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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 21.1905-1906

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Thode, Henry: Die künstlerische Wiedergeburt des Menschen aus der Landschaft, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12156#0080

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KÜNSTLER. WIEDERGEBURT DES MENSCHEN AUS DER LANDSCHAFT

mehr Raum und eine nicht unwichtige Rolle
zuerkannt wird. Aber freilich niemals so
weitgehend, daß die Natur, als durch Stimmun-
gen vollbeseelt, von den Künstlern geschil-
dert wird, daß der Mensch, der sich als Er-
scheinung aus dem Kunstwerk gleichsam ver-
loren hat, in der Natur aufgeht, um sich in
ihr wieder zu finden, daß die Natur ein Spiegel
seines ganzen reichen Gefühlslebens wird.

Und hier ist der Punkt, wo sich die Er-
klärung dafür ergibt, daß in einer und der-
selben Epoche einerseits unter den bildenden
Künsten die Malerei, und zwar speziell die
Landschaftsmalerei, und andrerseits die Musik
eine solche Rolle spielt — die Verwandt-
schaft liegt in dem Stimmungselemente. Denn
da, wo die Malerei, wie in der Stimmungs-
landschaft, zu allgemeinsten, durch das Licht
bedingten Farbenwirkungen gelangt, nähert
sie sich, darf man sagen, der Tonkunst — bleibt
sie auch immer durch eine im Wesen der
Kunstarten begründete Kluft von ihr getrennt.
Insofern nämlich die farbige Erscheinung ähn-
lichen Stimmungswert erhält, wie das Material
der Musik: der Ton, in dem das Gefühlsleben
unmittelbar sich äußert, die Empfindung selbst
Stoff des künstlerischen Ausdrucks wird! Der
Vergleich ergibt sich eben daraus, daß in
einer solchen Landschaftsmalerei die Einzel-

bedeutung des Gegenständlichen, dessen be-
stimmteste Form in der menschlichen Erschei-
nung, die ja die plastisch ausgebildetste ist, ge-
wahrt wird, gegen farbige Gesamtwirkung zu-
rücktritt oder, besser gesagt, daß das Gegen-
ständliche in weitestgehendem Sinne subjektive
Gefühlsfärbung erhält. So und nicht anders
will es verstanden sein, wenn ich sage, die
Malerei gelange hier an die Grenze des Ge-
bietes, das der Musik besonders eigentümlich
ist. Immer aber haben wir, auf früher Gesagtes
zurückgreifend, zu betonen, daß in der Malerei
das Gegenständliche bleibt, mögen auch Bäume
und Wasser und Wolken so unmerklich in-
einander verschwimmen, wie in den Bildern
van Goyens oder Salomon Ruysdaels. Das
Gegenständliche bleibt und das Gegenständ-
liche ist entscheidend für unsere Gefühls-
auffassung. Der Wahn extremer moderner
Richtungen, es vernichten und bloßen Farben-
reizen die Wirkung von Tönen verleihen zu
können, ist in der letzten Vorlesung gekenn-
zeichnet worden. Das hieße, den Gesichts-
sinn seiner edelsten Fähigkeiten berauben und
zu nichtssagender Tändelei herabwürdigen,
indem er sich, zum Verzicht auf Erweckung
sachlicher Vorstellungen gezwungen, auf ein
bloßes Spiel mit Farbensensationen reduziert
sieht. (Der Schluß folgt)

ATT I LIO SACCHETTO VOR SONNENAUFGANG BEI TIVOLI (BLEISTIFTZEICHNUNG)

IX. Internationale Kunstausstellung München 1905

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