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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 44.1928-1929

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Hausenstein, Wilhelm: Ludwig Michael Schwanthaler
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https://doi.org/10.11588/diglit.14159#0093

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L. M. SCHWANTHALER. SITZENDE NYMPHE

nicht ein heroisches, nicht ein tragisches, aber
ein fraulich-volles Leben, so bürgerlich-intim
es immer sein mag! Dies Eigentümlich-Leben-
dige, das wir nur der Abkürzung zuliebe „bie-
dermeierlich'' nennen wollen, mischt sich mit
den Elementen der Bildung: dem lateinisch-
griechischen und dem romantisch-deutschen.
Und streiten wir nicht: die Mischung gelingt,
sie ist voll von Natürlichkeit; sie ist wahr, echt,
naiv. Dieser Bildner formt nach dem Hesiod,
den er neben sein rotes Y\ achs legt, den Schild
des Herakles. Der gleiche Schwanlhaler gehört
zu Rethel und zu Schwind, zu den Roman-
tikern des Wunderhorns. Und noch nicht genug.
Enthält dieser Meister in seinen inoffiziellen
Stücken — zumal eben jenen reizenden Frauen
— nicht noch einen Nachglanz des Rokoko,
etwa so, wie Canova, wie Schadow, wie Gode-
charle? Dieser Nachglanz liegt mit vollkomme-
ner Natürlichkeit auf Werken eines blühend-
fleischlichen Realismus der bürgerlichen Welt
von i84o, der bürgerlichen Well des Vormärz;

er liegt mit aller Selbstverständlichkeit auf dem
Klassischen und auf den romantischen Bild-
hauer-Gedichten. In einem Tafelaufsatz grup-
piert Schwanthaler einmal die Hauptgestalten
der Nibelungen; aber das Klassische, das Bür-
gerliche, das Rokoko ist auch dabei. Die Fi-
guren der Hermannsschlacht, die den deut-
schen Romantiker Schwanthaler aufregen, wer-
den Vettern der Griechen, die dem Humanis-
mus des Klassizisten teuer sind. Es ist die Welt,
die sich im wittelsbachischen Philhellenismus
politisch ausdrückt. Wir lächeln über die Syn-
these. Ach, w-ir haben es nicht nötig, zulächeln!
Wollte Gott, wir hätten heute noch Begeiste-
rungen von jenem Niveau, das ja auch für einen
Byron nicht zu niedrig war!
Merkwürdig, daß die Produktivität Schwan-
thalers nur mit diesem Worte zu bezeichnen
ist: barock. Nicht in der Form; gewiß, der
Begriff „barock" deutet nur das Maß und Un-
maß der Ergiebigkeit dieses Künstlers an. Phan-
tastisch der Reichtum seiner Hand — dieser
Hand, die aus einem schwachen und siechen
Körper vorwuchs! Phantastisch allerdings auch

L. M. SCHWANTHALER. SIEGREICHE VENUS

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