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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 2.1908

DOI Heft:
Heft VII (Juli 1908)
DOI Artikel:
Ernst, Otto: Im Lehrerseminar
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https://doi.org/10.11588/diglit.31819#0076

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68

Das ging nun wohl einmal, ging auch zweimal; dann aber sagte Herr Tönnings mit
dem steifen Halskragen: „Ja, dann müssen Sie ein ärztliches Attest beibringen.“
Also musste Asmus zum Vertrauensarzt der Schulbehörde.

Von allen Qualen des Lebens hielt Asmus zwei für die unerträglichsten: Zahnschmerzen
und Langeweile. Lieber als in dieser Kunstkaserne wöchentlich zwei Stunden, d. h. zwei
Jahrhunderte an einen Klotz geschmiedet zu sein, lieber wollte er ein schlechter Mensch
werden. Und so rieb er sich im Vorzimmer des Arztes tüchtig die Augen und kniff sie
ein dutzendmal zusammen.
„Die Augen tränen“, sagte der Arzt, und er schrieb ein Attest, dass der Patient wegen
tränender Augen sechs
Wochen lang nicht
zeichnen dürfe.
Asmus barg das
kostbare Blatt sorg-
fältig wie eine Bank-
note in der Tasche,
fühlte unterwegs mehr-
mals nach, ob er’s auch
noch habe, und über-
reichte es frohen,
tränenlosen Blickes
Herrn Tönnings.
Genau nach sechs
Wochen sagte Herr
Tönnings, der niemals
Lächelnde: „Ihr Attest
ist abgelaufen.“
Asmus ging wie-
der zum Arzt und kniff
und rieb rechtzeitig
seine Augen.
„Die Augen trä-
nen noch immer,“ kon-
statierte der Arzt sehr
richtig und dispen-
sierte den Kranken
„bis auf weiteres“ vom
Zeichenunterricht.
„Ja, damit müs-
sen Sie wohl zum
Direktor gehen,“ sagte
Herr Tönnings.
Als der Direk-
tor gelesen hatte,
schnauzte er los: „Das
jiebt’s nicht. Ein Leh-
rer muss jesunde Sinne
haben!“ Er durch-
bohrte Asmusen meh-
rere Male mit Blicken
und wartete, ob er
etwas sagen werde.
Aber Asmus wusste
schon Bescheid, er
sagte nichts.
„’n Lehrer, der nicht sehen kann, können wir nicht brauchen!“ schrie Herr Dr. Korn,
durchbohrte mit seinen glitzernden Brillenaugen den jungen Semper noch ein paarmal und
wartete auf eine Erwiderung. Aber der sagte nichts. Es war in der Anstalt alte Ueber-
lieferung: man muss ihn ein paar Minuten kochen lassen, dann wird er geniessbar.
„Dann müssen Sie die Anstalt verlassen!“ stiess der Direktor hervor, kratzte sich
hörbar seine silbernen Bartstacheln und durchbohlte Sempern noch drei- bis viermal. Semper
sagte nichts.
„Wie heissen Sie noch?“ Dr. Korn warf einen Blick ins Attest. ,,Semper?"
„Jawohl, Herr Direktor.“
„Waren Sie das nicht, der neulich den »Erlkönig« vortrug, als ich hospitierte?"
„Jawohl, Herr Direktor.“
„Na. — — Das war jut. — — Kennen Sie denn sonst noch was von Joethe?“
Asmus wurde lebendig. Er begann aufzuzählen.
„Na, das ist ja so ziemlich alles. Haben Sie denn auch alles verstanden?“

Abbildung 4.

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