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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 2.1908

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Heft VIII (August 1908)
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Friese, Georg: Vorträge
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Kolb, Gustav: Besprechungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31819#0091

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81

Zeichnen, Modellieren und Bildbetrachtung — Zweige, die der darstellenden Kunst ange-
hören — werden vielfach noch stiefmütterlich behandelt.
3. Es muss dies als ein entschiedener Mangel bezeichnet werden, da das Ideal der
charaktervollen Persönlichkeit vielseitige Bildung voraussetzt. Der Mangel an künstlerischem
Sinn und Geschmack hebt zwar die Persönlichkeit nicht auf, lässt sie aber nach der ästhe-
tischen Seite hin als minderwertig erscheinen.
Sittlichkeit und Kunst haben eine gemeinsame Wurzel in den idealen Welturteilen.
Sie können daher, wrenn sie auch getrennte Gebiete umfassen, einander stützen und zu har-
monischer Persönlichkeitsbildung sich vereinigen.
5. Die nahe innere Verwandtschaft kann äusserlich in der Anordnung der Lehrfäche1’
des Lehrplans zum Ausruck gebracht werden, etwa in folgender Weise:

Lehrplan
A. Historisch-humanistische Lehrfächer
(Menschenleben)

B. Naturwissenschaftliche Fächer
(Naturleben)

I. Gesinnungs-
fächer

II. Kunst-
fächer

III. Sprach-
unterricht

1. Religionsgesch. 1. Gesangunterr.

2. Profangesch.
3. Literatur¬
geschichte

2. Zeichenunterr.
m. Modellieren
3. Turnen u. Spiel

1. Mutter-
sprache
2. Fremde
Sprachen

L Geo-
graphie
1. Physische
Geographie
2. Mathemat.
Geographie

II. Natur-
kunde
1. Natur-
geschichte
2. Naturlehre

III. Mathe-
matik
1. Rechnen
2. Raumlehre

G. Zu den idealen Kulturgütern eines Volkes gehören nicht nur die literarischen und
musikalischen Denkmäler, sondern in gleicher Weise auch die Werke der bildenden Kunst.
Daher ist für Zeichnen und Modellieren zu fordern, dass in allen Schularten diesen Unter-
richtsfächern im Lehr- und Stundenplan von der untersten bis zur obersten Klasse ein aus-
reichender Raum gegönnt werde.
7. Die Voraussetzung einer richtigen zeichnerischen Darstellung ist eingehendes, das
Objekt bis in alLe Einzelheiten erfassendes Beobachten. Dieses eingehende Beobachten ist
für die wissenschaftliche Erkenntnis, für die gesamte Geistesbildung und für das wirtschaft-
liche Leben von gleich hohem Wert.
8. Die Wertung des Zeichnens in unseren Erziehungsschulen soll dieser Bedeutung
der Beobachtung entsprechen. Der Zeichenunterricht muss daher in allen Anstalten bei
Versetzungen und Prüfungen ebenso gewertet werden, wie ein wissenschaftliches Lehrfach.
9. Wenn dies geschieht, so wird die Lernschule, wie wir sie jetzt noch vielfach in
Deutschland haben, zur Erziehungsschule in dem Sinne umgewandelt werden, dass nicht mehr
einseitig die intellektuellen Fähigkeiten der Jugend, sondern in gleicher Weise die Kräfte
des Gemütes durch Weckung der Liebe zu Natur und Kunst entwickelt werden, damit das
Wort vom künstlerischen Zeitalter mehr und mehr zur Wirklichkeit werde.
Aus „Schauen und Schaffen'-.

Besprechungen.
„Das Erlernen der Malerei“, ein Handbuch von Lovis Corinth, Paul Cassirers
Verlag, Berlin W. 10, Preis 7,50 Mk. broschiert. Dieses Werk, dessen Verfasser ein eigen-
artiger, auf der Höhe des Schaffens stehender Künstler ist, befasst sich mit allen Fragen
des Zeichnens und Malens. Obwohl es dem Fachmann eigentlich wenig oder nichts Neues
bietet, ist es doch interessant zu lesen, da es frisch und natürlich geschrieben ist und durchaus
aus der lebendigen Praxis geschöpft ist. Manchmal stören Sprachfehler; den Verfasser ergreift
am Schluss selbst „Bangen vor der Stillosigkeit der Schreibart“ seines Buches, auch wimmelt
es darin von Selbstverständlichkeiten wie „der Kopf (des Menschen) hat eine kugelförmige
Bildung: vorne ist das Gesicht, dann wölbt sich der grössere Teil zum Schädel mit den
Haaren,“ oder „der Schädel ruht auf dem Halse, der bei der hinteren Ansicht aus dem Nacken
besteht.“ Darüber sieht man aber infolge seiner obengenannten Vorzüge gerne hinweg.
Das Illustrationsmaterial, das Vervielfältigungen hauptsächlich von Werken des Verfassers
selbst, dann noch von hervorragenden Künstlern wie Manet, Liebermann, Degas u. a.
bietet, ist ganz vorzüglich und bjldet ohne Zweifel den Hauptwert des Buches. Der Inhalt
gruppiert sich in folgende Teile. Arbeiten in Inn en räum en mit einer Licht-
quelle. I. Das Zeichnen (Gipsabguss, Kopf, Akt, Verkürzung, der bekleidete Mensch), das
Malen (Kopf, Akt, Kosttimfigur), das Stilleben, die Komposition. II. Arbeiten im Frei-
licht (Figur, Landschaft, Tier, Aquarell-Gouache, Pastell). III. Das Bild (Akademisches
und Anti-Akademisches, Porträt, Figurenbilder, Landschafts- und Tierbilder, das dekorative
Bild, Gesichtsausdruck und -Bewegung, die Titel der Bilder, Modell- und Gliederpuppe, das
Kopieren der verschiedenen Arten der Oelmalerei; über die Ausführung). Die „Quintessenz
der ganzen Malerei“ fasst L. Corinth in 4 Kardinalpunkten zusammen: „1. die R aum ein-
te ilung (das künstlerische Hineinpassen des Motivs auf die gegebene Tafel); 2. Augen-
blinzeln (Verfolgen der Licht- und Schattenformen); 3. die Proportion (Vergleichen
des Ganzen zu den einzelnen Teilen und dieser unter sich); 4. Vergleichen der Lage
der einzelnen wichtigen Punkte zu einander durch Senkrechte und
 
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