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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 17.1906

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Schulze, Otto: Wohnungs-Kunst, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12313#0173

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INNEN-DEKORATION 165

so haben Sie ein unvergleich-
liches Bild von licht- und
farbenflutender Ungebunden-
heit. — Knapp 50 Jahre
dauert dieser Traum. Es
folgt so etwas wie Ernüch-
terung , Katzenjammer Er-
wachen mit Moraldusel. Ein
plötzlicher Umschlag, genährt
durch ein abermaliges Her-
einziehen der klassischen
Kunst durch die in diese Zeit
fallenden ersten Ausgrab-
ungen an den Stellen der
verschütteten Städte Pompeji
und Herkulaneum leitet zur
strengeren Linie über, an die
Stelle der imponierenden Per-
rücke tritt der steife, so durch-
aus unpersönliche Zopf. Philo-
sophische Spekulation regt
sich neben der exakten
wissenschaftlichen Forsch-
ung. Einem Leibniz, Lessing
sind ein Rousseau, Kant,
Winckelmann gefolgt. Durch
die Werke des letzteren er-
steht der damaligen Welt
die Kunst der Antike zum
zweitenmale, d. h. nach 300
Jahren, in welcher Zeit die
Renaissance ihren ersten
Siegeszug antrat. In letzter
Linie ist das Rokoko ja nur

ein verseichter versÜSSter und ludwig hohlwein—München. Haus Wiedemann. Baderaum. Wandbehang

' Natur leinen mit Applikationen, Möbel weiss

mit Korinthen Und Mandeln lackiert, Wand und Bad weisse Fliesen. Aus-

durchsetzter Renaissance- führung: Schreinermeister Teufel-München.

kunst-Abfall.

Der Stil Ludwig XVI., des Sündenbockes und zuvor. Frankreich hat seine Revolution, deren
Opferlammes aller französischen Ludwige, ist das Ausläufer über ganz Europa zucken.
Gegenteil des Rokokos. Voller Grazie und ge- Die Gewaltmenschen jener Zeit träumen sich
messener, teils pedantischer Schönheit, zurück- in die Glanzzeiten der griechischen Freistaaten und
haltener Feierlichkeit, scheint dieser Stil eine von der römischen Republik zurück; die Weiber kleiden
Staatswegen diktierte Dekorationsweise zu um- sich in nach antiker Art geraffte, geschürzte und
fassen. Er ist der Stil eines scheinbar gleichmässig ornamentierte Gewänder. Das Fleisch wird öffent-
und korrekt funktionierenden Staatswesens, das lieh spazieren geführt, die oben sehr kurzen Ge-
höfische Zeremoniell einer zweifelsohne soliden wänder sind unten reichlich lang, chik wird des
Kunst. Schade, dass dieses Zeichen am Ende eines Kleides Schleppe oder reichlicher Faltenwurf über
Jahrhunderts steht, dessen Menschen in halber Ver- den Unterarm getragen, um das modische Schuh-
rücktheit zu Ferkeln und Schweinen, zu rohen, werk mit den um das Unterbein geschlungenen
blutgierigen Bestien, oder, sinnbildlich gesprochen, Bändern zu zeigen, auf jeden Fall viel vom Bein,
zu kopflosen Marionetten werden. Das grausige Und derweil sich die Frauen so entblösst, ja,
Nachspiel beraubt sie auch der wirklichen Köpfe. Historiker brauchen das Wort »fast nackend«, zur
Mensch und Bestie prallen auf einander wie nie Schau stellen, zeigen sich die Männer wie ein-

1906. VI. 8.
 
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