aus dazu stellung zu uehmen, zumal
oei der seitherigeu -stimmung in dcr Kammcr. Der Eventual-
«nrrag Kicnc scheinc ihm nun zwar auf ciuen llnischwung
der Stimmung in der Kammcr hiuzuweiscn. Er wolle nun
abwartcn, was für cin Echo der Antrag Kiene finden werde.
^aun sei er ber-.it zu vcrsuchcn, mit dcn übrigcu Vcrwaltun-
?en cine Verstäiidiguug herbeizuführen. Sollte die 4. Klaffe
ber Weg sein zu einer Vereinheitlichuug, so würde er scine
-Ledenken gegen die 4. Klasse fallen lassen. Auf die Anfrage
rer Kammer und dcn Beschlutz vom 11. Mai 1901 sei er in
der Lage, schon jctzt die Erklärung der k. Staatsregicruug dcm
Hause mitzuteilen; er erkläre also im Namen und Auftrage
der k. L-taatsregierung, datz, was die Selbständigkcit dcr
württcmbergischen Eiscnbahuvcrwaltung betreffe, dic k. Sraats-
regierung den im Bcschlutz der beidcn Kammern scinerzeit
viedcrgelegten Standpunkt durchaus teile; die Regierung sei
Sweitens bercit, cntsprechend dem Ersuchen der Kammer darauf
hinzuwirkcn, datz die Bcstimmungen des Art. 42 der Reichs-
verfassung, wonach sämtlichc Rcgierungen sich verpflichten, die
deutschen Eisenbahnen wie ein einhcitliches Netz zu vcrwalten,
auch in Zukunft nnd zwar womöglich noch in erhöhtem Matze
ZUr Anwendung kommcn, und sich zu diesem Bchuf mit dcn
dabei in Betracht konunenden Bundcsregierungen ins Beneh-
wcn zu setzen.

v. G e tz (D. P.): Seine Frcunde scien darin cinig, datz
die Tarife vcreinfacht und ermätzigt werden sollen, sowcit das
^taatsinrcresse es gestatte. Mitzlich sei eine partielle Ermätzr-
öung, aber von einer generellen Tarifcrmätzigung könne zur
Zeit kcine Rede sein. Eine Verständigung mit den übrigcn
^erwaltungen sei anzustreben, was der Verkehrsrninister so-
^ben auch als Tendcnz der Regierung bezeichnet habe.

Bcrichterstatter Hautzmajn n - Bailingen ij(Vp.) t Dqr
Mnister sage, man wolle die Rcform mit Rücksicht auf die
Ä'inanzlage etappenweise einführen. Mit Rückfahrkärten fah-
den schon vorher 90 Prozcnt dcr Rciscndcn rmd die Einführung
dieses Tarifs auch für die einfache Fahrt bedeute also keine
desonücre Reform. Dic zweite Erappe soll dann für die 3.
^lasse darin bestehen, datz am Preis drei Zehntel-Ps. verbilligt
werdc. DurcP diese unfühlbaren Herabsetzungen in lang-
lamem Tempo werde natürlich cin Anreiz zum Reisen in der
Aebergangszeit nicht erreicht. Tavon könne man sich cine
^requeuzsteigcrung nur iu geringcm Matze vcrsprcchen. Er
berrnisse eben die fühlbare Herabsetzung des Tarifs. Ucber
die 4. Klasse habe er schon vorhcr gesagt, datz dcr Schivabe, der
üe befürworte, dazu verurteilt gehörc, den Roten Adlcrorden
5- Klasse zu tragcn. Der Grundgedanke dcr bisherigen Ver-
handlungen war Vercinfachuug, die jehigcn Anregungen be-
dsuten aber einc Vervicrfachuug. Dcr Schalter- und Rangier-
diensr und der ganze Bctrieb werde komplizierter. 1. Klasse,
Klasse, Damcnkoupee, Rauchivageu und alle möglichcn Kou-
müsscn auf dcn Stationen zusammengestcllt werden.
?veiiu dazu vollcnds noch dic 4. Klasse komme, dauu werde
drr Apparat noch verwickclter. Dabci werdc auch der Aufwand
öbötzer. Auch ivürde cin autzcrordentlich starkes Abflietzen aus
?^r g. Klasse in die 4. Klasse stattfindcn. Jm glcichcn Matze
würde die 3. Klassc bequemer für die Reisenden 2. Klasse und

