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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 2.1908

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Heft IX (September 1908)
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Hahn, Robert: Dritter Internationaler Kongress zur Förderung des Zeichenunterrichts
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https://doi.org/10.11588/diglit.31819#0100

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das zu diesem Zwecke vom Ministerium zur Verfügung gestellt worden war. Wer
noch den gemütlichen Berner Empfangsabend in Erinnerung hatte und anderseits
die steifen Sitten Englands nicht kannte — und das traf zu fast bei allen südlich
des Mains — der war jetzt blamiert. Da standen wir in unsern Jupp en
mitten unter Fräcken, Angströhren und grossen Toiletten. Und vor uns in einer
Linie auf teppichüberdecktem Pieclestal Miss Spiller, das unschuldige schlichte
Kind und doch wieder das Weib voll Tatkraft und Welterfahrung, dann Sir John
Gorst und Lord Carlisle. Aber es gab kein Zurück mehr. Also frisch den salto
mortale! Eines jeden Namen ward ausgerufen und die drei drückten jedem Gaste
feierlich die Hand. Jetzt frech wie die Spatzen nur mitten hinein! Bald hatten wir
eine Bank, wo alle vorüber mussten. Englands, Frankreichs und Amerikas Damen
hatten das Aeusserste aufgeboten. Welch’ ein Gegenstück zu Hampstead! Dazu
die klassischen Weisen einer Streichkapelle! Und unsere losen Bemerkungen!
Trunken von Farben, Formen und Tönen schlugen wir uns dann zum Buffet durch,
wo selbst ein schwäbischer Durst mit vorzüglicher Bowle gestillt werden konnte.
Der Mittwoch vormittag galt der Frage der Zeichenlehrer-Ausbildung.
Drei Engländer, ein Amerikaner, ein Franzose, ein Belgier und ein Ungar sprachen
über dieses wichtige Thema, das entschieden die Wurzel der ganzen modernen
Zeichenunterrichtsbewegung genannt werden muss. Das hat die Zeichenausstellung
bestätigt. Sehr lebhaft wurde dementsprechend die Diskussion, an der sich die
verschiedensten Nationen beteiligten. Zum Schlüsse führte ich etwa folgendes aus:
Mit Vorschlägen zur Ausbildung der Zeichenlehrer werden wir förmlich über-
schüttet. Zunächst können wir daraus soviel entnehmen, dass wir in dieser wich-
tigen Frage zu einem befriedigenden Ergebnis noch nicht gelangt sind. Es möge
daher auch mir gestattet sein, kurz darzulegen, wie ich mir die ideale Ausbildung
eines Zeichenlehrers denke. Der (übrigens selbstverständliche aber doch von manchen
äusser acht gelassene) Grundgedanke muss hiebei sein, dass wir nicht Wissenschaft,
sondern Kunst zu lehren haben. Ziehen wir also einmal einen dicken Strich
zwischen unserer Ausbildung und derjenigen der Wissenschaftler und halten uns
fern von einem Gemisch, das weder wissenschaftlich noch künstlerisch (sein kann!
Wir brauchen also in erster Linie kein Maturum. Wir wollen mit dem Einsetzen
der künstlerischen Ausbildung nicht solange zuwarten, bis erfahrungsgemäss das
Auge durch die viele Buchweisheit schwer geschädigt ist. Was der Zeichenlehrer
an wissenschaftlicher Grundlage bedarf, dazu reicht die Sekunda aus. Dann wollen
wir ferner auch in der Zeit der künstlerischen Fachbildung alles Wissenschaftliche
ausscheiden, das nicht unbedingt zur Sache gehört. So lese ich unter den Vor-
schlägen von Mr. Strong ,,Geschichte, Theorie und Praxis der Erziehung“. Da es
in den Seminaren doch gewöhnlich anders gezeigt wird, als in der Praxis die
Sache gemacht wird, so möchte ich vorschlagen, dass Pädagogik aus dem Lehr-
plan ausgeschieden werde, und dass dafür die Kandidaten nach abgelegter Prüfung
draussen bei einem bewährten und zugleich pädagogisch gebildeten Schulmann
72 Jahr lang praktizieren, wie dies ja auch bei unsern Wissenschaftlern ähn-
lich der Fall ist. Ferner schlägt Strong vor Botanik und Physiologie. Was der
Zeichenlehrer von diesen Fächern nötig hat, kann er bis zur Sekunda sich an-
geeignet haben. Weiter höre ich Schulgesundheitslehre. Die hygienischen Ein-
richtungen der Schule werden nicht vom Zeichenlehrer entschieden, also weg
damit! Endlich wird vorgeschlagen Kunstgewerbe. Was denkt sich Mr. Strong-
unter Kunstgewerbe? Drüben in der Ausstellung finden wir kunstgewerbliche Ent-
würfe von Zeichenlehramtskandidaten, die offenbar keine Ahnung davon haben, ob
und wie ihre Zeichnungen praktisch auszuführen sind. Kunstgewerbliches Entwerfen
ohne eine Werkstattunterlage ist wertlos. Darum möchte ich]vorschlagen, dass
unsere Kandidaten an Stelle der Prima in eine kunstgewerbliche Werkstätte ein-
treten, dort in ein oder zwei Jahren in einem oder in zwei Berufen die handwerk-
liche Grundlage sich erwerben, wie dies auch für unsere Techniker vorgeschrieben ist.
Darauf folge dann ein mindestens üjähriges Fachstudium an Kunst- und Kunst-
gewerbeschule — nicht an einem Zeichenlehrerseminar, denn wir wollen und brauchen
 
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