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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 2.1908

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Heft II (Februar 1908)
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Kolb, Gustav: Die Reorganisation unseres gewerblichen Fortbildungsschulwesens: ihre Bedeutung für das kunstgewerbliche Fachgebiet und dessen Lehrer, [2]: (Vortrag auf der Generalversammlung der Württ. Zeichenlehrervereine in Stuttgart am 30. Dezember 1907)
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https://doi.org/10.11588/diglit.31819#0020

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— 16

ig. 3. mit eigenen Augen überzeugen. Ich
hatte damals vom Kgl. Ministerium
den Auftrag erhalten, einen Bericht
über die Organisation des badi-
schen Gewerbeschulwesens zu er-
statten. Sofort erkannte ich die
grosse Ueberlegenheit der badischen
Schulen auf dem bau- und ma-
schinentechnischen Gebiet, aber
auch ihre Schwächen auf dem kunst-
gewerblichen Fachgebiet. Ich musste
damals konstatieren, dass alle Schu-
len — von einigen Ausnahmen ab-
gesehen — auf diesem Gebiet in
geradezu auffallender Weise rück-
ständig sind. Was ich da zu sehen
bekam, erinnerte mich lebhaft an
jenen bekannten Ausspruch Jakob
Falkes über das deutsche Kunst¬
gewerbe auf der Wiener Weltausstellung von 1873, der sein Urteil dahin zusammen-
fasste: „Die Grazien sind ausgeblieben!“
Diesen Beobachtungen entsprechend schloss ich meinen damaligen Bericht mit
folgenden Worten: „Gebt uns die badischen Gewerbelehrer, aber lasst uns die
württembergischen Zeichenlehrer!“ Dieselben Beobachtungen machte jüngst einer
unserer Kollegen, der die diesjährige Villinger Ausstellung besuchte. Einem Be-
richt, den er mir zur Verfügung stellte, entnehme ich folgende Stellen: „Der ge-
werbliche Unterricht ist durchweg auf einer guten Grundlage aufgebaut, dagegen
ist der kunstgewerbliche höchst mangelhaft. Ich glaube kaum, dass etwas ent-
deckt werden kann , das der Nachahmung wert ist. Der erzieherische Wert des
Freihandzeichnens wird gänzlich äusser acht gelassen. Man sah runde Formen in
einem freihändig gezeichneten Ornament, die mit dem Zirkel konstruiert waren.
Ueberhaupt pflegen die Schulen eine Ornamentengattung, von der sich heute jeder
halbwegs mit den künstlerischen Bestrebungen unserer Zeit vertraute Geschäftsmann
mit Schrecken ab wendet. Das Pflanzenstudium wird durchaus verständnislos be-
trieben. Auch beim Modellieren ist von einem feineren Formenverständnis keine
Bede. Es ist nicht anzunehmen, dass in Württemberg eine Gewerbeschule gefunden
werden kann, bei der die dekorativen Berufe so mangelhaft abschneiden würden etc. etc.“
Der Bericht schliesst mit dem Satz: „Die Ansicht, dass der kunstgewerbliche
Zeichenunterricht wie der wissenschaftliche von jedem Gewerbelehrer gegeben werden
kann, ist durch diese Ausstellung glänzend widerlegt.“
Diese zwei Urteile, die durch einen Zeitraum von fünf Jahren von einander
getrennt sind, begegnen sich in einer seltenen Uebereinstimmung. Aber auch alle
anderen mir zur Kenntnis gekommenen Urteile von Fachleuten, die in den letzten
Jahren Gelegenheit hatten, das badische Gewerbeschulwesen gründlich kennen zu
lernen, stimmen mit diesen überein.
Ich denke, dass solche Beobachtungen genügen, uns klar zu machen, dass die
Uebertragung des badischen Systems auf unser kunstgewerbliches Gebiet kein Fort-
schritt, sondern ein grosser Rückschritt wäre.*)
*) Die Organisation des badischen Gewerbeschulwesens erfolgte in der Zeit des grössten
Tiefstands unserer Kunst und unseres Kunstgewerbes, in der es um das eigentlich Künst-
lerische im Kunsthandwerk, um das Produktive und um den edlen verfeinerten Geschmack
allenthalben herzlich schlecht bestellt war. Damals glaubte sich auch die Technik, sowohl
die des Maschinen- wie des Hochbaus des künstlerischen Elements entraten zu können. In
diese Zeit, die noch keine 10 Jahre hinter uns liegt, fällt auch die Ausbildung der Mehrzahl
der jetzt noch tätigen badischen Gewerbelehrer. Aus diesem Umstand erkläre ich mir nun
teilweise den^Tiefstand des badischen Gewerbeschulwesens nach der künstlerischen Seite
hin. Andererseits aber auch daraus, dass man von den vornehmlich technisch ausgebildeten
 
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