2. Klasse willkommen für die 1. Klasse. So habc man
s9i Abrutschcn des Ausfalls durch allc Kätcgorien. Man
Me an die Regieruug das Ersuchen richten, die 1. Klasse in
7,bgang zu dekrcticrcu. Die Fortführung dieser Klasse sei
»'bglich gewescn, so lange man keine genauen Zahlen gehabt
e^be; uach dcm gestern Gehörtcn aber sei die Beibehaltung
^rselbcu in inncrwürtrcmbcrgisckicn Zügen nicht mchr gerecht-
^Nigt.

e m b o l d - Gmünd (Zcutr.) bcfürwortet scinen An-

trag. Er und seine Freunde würdcn es gern sehen, weun eine
allgemeine Ermätzigung möglich wäre. Sie seien dcr Ansicht,
datz der bestehende Tarif nicht nur die vermögendcn Klassen
begünstige, sondern auch das Land gegenübcr den grötzeren
Städten in Nachteil sehe. Er sei der Ansicht, datz wir in
erster Linie hinzuwirken haben auf eine Verbilliguug des Nah-
verkehrs. Sein und seiner Freunde Vorschlag gehe ja auch
nur dahiu, die Beschlutzfassuug zur Zcit auszusctzcu. Die
Tendenz der andcren Vorschläge billige cr vollstündig; alleiu
es habe sich von den gestellten Vorschlägcn bis jetzt noch kciner
als einwandfrei erwiesen. Alle diese Vorschläge würdcn höchst
wahrscheinlich, wenn auch nur vorübergehend, Opfer von uns
verlangen, die dre derzeitige Fiuanzlage nicht gestatte. So
vicl sci sicher, datz die Lage durchaus keine rosige sci.

Für die Gegenden, die schon Eisenbahnen haben, spiele die
Herabsctzung des Tarifs von 3,4 auf 2 Pf. nicht die Bedcutung,
die für dic vom Verkehr noch ausgeschlossenen Gebiete die Er-
reichung einer Bähn überhaupt habe. Diese Gegenden tragcn
an der Steuerlast ebenfalls mit und es kann nicht gleichgiltig
sein, ob rhre Steuerkraft zurückgeht. Was die 4. Klasse an-
belange, so scheine ihm persönlich dieser Weg noch als der
gangbarste. Freilich hätte die Sachc recht wcnig Wert, wemr
die Nebenbähncn ausgeschlossen würden. Um ein soziales
Auseinanderziehen könne es sich nicht handeln. Es handle
sich auch nicht um vcrringcrte <Kquemlichkeit für den, der mit
grotzem Gepäck reisen wolle. Jm übrigen sei er der Ansicht,
datz auch die Einführung der 4. Klassc einen zu groheu Aus-
fall zur Folge haben werdc. Er halte cs deshalb für das
beste, man verschiebe die Entscheidung dicscr Frage.

M a i e r - Blaubeuren (D. P.): Man habe gestern und
heute viel von dcr 4. Klasse gcredct. Er wolle gestehen, datz
er auch einer derer sei, die dcn Antrag auf Einführung der
4. Klassc im vorigen Jahre unterschricben haben, und er schäme
sich dessen nicht. Wenn man sage, man solle dcu Vcrkehr auf
die breite Masse aufbaucn, dann sci cs doch am cinfachstcn,
die 4. Klasse cinzufüyreu. Die Trcnnung der Reisenden dcs
Nahvcrkehrs und dcs Fernverkehrs sci im beiderseitigen Jnter-
essc durchaus zu begrützen. Ob man dicse Wagen Nahverkehrs-
wagcn oder Wagen 4. Klasse heitze, das kommc doch auf das
Gleichc heraus. Datz sämtliche oder die meistcn Reisenden

3. Klassc in die 4. Klasse übergehen werden, sci nicht zu be-
fürchten, dic Erfahrungen anderer Verwaltungcn sprechen da-
gegcn.

