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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 2.1908

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Heft VIII (August 1908)
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Kolb, Gustav: Besprechungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31819#0092

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Wagrechte.“ Wir befürchten, dass der Verfasser einiges Wesentliche vergessen hat.
Das „Blinzeln mit den Augen“ findet reichste Verwendung, wie folgende Sätze erkennen
lassen: „ein weiteres wichtiges Mittel, das zur Erkenntnis von Licht und Schatten und deren
Formenzeichnung sicher führt, ist das Blinzeln mit den Augen (clignez les jeux). Es ist
das Einstellen der Augen, wie es auch an dem Objektiv bei dem photographischen Apparat
geschieht, auf die Teile des zu zeichnenden Gegenstands, die im Augenblick als die wich-
tigsten erschienen. „Ist ein Stoff gemustert, etwa mit Blumen bedruckt oder gestreift, so
ist so lange mit den Augen zu blinzeln, bis die Falten allein zur Geltung kommen und das
Muster verschwunden ist; alsdann, wenn die Falten genügend bestimmt in Licht- und Schatten-
form hingezeichnet sind, kann das Muster diskret, ohne dass es die Form zerreisst, herauf-
gebracht werden.“ „Die Wirkung des durchsichtigen und harten Stoffs (bei Gläsern) ist
nur durch Augenblinzeln zu zwingen. Man sieht dann nur einige bestimmte, kalte oder
goldig glänzende Lichter, je nach Reflektierung oder Inhalt des Glases, ein paar Dunkel-
heiten und den verschwommenen Durchblick, und doch wird das Ganze bei richtiger Zeich-
nung als ein greifbares Glas erscheinen,“ „nebst der Form und dem Ton sind genau die
kalten und warmen Farben in Licht und Schatten zu beobachten, die Veränderung der Lokal-
farben vermittelst Augenblinzeln zu verfolgen.“ „Das Uebrige (beim Zeichnen und Malen
von Bäumen) steigert sich aber zu ziemlich komplizierten Schwierigkeiten der Darstellung,
wo das Augenblinzeln über sehr vieles Klarheit verschafft und hierüber weghilft,“ „dann
sind noch die Durchblicke zwischen den Laubpartien in richtiger Form und Grösse auszu-
führen, sodass am Ende mit gekniffenen Augen der Gang der Baumpartien und wie der
Himmel oder Hintergrund als Lichtmasse dazwischen steht, die Form des Baumstammes und
die Tonwerte auf der Zeichnung dieselbe Wirkung wie das Modell in der Natur haben.“
Den Schluss dieser Besprechung soll folgender Satz bilden, der in ähnlicher Weise von uns
schon oft ausgesprochen wurde: „Hier wäre der Ort, hervorzuheben, dass also „Zeichnen“
lediglich die richtige Wiedergabe des Vorbildes bedeutet (wie auch später das Malen) gleich-
viel durch welche Behandlung des Materials, womit gearbeitet wird. Das ist der Gegensatz
zu der Ansicht der Dilettanten, die da glauben, dass „Zeichnen“ eine Handgeschicklichkeit
wäre, die aus eleganten und kapriziösen Strichen und Schraffierungen bestände.“ G. K.
„Mein Zeichenunterricht an der Knaben-Bürgerschule“, ein Lehrplan von J. Pindur,
J äg er n d o rf (Oesterr.-Schlesien), mit 78 Holzschnitten, erschienen im Selbstverlag des Heraus-
gebers. Preis 1 Mk. 50 Pfg. Der Geist und die Tendenz des Werkchens, das eine durchaus
selbständige Arbeit ist, charakterisiert sich durch folgende Sätze, denen wir nur zustimmen
