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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 2.1908

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Heft X (Oktober 1908)
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Binal, W.: Erfüllen die Museen ihre Aufgabe?
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https://doi.org/10.11588/diglit.31819#0115

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Erfüllen die Museen ihre Aufgabe?
Wenn die Kunst nicht Selbstzweck sein will, wenn sie dem ihr innewohnenden er-
zieherischen Wert gerecht werden will, wenn sie ihre wichtige Stellung in der Kulturent-
wicklung voll ausfüllen will, so muss die Erziehung der Jugend sowohl als die Weiter-
bildung der Erwachsenen so eingerichtet sein, dass die Laien in der Lage sind, den Idealen
der Künstler zu folgen, damit sie den Werken der Kunst die nötige Achtung entgegen-
bringen. Die Kunsterziehung der Jugend hat schon schöne Erfolge aufzuweisen, das kann
jedoch von der Weiterbildung der Erwachsenen nicht behauptet werden. Die letztere ge-
schieht in der Hauptsache durch Zeitschriften, Kunstsammlungen, Bildergalerien und
Kunstvereine.
Dass die grosse Masse sich dem Einfluss der Kunst entzieht, liegt meines Erachtens
nicht an ihr, sondern an der Art und Weise der Beschaffenheit der Erziehung und der
Kunst-Erziehungsstätten. Wie sieht es denn nun mit diesen Kuns'Sammlungen und Bilder-
galerien aus? Sie haben zwei hervorragende Aufgaben: 1. Da es schlechterdings weitaus
den meisten Menschen nicht möglich ist, Originalwerke selbst zu beschaffen, so suchen
Staat, Städte und wohlhabende Kunstliebhaber diese Lücke nach Kräften auszufüllen, indem
sie solche Werke ankaufen und sie allgemein zugänglich machen. Daraus geht hervor, dass
diese Sammlungen Stätten künstlerischen Genusses sein sollen, wo die Künstler selbst in
ihrer ursprünglichen Kraft durch ihre Werke auf den Beschauer einwirken, die erst so ihren
vollen Einfluss auf unsere kulturelle Entwicklung erhalten. 2. Durch die Kunstsammlungen
werden der Nation die Früchte ihres künstlerischen Schaffens vor Augen geführt und vor
allem im eigenen Lande erhalten; und ich möchte sagen ein grosses geistiges Vermögen
geschaffen, das neben seinem eigentlichen Zweck das Nationalbewusstsein liebt uncl pflegt.
Dann fliessen der Künstlerschaft von diesen Anstalten Summen zu, die dieselbe
vom unkünstlerischen Geldmenschen und den in der Hauptsache geschäftlichen Zwecken
dienenden Kunsthandlungen loslöst.
Entsprechen nun vor allem unsere Bildergalerien diesen an sie gestellten Anfor-
derungen? Diese Frage muss bei jedem Kunstfreunde ein entschiedenes „Nein“ hervorrufen.
Ihr Hauptfehler ist, und das wissen auch die Laien und besonders jene, die angezogen
werden sollen von diesen Stätten, die kolossale Ueberfüllung wirkt eher bedrückend als be-
freiend und erhebend, es sind Kunstmagazine, die keinen Kunstgenuss zulassen. Nur
in richtiger, passender Umgebung, in einem dem Bilde entsprechenden Raum, harmonisch in
Farbe und Beleuchtung, kommt ein Kunstwerk richtig zur Geltung. Die Ueberfüllung
stört nicht nur den Beschauer, sondern sie leitet noch zur Oberflächlichkeit an. Betrachte
ich ein Bild, so leuchtet schon dessen Nachbar herein und lenkt durch seine Farben oder
seinen neuen Stoff unwillkürlich die Aufmerksamkeit auf sich; schon der volle Saal zieht
die Aufmei ksamkeit bald hier bald dort hin. Beim Verlassen des Gebäudes hat man das
Gefühl der Ermüdung; man hat wohl sehr, sehr viel Bilder und schöne Bilder gesehen,
aber Genuss war nicht viel dabei. Der beste Beweis dafür ist, dass alle diejenigen,
die sich nicht vor dem Besuch etwas, und ich darf sagen, etwas viel mit Kunst beschäf-
tigt haben, eben sich zum zweiten Male allein und auf inneres Drängen nicht wieder
einfinden. Künstler und Kunstfreunde nehmen eben das Ungenügende mit in Kauf, doch
auch sie können nicht den ganzen Genuss haben. Wenn aber diese Stätten, die für das
ganze Volk berechnet sind und ihren reichen Inhalt allen geben sollen, nur wenigen Kuüst-
j ungern gerade noch genügt, so erfüllen sie die an sie gestellten Anforderungen nicht.
Wer dächte nicht an das Heer jener Galeriebesucher, die mit dem Bädeker oder dem Katalog
in der Hand nichts wie Räume suchen, oder diejenigen, die am Sonntag von 11 — 1 Uhr in
den Kunstverein kommen, um sich zu zeigen und alles mögliche zu besprechen, vielleicht
auch einmal den Namen eines Künstlers unter einem Bilde lesen; um wirkliche Kunst
dagegen kümmern sie sich nicht. (Die ganze Aeusserlichkeit der Menschen zeigt sich
auch hier; statt dem Inhalt der Sache auf den Leib zu rücken, beschäftigt man sich
viel lieber mit der Person des Künstlers, es ist eben leichter und ist pikanter, es riecht
etwas nach Klatsch.)
Eine weitere Störung wird dadurch hervorgerufen, dass die Bildergalerien zu kunst-
historischen Sammlungen gestempelt werden, die lediglich nur den Kenner befriedigen und
nur für diesen Wert haben. Solche kunsthistorische Bilder rufen oft im Laien Widerwillen
hervor oder fordern die schärfste Kritik heraus, oder er macht sich lustig über die Naivität
eines solchen Bildes, was natürlich der Kunsterziehung auch keinen Vorschub leistet. Kunst-
historische Sammlungen haben mit der Bildergalerie gar nichts zu schaffen, das sind Insti-
tute für sich, die nur für den Kunstsachverständigen und Studierenden einen Wert haben.
Für einen grossen Teil der Bevölkerung ist der Besuch einer Kunststätte nur mit
grossen Kosten verbunden, viele, vor allem die Landbewohner, wissen überhaupt nicht,
dass es solche Dinge zu sehen gibt. Aber auch viele Städter, die tausendmal an dem
Gebäude vorbeihasten, gehören zu dieser Kategorie von Menschen. Wenn der Land-
bewohner einmal in die Stadt kommt, so ist es sein Geschäft, das seine ganze Zeit
in Anspruch nimmt, für Kunst oder etwas Aehnliches hat er keine Zeit. Also mindestens
der Hälfte der Bewohner ist es vermöge der Lage ihrer Wohnung und ihrer sozialen
Stellung nicht möglich, ohne weiteres solche Stätten zu erreichen. Da aber das Bewohnen
des platten Landes für die Gesundheit und das Bestehen eines Volkes eine Lebensfrage be-
 
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