Hildenbrand (Soz.): Es sci sehr bedauerlich, dah
einesteils die Generaldirektion von ihrcm früheren Weg ab-
gekommen ist, und daß andererseits dasselbe Haus, das vor
einiger Zeit die Einführung des 2 Pf.-Tarifs befürwortet hat,
heutc auf dem Standpunkt stehe, die Sache lieber ad calendas
graccas zu vertagen. Diese Abschwenkung von den früheren
Anschauungen sei im Jntercsse des Volkcs sehr zu bedaueru.
Gerade dann, wenn wir iu einer schlechten Finanzlage sind,
habe die Staatsrcgicrung die doppcltc Pflicht, durch die Tarif-
crmätzigung äuf cine Steigerung des Verkehrs und der Ein-
nahmen hiuzuwirkcn. Jn Hessen habe die Einführung dcr

4. Klasse eine so starke Verkehrssteigerung herbcigeführt, datz
man sie geradezu als Argument für nnsere Gemcinschaft mit
Preuhen angeführt habe. Wenu der ^lriegerbund eine grotze
Frequenz seiner Verbandsfestc haben wolle, dann komme er
um eine Tarifermützigung cin. Das sollte sich die Berwaltung
als Beispiel dienen lasscn, iudem sie uicht uur bei Festen, son-
dern überhaupt dern allgcmeinen Verkehrsbedürfnis entgegcn-
kommt. Die Eiiiführung der 4. Klasse vermindert die
Bequemlichkeit der Reisendcu ohne finanziellen Gewinn. Aus-
fälle werdcn trotzdem eintretcn und man tausche dafür ledig-
lich die Unbequemlichkeit ciu. Dic 4. Klasse sei nicht als solche
populär, sondern nur, weil sie den 2 Pf.-Tarif bringe. Die

; Schaffung cines Verkehrs, dcr den Marktbedürfnissen angc-
i paht ist, sei der Generaldirektiou jcderzeit auch ohne Besprech-
j uug im Hausc als reine Verwaltungsmatzrcgel möglich: dazu
! brauchc man doch kcinc 4. Klasse, das könne man cbenso iu
! der 3. Klasse durchführen.

Novellette von E. Fahrow.

(Nachdruck verboten.)

Tie wohute dcm Gcfängnis gcgenüber.
u Da sic cin modcrncs Mädchen war, das hcißt, da sie trotz
II ucrvöscn Veranlagung auch voller romantischer Jdecn
s>Eckte, hattc sic nickst geheiratet: sic war dazu nicht „praktisch"
tzenn sonst hätte sie schon sechs, ncin, zehnmal wählen
^steu. Uber sie wollte nicht.

^ Sie hietz nicht umsonst Leonie, denn sie besatz eiu Löwen-
i,,, 6 und Löwengrotzmut neben cinem verborgencn Stolz, der
? zuweilen aus ihren sanfteu, schimmernden, blaugrauen
"3eu hcraussah.

Autzerdem besaß sie Geld. Und dieses (oder vielmehr der
ik^stgel daran bei einem anderen) hatte sie unglücklich ge-
s^">t. Ucberhaupt hatte sie allerlei Unglück, auch im Kleinen,
gchörte z. B. dcr Umstaud, datz ste dem Gefängnis gegen-
^ wohnte.

Vergnügen war es auch wahrlich nicht, im Sommer
^t,-^hlfnetem Fenster dic Stimmen und die Gesichter der
^Bliuge vor sich zu haben.

..-^a satzen sie hinter dcn eisernen Gittcrn und starrten
hjiRber; eiuigc gleichgüllig, einigc ueugierig, andere mit vcr-
^Ncu und eiuige mit traurigen Mienen.

!>i„ ^coaic kannte sie alle dem Ansehen nach und wutzte es,
' " sie gewechselt hatteu.

^„Trcrii sah sie natürlich nicht hin. Wer wo gäbc cs einen
Bchcu, der es dann nicht gerade erst recht thäte?
dx^^ie jhrerseits konnte nur wenig von ihnen gesehen wer-
hffck dcun ihr Lutherstuhl auf der geschnitzten Estradc stand
tq„ ^ Palmen versteckt, und ihr Schreibtifch am andcrn Fenster
qf" Tchatten eines rotseideuen chinesischen Fenstervorhangs.
lieü""! dicsem Sehrcibtisch sitzt auch jetzt wieder Leonie und
alte Briefe, und die feste weihe Haud, welche die Blätter

hält, zittert ganz unmerklich. Gott sci Dank, der Vater ist
ausgegangen, sic hat einige ungestörte Stunden für sich.