können: „Wird das bisherige ,,Stoff“-Prinzip ausgeschieden und ein psychologisches Ent-
wicklungsprinzip an seine Stelle gesetzt, dann kann man erwarten, dass Klarheit und Bestimmt-
heit in die Lehrpläne kommt und dass auch dann auf die Effekthascherei auf dem Gebiete
des Lehrmittelunwesens kein so grosses Gewicht gelegt werden wird.“ „Die gegenwärtige
Bewegung erstrebt somit ein praktisches Ziel, führt neue Methoden ein, verweist auf einen
bildenden Lehrstoff, lenkt aber die Aufmerksamkeit von dem Kerne des Zeichenunterrichts
(wohl unabsichtlich) ab. Man fragt viel: „Was soll ich zeichnen?“ und leider zu wenig:
„Wie soll ich bilden?“ „Ein guter Zeichenlehrer ist das wertvollste Lehrmittel.“ „Eine
wahrhaft ernstliche Reform hat nicht nur die alten Lehrmittel (ornamentale Vorlagen,
Draht-, Holz- und Gipsmodelle) durch alltäglichere zu ersetzen, sondern durch Hebung
der Lehrerbildung eine höhere Auffassung von Kunst, Leben, Kultur und sittliche Frei-
heit zu ermitteln und so der Jugend statt kleinlich denkender Pedanten Meister ihres
Faches als anregende, begeisternde, unternehmungslustige Vorbilder zu geben.“ lieber
die Entstehung des Werkchens äussert sich der Verfasser folgend: „Das Büchlein ist während
des Unterrichts entstanden und diesem Grunde ist es zuzuschreiben, dass ich dem inneren
Wesen des Zeichnens fremde Einteilungen nach geometrischen Gründen (Fläche, Körper)
oder nach sachlichen Prinzipien (Pflanzen, Tiere, Ornamente) vermeiden konnte.“ Den Abschluss
des Werkchens bildet ein „Lehrplan“, dem der Satz vorangestellt ist: „Die Aufgabe des
Zeichenunterrichts ist es, die Fähigkeiten des bewussten Sehens und des inneren Schauens
zu entwickeln, die bildnerische Ausdrucksfähigkeit zu fördern und im Geschmack eine gesunde
Natürlichkeit anzugewöhnen.“ Für Klasse I verlangt dieser Lehrplan „Steigerung der
Empfindlichkeit für Richtung und Grösse, Einprägung einfacher Linien- und Flächenver-
teilungen, Betätigung der Kombinationsfähigkeit; für Klasse II: Steigerung der Empfindungs-
fähigkeit für Verkürzungen, Licht und Farbe, Betätigung der Illusionsfähigkeit; für Klasse III
Steigerung der Empfindlichkeit für die Linien und Flächenverteilung, Betätigung der Per-
sonifikation, Erweiterung des Stoffes der II. Klasse.“ Zu bemerken ist noch, dass der Ver-
fasser an einer österreichischen Bürgerschule arbeitet, und der aufgestellte Lehrplan für
eine solche gedacht ist. Wir ersehen aus dem Vorstehenden, dass der Verfasser den lobens-
werten Versuch macht, seinen Zeichenunterricht auf eine andere als bisher fast allenthalben
gebräuchliche Grundlage aufzubauen. Wir finden seine Ausführungen der höchsten Beachtung
wert. Es wäre aber zu wünschen, dass Kollege Pindur ein zweites Werk folgen lassen würde,
in dem er durch Vorführung von Schülerarbeiten seinen Lehrplan näher zu erläutern hätte.
Die dem vorliegenden Werkchen beigegebenen Abbildungen illustrieren die Ausführungen
insofern ungenügend, als sie in ihrer ganzen Darbietung wenig Bezug nehmen auf diese,
vielmehr Uebertragungen des behandelten Stoffes ins dekorativ Künstlerische darstellen.
Das ist bedingt durch ihre Technik: es sind Holzschnitte, die der Verfasser selbst geschnitten
hat. Die Ausstattung des Buches ist musterhaft und verrät eine feine Augenkultur des Ver-
 
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