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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 2.1908

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Heft III (März 1908)
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Kolb, Gustav: Die Reorganisation unseres gewerblichen Fortbildungsschulwesens: ihre Bedeutung für das kunstgewerbliche Fachgebiet und dessen Lehrer, [3]: (Vortrag auf der Generalversammlung der Württ. Zeichenlehrervereine in Stuttgart am 30. Dezember 1907)
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https://doi.org/10.11588/diglit.31819#0030

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ornamentalen Zeichnen nach Art der schmückenden Gewerbe unterrichtet werden.
Im allgemeinen werden sich Erfolge im Ergänzungszeichnen nur erreichen lassen,
wenn mehr als zwei Wochenstunden auf den Zeichenunterricht verwendet werden.“
Die Leser von „Kunst und Jugend“ werden sich der Rede des Rektors
Thi erseh an der Technischen Hochschule in München erinnern, die in diesem
Zusammenhang von grösstem Interesse ist. Hören wir ihn.
Er führte unter anderem aus: „Der Wert des freihändigen Zeichnens wird
immer deutlicher auch für das Ingenieurfach anerkannt.
Schon im Unterricht lässt sich leicht beobachten, dass bei den einfach kon-
struktiven Aufgaben der eine überraschend leicht und in wahrhaft künstlerischer
Weise zur Lösung gelangt. Die Forderung des Künstlerischen ist auf das ganze Gebiet
der Technik auszudehnen. Zu unumschränkter Freiheit und zur Meisterschaft gelangt
nur der, welcher durch seine Vielseitigkeit den Raum technischer und künstlerischer An-
forderungen übersieht, denn wahrhaft grosse Gedanken entspringen nur in einem Kopf.
Keine Tätigkeit fördert so sehr den schon in den konstruktiven Prinzipien
liegenden Schönheitssinn, als die Beobachtung der Natur. Erscheinungsformen
und Bewegungen im dreidimensionalen Raum werden auf die zweidimensionale
Ebene gefesselt und dies ist das einzige Mittel, um sich dieselben dauernd anzu-
eignen, und stets in freier Art über sie zu verfügen. Gewandtheit in der zeich-
nerischen Beobachtung fördert aber zugleich die zeichnerisch freie Wiedergabe des
räumlich Erdachten. Gerade in den ersten Stadien des Konstruierens und Ent-
werfens ist die Freihandskizze besonders wertvoll. Das feinere Gefühl für Ver-
hältnisse und Raumverteilung ist noch unbehindert, es wird noch nicht gefangen
von dem gebundenen: dem sogenannten technischen Zeichnen. Auch die Vervoll-
kommnung in gebundener Darstellung wird von demjenigen schneller und besser
erlangt, der mit der freien Hand geübt ist.“
V. A.! Diese Ausführungen werden unsern vollen Beifall finden. Ich habe
nun zu meiner Freude, anlässlich der Prüfung der Fortbildungsschule Göppingen,
die Wahrnehmung gemacht, dass auch Prof. Hartmann der Ausbildung der gewerb-
lich-technischen Berufsarten im Freihandzeichnen grosse Beachtung schenkt; aber
ich habe den Hinweis auf die künstlerische Seite der Technik für notwendig gehalten
im Hinblick auf das badische Gewerbeschulwesen, bei dem man von jenem künst-
lerischen Hauch wenig verspürt, der alle handwerklichen Erzeugnisse des Mittel-
alters und der Renaissance auszeichnet und diese uns heute noch vorbildlich macht.
Gewiss, wir spüren es allen Erzeugnissen jener Zeiten an, dass man nicht
bloss zweckmässig und praktisch konstruieren, sondern zugleich auch schön gestalten
wollte, z. B. der Zimmermann wollte, wie wir aus den uns heute noch vorbildlichen
Holzarchitekturen ersehen, seine Hölzer nicht nur technisch tadellos zusammenfügen,
sondern er strebte auch mit den einfachsten natürlichsten Mitteln, die sich direkt aus dem
Material ergaben, ein schönes rhythmisches Spiel der Formen und Linien zu erzeugen.
Das künstlerische Gefühl kann aber nur der Lehrer im Schüler
wecken, der künstlerisch veranlagt und gebildet ist. Ob das für die
Mehrheit der vornehmlich technisch gebildeten Gewerbelehrer zutreffen wird, möchte
ich bezweifeln, für alle trifft es aber bestimmt nicht zu. Daher wäre zu er-
wägen , ob diese Seite der Ausbildung der Schüler nicht dem Zeichenlehrer
zu übertragen ist. Dieser Vorschlag geschieht aber keineswegs zu Gunsten einer
Lehrerkategorie — der Zeichenlehrer — sondern zu Gunsten der Schüler, sie liegt
im Interesse einer harmonischen Ausbildung der Schüler nach der künstlerischen
Seite hin. Ich glaube auch nicht, dass dadurch eine wesentliche Durchbrechung
des Prinzips der Unterrichtskonzentration zu erblicken wäre. Der Stoff für das
künstlerische Zeichnen kann ja in genauer Uebereinstimmung mit dem übrigen
Lehrstoff zum voraus festgelegt werden. Der Zeichenlehrer würde dabei dem Ge-
werbelehrer eine Handreichung bieten, die mich an den Vers erinnert: „Vereint
wirkt also dieses Paar, was einzeln keinem möglich war.“
V. A.! Wir wollen nun zu einem weiteren Punkt, zu dem „offenen Zeichen-
saal“ übergehen. Der „offene Zeichensaal“ ist eine alte württembergische Ein-
 
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