Was sie da liest, sind altc Liebesbriefe natürlich. Aber
ihr Auge trübt sich wie vor drei und vier Jahren, als sie sie
erhielt .Damals weinte sie vor Glück, nnd jetzt weinte sie vor
Traucr, datz so viel Sonncnschein und unsäglich feines Weben,
wic cs in jeuer Liebe lag, vergehen konntel

Datz andcre Mcnschenhände die Kraft habcn konnteu, sie
beidc voneinander zu reitzenl Ah, und Leonic knirschte mit
den Zähnen.

Während sie am Schreibtisch sitzt, zieht drautzen eiue
Wolkenwand am Somnierhimmel auf und verdunkclte das
Licht im Zimmer; Leonie zieht den roten Vorhang mit dem
verdreht tanzenden und hundertmal wiederholten Chinesen-
paar am Rande zur Scite und liest weiter. Nach einer Weile
hat sie eiu unbehagliches Gefühl, als würde sie beobachtet;
sie wendct den Kopf ein wenig und sieht mit halbcm Blick
drüben mehrere Gcfangcue an dcn Fenstern der Wandelgänge
stehen. Bah, cs sind die alten, von vor vier Wochen, mögen
fie immcrhin Leonies hübsches Profil ansehen, das wird sie
jetzt nicht stören.

Oder doch? Nach fünf Minuten steigert sich jcnes ner-
vöse, magnetische Gefühl so, datz Leouie das Gesicht ganz
herumwendet und — da — an dem einzelnen Fenster rcchts
— Allmächtiger!

Leonie starrt hinüber wie auf eiuc Geistercrscheinung.
Aber ist es denn nur möglich! Der da drüben mit dem blassen,
todcstraurigen Angcsicht,' kann das Horst sein? Jhr Horst,
deffen zerlesene Liebesbriefe ihr eben noch das Herz zerrissen
haben?

Einen Augenblick stürzt sie iu das Zimmer zurück, ringt
die Hände und stöhnt und tritt dann wieder an das audcre
Fenster, wo sie hinter den Palmen verstcckt sehen kann, ohne
gcsehen zu werden. — Ja, er war es! Das ernste, männliche
Antlitz, das fie so lauge, lange Zeit nicht gesehen hatte, das

Deutfches Reich.

— Jn einein Rnblick auf die Thätigkeit des Ptinisters
v. Thielen fpricht die „Nene Reichskorrespondenz" die
Uceinnng ans, die Bildung der p r e u tz i s ch - h e s s i-
schen Vereinig n n g dürfe, wenn nicht alte Zei-
chen trügen, mit der Zeit den Ausgangspnnkt der Ein-
heit im deutschen Eisenbahnmesen bilden. — Datz man
in Berlin so denkt, ist zwar in KarlSruhe und ander-
wärts bestritten worden. Hier sindet man es wieder
bestätigt.

— Eine grotze Polendersa m m I u n g in
Dortmund beschlotz, bei der nächsten Reichstagswahl
in den Kreisen Bochmn und Dortmund eigene Kandida-
ten aufzustetten.

— Anfsehen erregte seinerzeit die Klage, welche 7
Hamburger Werftarbeiter gegen die Firina Blohm und
Votz aus Schadenersatz gerichtet haben, weil sie vor
zwei Jahren ausgesperrt worden sind. Mese
Klage, die imter grotzeni Tandem dcr sozialdemokratischen
Presse in Szene gesetzt wurde, sollte nur ein Probe-
pfeil, ein Vorlänfer sein für die Klage mehrerer tansend
danials entlassener Arbeiter. Nachdeiki das Landgericht
die 5llage schlankweg abgelehnt hatte, hat jetzt anch daZ
hanseatische Oberlandesgericht die Bernsnng der Kläger
ohne jede Beweisanfnahme verworfen. Tie Berusung
stützt sich hanvtsächlich darauf, daß in der Entlassnng fo
zahlreicher Arbeiter ein Verstotz gegen die guten Sitten
liege, der ans Grund von Paragraph 826 des Bürger-
lichen Gesetzbuches eine Schadensersatzpslicht begründe.
Daß etwa die Entlassmigen nnter Verletznng der kontrakt-
lichen Bestimmnngen ersokgt seien, haben die Kläger in
der zweiten Jnstanz nicht behauptet. Vielmehr grün-
deten sie ihre Klage daranf, daß die Entlassung infolge
eines allgemeinen Beschlusses der Arbeiter ersolgt sei.
Gleich dem Landgericht hat auch das Oberlandesgericht
hierin einen Verftotz gegen die guten Sitten nicht er-
blickt. Denn es ist das gnte Recht jedes Nrbeitsgebers,
seine Arbeiter zu entlassen, wenn er nnr die gesetzlichen
oder vertragsmäßigen Kündigmigsfristen einhält. Der
Standpunkt dieser Klage würde Zn der allgeineinen An-
erkennung eines Rechtes aus Arbeit nicht nnr gegenüber
dem Staate, sondern auch gegenüber dem Privaten Ar-
beitgeber führen, wahrend den Arbeitern ein unbe-
schränktes Ausstandsrecht gesetzlich verbiirgt ist. Es ist
kein Zweifel, datz der Hamburger Prozeß auch noch das
Reichsgericht beschäftigen wird. Denn die Sozialdemo-
kratie hat, wie sie von vornherein osfen erklärt hat, ihre
Hoffnnng gerade auf das Reichsgericht gesetzt. Man
wird der Entscheidnng des Reichsgerichts, die von großcr
grnndsätzlicher Bedeutung sein wird, mit lebhaftem Jn-
teresse entgegensehen müsfen.

