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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — 2.1908

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Heft VII (Juli 1908)
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Das Reutlinger Stellenausschreiben
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https://doi.org/10.11588/diglit.31819#0073

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den letzten Jahren nach Inhalt und Methode einen Umschwung' erlebt, so gewaltig wie noch
nie irgend ein Schulfach. Nur fleissiges Studium der wichtigsten Erscheinungen in Literatur
und Ausstellungen ist imstande, den Zeichenlehrer auf der Höhe der Zeit zu halten. Ein
Erlass der Behörde vom Jahr 1900 verlangt direkt, der Zeichenlehrer soll sich „fortgesetzt
mit den Bewegungen im Kunstgewerbe auf dem laufenden erhalten, um soweit
es im Rahmen einer jeden Schule möglich ist, in seinem Unterricht auf die Anforderungen
der modernen Zeit in Absicht auf Formgebung und Farbe Rücksicht nehmen zu können.“
Kein a n d e r e r L e h r e r hat e i n e ä h n 1 i c h s c h w e r w i e g e n d e u n d ähnlich schwie-
rige Dienstverpflichtung. Neben dieser will es wirklich nicht viel heissen, dass an
Korrekturen ausserhalb der Schulzeit für den Zeichenlehrer tatsächlich weniger abfällt —
ganz fehlen sie ja keineswegs, seit Gedächtniszeichnen und periodische Klausurarbeiten im
Zeichenunterricht heimisch geworden sind.
Endlich liegt.es in der Eigenart des Kunstunterrichtes begründet, dass hier der beruf-
lichen Weiterbildung eine weit grössere praktische (die ideelle soll hiemit in keiner Weise
verkleinert werden) Bedeutung zukommt als im wissenschaftlichen Unterricht. Denn zur
Uebersetzung der Natur gibt es keine Krücken, gibt es keinen „Schlauch“ wie zur Ueber-
setzung eines Cicero oder Voltaire. Dem Zeichenlehrer ergeht es vielmehr wie dem Wallen-
steinschen Reiter: „Da tritt kein anderer für ihn ein, auf sich selber steht er da ganz allein.“
Lediglich sein eigenes Auge, seine eigene Hand, sein eigener Geschmack sind es, deren
Führung er sich tiber¬
lassen muss, und wehe
ihm, wenn ihn diese
im Stiche lassen.
Wenn somit der
Zeichenlehrer sich
weniger auf eine ganz
bestimmte Aufgabe
vorbereiten kann, so
muss er eben je¬
derzeit auf jede
Aufgabe vor be¬
reitet sein. Und
das ist er nur, wenn
er dauernd in Kunst¬
ausübung steht.
Bekannt ist der
Ausspruch eines be¬
rühmten Geigen¬
künstlers: Wenn ich
nur einen Tag nicht
übe, so merke ich es;
wenn ich zwei Tage
nicht übe, so merken
es meine Freunde; und wenn ich drei Tage nicht übe, so merkt es schon das Publikum.
Unser Publikum sind unsere Schüler, und sie haben ein gar feines Gefühl für das, was der
Lehrer kann und nicht kann. Und fehlt’s, so geht zunächst die Achtung vor seiner Kunst,
allmählich aber auch vor seiner Person verloren.
Dabei wird dem Zeichenlehrer die Weiterbildung durch seinen Stundenplan oft recht er-
schwert. Vier schulfreie Mittage sind selbst bei jungen Hilfslehrern keine Seltenheit, wogegen
ein ältererZ eichenlehr er an derselben Anstalt sich vielleicht für seinen letzten freien Nachmittag
noch verstreiten muss! Denn die Rektoren, die hier für billigen Ausgleich sorgen, sind selten.
Dazu haben viele Zeichenlehrer innerhalb ihrer Pflichtstunden auch den Nacht- und
Sonntagsunterricht an der Gewerbeschule zu besorgen, der trotz aller billigen Gründe und
trotz aller Bitten nicht höher gewertet wird als Tagesunterricht am Werktag.
Endlich wäre noch zu berücksichtigen, dass der Zeichenlehrer häufig bis zur letzten
Pflichtstunde ausgenutzt wird, wogegen die wissenschaftlichen Lehrer der mittleren Abteilung
an den Schulen, an denen Zeichenlehrer angestellt sind (das sind alle grösseren und mittleren)
gewöhnlich nur bis zu 26 Wochenstunden erteilen. Ja, das Bestreben geht in letzter
Zeit allgemein dahin, schon die Verpflichtung dieser Stellen von 30 auf 26
Stunden herabzudrücken. Vergleiche in dieser Hinsicht „Staatsanzeiger“ vom 15. April.
(Oberreallehrerstelle in Biberach noch mit 30 Pflichtstunden) mit dem vom 13. Mai (Ober-
reallehrerstelle ebendaselbst mit 26 Stunden)! Oder „Staatsanzeiger“ vom 1. Mai (zwei Ober-
reallehrerstellen in Stuttgart noch mit 28 Stunden) mit dem vom 3. Juni (Oberreallehrerstelle
ebendaselbst mit 26 Stunden)! Weiter wurden vom 13. Mai bis 10. Juni Stellen an der
mittleren Abteilung mit Verpflichtung „bis zu 26 Wochenstunden“ ausgeschrieben in Ludwigs-
burg, Gmünd, Hall, Nürtingen; desgleichen in Aalen, während z. B. der auf derselben Stufe
stehende Zeichenlehrer daselbst ruhig zu 30 Wochenstunden verpflichtet und soviel dem
Einsender bekannt, auch voll ausgenutzt wird, und ausserdem noch wie in Reutlingen zum
offenen Zeichensaal herangezogen werden soll. Wo bleibt da die so notwendige und von
der Behörde selbst so laut geforderte berufliche Weiterbildung?

Abbildung 2.
 
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