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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 17.1906

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Schaukal, Richard von: Die sogenannte "moderne" Wohnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.12313#0354

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346 INNEN-DEKORATION

Architekt ludwig hohlwein. Dekoration im Korridor des I. Stockes.

DIE SOGENANNTE „MODERNE" WOHNUNG.

Wer als Wohnungsucher in der Großstadt
nicht so glücklich ist, durch Zufall an eines
jener alten Bürgerhäuser zu geraten, die in dem
wüsten Lärm der Baulichkeiten stille Inseln des
Friedens erlauchter Tradition vorstellen, — Inseln, die
über kurz oder lang, den rastlos leckenden Wogen
der »Baubewegung« zum Opfer fallen müssen —
dem bieten sich, mittlere Verhältnisse und Ansprüche
angenommen, abgesehen von dem öden Schema der
Cottagevillen, folgende zwei Typen zur Auswahl:
das Riesenhaus der 70—80 er Jahre im Parvenustil
der von Karyathiden gestemmten Balkons, Sieges-
göttinnen über dem von Riesen-Firmenschildern
bewachten Renaissanceportal, hohe Zimmer, hohe
Fenster, finstre Vor- und Nebenräume, Stuckorgien
und Treppenkandelaber, — und das moderne Miet-
gebäude im »Sezessionsstil«. Portier, Aufzug, Bade-
zimmer und elektrische Beleuchtung haben beide
Typen gemeinsam, auch die Zinshöhe bleibt dieselbe,
ob man nun im Gründer- und Börsenstil oder im
Surrogat-»Kunst«-Geschmack der letzten Mode zu
hausen vorzieht. Die überladenen Fronten der 80 er

Jahre bergen ein kahles Protzenschema der falsch-
verstandenen Bewegungsfreiheit, die meist mit vielen
Farben beklecksten Fassaden des »neuen Frühlings«
schäkern mit putzigen Fensterrähmchen, und ihre
Eingeweide erfreuen das Auge des Höhenwanderers
durch einen unwahrscheinlichen Reichtum an glän-
zendem Holzanstrich. In jenen stößt man auf Schritt
und Tritt auf Milchglastüren mit Blumenvasen-
Mustern, grüne, rotbraune, violette und ockergelbe
Majolikaöfen mit Sträußchen, Brünneknoten und
Häckelzacken, »holzfarbige« Gipsgesimse; diese über-
bieten einander mit blauen und weißen Kacheln,
blechernen Gas»kaminen«, »stilisierten« Friesen und
eingelassenen Schränken. Schien dort die düstere
monumentale Treppe in eine fürstliche Bildergalerie
zu führen, so windet sie sich hier schwindelnd schmal
in einen Turm empor. Aber die elektrischen Glocken-
taster entsprechen allen Anforderungen an die
letzten Nouveautes des fashionablen Galanteriewaren-
händlers, und das Klosett befindet sich unbefangen
— Koquetterie der Hygiene — im Baderaum.
Natürlich zieht der Abonnent des »Studio« in
 
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