— Jn der Kruppschen Gnßstahlsabrik macht sich seit
einiger Zeit ein empsindlicher A r b e i t s m a n g e I in
den Bctrieben bemerkbar, die K r i e g s m a t e r i a l her-
stellen, also namentlich in den Lafetten- und Kanonen-
werkstätten, sowie in den verschiedenen Abteilnngen des
Fahrzeugbaues. Vor einigen Tagen wnrde 500 Ar-
beitern gekündigt, und jetzt wurden zwei Werkstäten des
Fahrzeugbaucs völlig geschlossen. Jn den Werkstätten,
in denen „Friedensmaterial" hergestellt wird, ist der
ArbeitSmangel nicht so sehr sühlbar. Ein kleiner Teil
der gekündigten Arbciter wird diesen überwiesen werden

schnute da drüben hinter dem Eisengitter hervor, und suchte
mit den Augcn nach ihr, mit bangen, verzweifelten Augen.

Hinter Leonie öffnet sich die Thür und ihr Vater tritt
herein. — Alter Herr, alter Herr, in diesem Augenblick gehen
deine ganzen Jntriguen und Wünsche in Scherben. Deine
Tochter hat ihren Geliebten iviedergesehen, den du aus der
Stadt vertricben hattest, uud sic wird nun die Fesseln ab-
schütteln, die du in greisenhafter Verblenduug uud Selbstliebe
ilm sie gelegt hast.

„Nun?" fragt der Geheimrat und legt dic Abeudzeitmig
auf den Tisch.

„So unthätig? Wie kann man uur bei diesem Gegen-
über am Fenster stehen?"

„Jch habe die Wohnung »icht gcmietet, Papa."

„Logische Antwort!"

Der Geheimrat spricht immcr ironisch — aber geradc jetzt
fällt Leonie dieser Ton unangenehm auf uud reizt sie. Sie
fagt jedoch nichts, soudcru klingelt nach dem Mädchen, der sie
Auordnungeu für den Wendtisch giebt. Dann wartet sie, bis
ihr Vater seinen gewohnten Platz auf dem altmodischen Sopha
cingenommen hat, das in der Nebenstube stcht, setzt sich
ihm gegeuüber mit einer Häkelei und fragt ganz uuvermittclt:
Weshalb ist Horst Elfinger im Gefängnis?"

Der alte Herr fieht sic einen Augenblick berblüfft an,
dann treibt ihm die uncrwartete Frage sofort die Galle ins
Blut, und er antwortet mit schwcllenden Stirnadern:

„Wcnn cr dort ist, so ist das der einzige Ort, wo cr hinge-
hört! So haben sich also alle Meinungen übcr den sauberen
Huugerlciöer glänzend gcrechtfertigt!"

„Ja — gläuzend!" sagte Leonie mit dcr ganzen Jronie,
die ihr Vater ihr durch Beispiel und Vererbuug eingepflanzt
hat.

Es war uuklug vou ihr gewcscn, das Thcma auf diese Art
auzuschlagen, sie gotz Oel auf das halbverlöschte Feuer, aber
mm war es cinmal gescheheu und der Geheimrat fuhr fort:

„Natürlich habe ich von dem netteu Prozetz gehört, irr
 
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