LAIENPREDIGT
Wenn irgend ein Maler eine Leinwand be- liehen, des der Natur Entnommenen, unter-
pinselt, halten die guten Laien das für scheiden sich die verschiedenen Kunstwerke
Kunst; und ist es eine große Leinwand, dann äußerlich voneinander und ergeben Richtungs-
muß es wohl auch große Kunst sein. Große unterschiede.
Kunst birgt sich aber oft im kleinsten Gefäß: Kunst kommt demnach ganz gewiß von
so gut in einem Scherzo Beethovens, wie in Können, nur darf man unter letzterem nicht
einem Liede Schönbergs, in einer Bleistiftzeich- etwas Aneigenbares, nicht die erlernte Technik,
nung Hodlers wie in einem geschnitzten elfen- äußerliche Handwerksvorteile verstehen, son-
beinernen Gürtelknopf eines unbekannten Ja- dem eine eingeborene Kraft. Wäre es anders,
paners. Man braucht keine meterlange Lein- dann ließe sich die Kunst erlernen wie etwa die
wand, um die Kunst einzufangen. Tischlerei, das Rollschuhlaufen oder die Hand-
Das ist ein Kardinalsatz: die bewußte Zu- habung der Schreibmaschine. Viele sind ja
rückführung der angestrebten Darstellung einer dieser Meinung, aber diese Vielen irren. Was
gefühlsmäßig erfaßten Erscheinung auf die ein- die Kunst voraussetzt, das ist eine besondere
fachste Form der künstlerischen Ausdrucks- Artung des Schaffenden. Man wird nicht
mittel — ergibt Kunst. Kunst, im Sinne von Künstler, man ist Künstler. Um als Kunst-
Bildkunst, besteht nicht allein in der möglichst werk gewertet werden zu können, muß in der
getreuen Wiedergabe eines in der Natur vor- Arbeit des Schaffenden in irgend einer Ver-
handenen Gegenständlichen, sondern im Aus- bindung enthalten sein: Kraft und Eigenart
druck des Vorstellungskomplexes vom Gegen- der Anschauung, Beherrschung der künst-
ständlichen durch künstlerische Ausdrucks- lerischen Ausdrucksmittel, — womit natürlich,
mittel. Je nach der Verwertung besonderer es sei nochmals betont, nichts Akademisches
künstlerischer Mittel und der Wahl des Ding- gemeint ist, — gesteigerte Geistigkeit und
A. FEUERBACH BRÜCKE VON TERNI (1873)
Im Besit: der Galerie Caspari, Manchen
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Wenn irgend ein Maler eine Leinwand be- liehen, des der Natur Entnommenen, unter-
pinselt, halten die guten Laien das für scheiden sich die verschiedenen Kunstwerke
Kunst; und ist es eine große Leinwand, dann äußerlich voneinander und ergeben Richtungs-
muß es wohl auch große Kunst sein. Große unterschiede.
Kunst birgt sich aber oft im kleinsten Gefäß: Kunst kommt demnach ganz gewiß von
so gut in einem Scherzo Beethovens, wie in Können, nur darf man unter letzterem nicht
einem Liede Schönbergs, in einer Bleistiftzeich- etwas Aneigenbares, nicht die erlernte Technik,
nung Hodlers wie in einem geschnitzten elfen- äußerliche Handwerksvorteile verstehen, son-
beinernen Gürtelknopf eines unbekannten Ja- dem eine eingeborene Kraft. Wäre es anders,
paners. Man braucht keine meterlange Lein- dann ließe sich die Kunst erlernen wie etwa die
wand, um die Kunst einzufangen. Tischlerei, das Rollschuhlaufen oder die Hand-
Das ist ein Kardinalsatz: die bewußte Zu- habung der Schreibmaschine. Viele sind ja
rückführung der angestrebten Darstellung einer dieser Meinung, aber diese Vielen irren. Was
gefühlsmäßig erfaßten Erscheinung auf die ein- die Kunst voraussetzt, das ist eine besondere
fachste Form der künstlerischen Ausdrucks- Artung des Schaffenden. Man wird nicht
mittel — ergibt Kunst. Kunst, im Sinne von Künstler, man ist Künstler. Um als Kunst-
Bildkunst, besteht nicht allein in der möglichst werk gewertet werden zu können, muß in der
getreuen Wiedergabe eines in der Natur vor- Arbeit des Schaffenden in irgend einer Ver-
handenen Gegenständlichen, sondern im Aus- bindung enthalten sein: Kraft und Eigenart
druck des Vorstellungskomplexes vom Gegen- der Anschauung, Beherrschung der künst-
ständlichen durch künstlerische Ausdrucks- lerischen Ausdrucksmittel, — womit natürlich,
mittel. Je nach der Verwertung besonderer es sei nochmals betont, nichts Akademisches
künstlerischer Mittel und der Wahl des Ding- gemeint ist, — gesteigerte Geistigkeit und
A. FEUERBACH BRÜCKE VON TERNI (1873)
Im Besit: der Galerie Caspari, Manchen
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