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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 21.1905-1906

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Kalkschmidt, Eugen: Zur Kritik der Kritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.12156#0433

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ZUR KRITIK DER KRITIK

Von Eugen Kalkschmidt

TV/er kein Freund von Sezieren ist, den raube. Sie fragen dann weiter: Welchem
" mag wohl eine Gänsehaut überlaufen, rechten Künstler habe die Kritik je geholfen?
wenn ihm zugemutet wird, sich die Anatomie Ihm je etwas gewiesen, was er nicht aus sich
anatomisch zerlegen zu lassen. Gleichviel, besser wüßte? Dagegen: wie vielen unwieder-
diese Dame kann es ja auch einmal bedürftig bringlichen Schaden habe das leichtfertig ab-
sein, wie nicht minder ihre große Feind- und sprechende Geschwätz, das durch die Sug-
Freundschaft. Für heute nur einiges Wesent- gestionskraft der Druckerschwärze zu etwas
liehe zur Erinnerung. Allgemeingültigem befördert werde, nichtschon

Brauchen wir denn eine Kritik in Sachen angerichtet, indem es verdienstlichem Schaffen
der Kunst? Die Frage klingt gewiß manchem den nährenden Boden entzog, den Künstler
sonderbar, weil längst überlebt: natürlich zu feiern oder zu handwerkern zwang? Dumm-
brauchen wir eine! Es gibt aber doch, wird heiten für sich allein zu begehen, sei ja nicht
man einwenden, und gerade gegenwärtig bei gut, aber doch auch nicht eben schlimm. Tau-
uns, eine ganze Anzahl aufgeweckter Leute, sende aber zur Mitschuld zu verleiten, sei un-
die von dieser Naturnotwendigkeit der Kritik verantwortlich. Die Kunst, ein freies Geschenk
nichts wissen, die nur im eigenen Gefühle von Gottes Gnaden, müsse als solches dank-
selig sein wollen, weil sie an sich erfahren, bar und freudig begrüßt und nicht erst lange
daß der kritische Erkenntnisdrang die Fähig- bepocht, beklaubt und schließlich preisgemäß
keit zum Genüsse herabmindere, den Dingen bewertet werden „Gefühl ist alles . . . ."
der Kunst gleichsam Glanz und Duft Unter denen, die so sprechen, werden wir

unterscheiden müssen. Da sind zu-
erst die Instinktlosen, die „guten
Kerle". Mit einer ungeheuren, aber
leider meist unglücklichen Liebe
zur Kunst ausgestattet, müssen sie
überall dabei sein und überall mit-
laufen im Sturme gegen das stumpf-
sinnig niederträchtige Philisterium,
das sich mit Grausen von allem
wendet, was dem anständigen Her-
kommen nicht gemäß ist, diese
Kunstwütigen — die „Moderni-
tischen" hat man sie treffend ge-
tauft — wissen ja zum Glücke
nicht, daß sie selber nur eine neue
Abwandlung ebendesselben Phili-
stertums darstellen, welches sie so
feurig bekämpfen. Denn das ty-
pische Kennzeichen solcher Na-
turen so rechts wie links ist doch
am Ende das „Unbedingte", gegen
das sich mit Gründen nichts aus-
richten läßt, ist ein Mangel an
Kraft des Geistes wie der Sinne,
und demzufolge ein Mangel an Ur-
teilskraft. Daß dieser Mangel dann
durch ein erhöht zur Schau getra-
genes Selbstvertrauen verdunkelt
werden soll, ist aus dem instink-
tiven Schutzbedürfnisse des von
Richard pollak-karlin im Wartezimmer der Natur aus Schwachen leicht

Frühjahr-Ausstellung der Wiener Sezession genug zu erklaren.

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