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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 2.1908

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Heft XI (November 1908)
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Umschau. Der Verein Sächsischer Zeichenlehrer
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https://doi.org/10.11588/diglit.31819#0129

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117

zu vermitteln, sowie eine bestmögliche technische Reife anzueignen und daneben, also
gleichzeitig, das Vermögen der freien Gestaltung zu entwickeln, äusserst schwer in Ein-
klang miteinander zu bringen sind. Denn pflegt man ausschliesslich das Formale, so ge-
winnt das Kind wohl jenen Vorstellungsschatz, aber die Möglichkeit ausgiebiger freier Ver-
wendung ist in Frage gestellt. Bevorzugt man hingegen die Pflege der Kunst freier Gestaltung,
so gelangt das Kind leicht zu einer falschen Einschätzung, ja zu einer Ueberschätzung seines
Könnens, zumal wenn ihm das Fehlen der formalen Grundbedingungen nicht bewusst wird.
Kommt ihm aber dieser Mangel zum Bewusstsein, so wird es mit Unlust bemerken, dass
das, was es kann, nicht Schritt hält mit dem, was es will. Es wird befangen gegenüber
seinen eigenen Leistungen, wenn nicht mutlos werden.
Ein Unterricht aber, der die Pflege der Form über alles stellt, versündigt sich meines
Erachtens an der Kindesseele ebensosehr wie jener, der das Zeichnen als Kunst der freien
Gestaltung, also das subjektive Zeichnen, einseitig pflegt und darüber verabsäumt, das
Fundament zu sichern.
Wie wird es nun möglich sein, diese Zweiheit zu vereinen? Wo ist hier ein Ausweg?
Ich gestehe offen, dass ich trotz langer und ernsthaftester Beschäftigung mit der
Frage bis heute noch nicht über jenen Zwiespalt hinweggekommen bin. Ich habe mich
deshalb auch dem Enthusiasmus einzelner Methodiker nie so recht freudig anschliessen
können, weil ich es für bedenklich halte, sich
vom Boden realer Wirklichkeit allzuweit zu
entfernen.
Man muss doch immer das tatsächlich
Erreichbare als Ziel im Auge behalten. Und
das ist für die Volksschule verhältnismässig
wenig, wenn man greifbare Erfolge sowohl
nach der formellen, als auch nach der inhalt¬
lichen Seite hin erzielen, oder mit anderen
Worten: wenn man die Aneignung von Formen
und die Verwendung derselben im freischaffen¬
den Zeichnen in absolut gleichem Masse
fördern will. Jenes tatsächlich Erreichbare
ist eben in eisernen Schranken gehalten durch
die Gestaltung der einfachen Volksschule an
sich und durch die Kürze der Zeit, die dem
Zeichenunterricht zur Verfügung steht. Diese
eine oder diese zwei Wochenstunden genügten
wohl für den Zeichenunterricht früherer Jahr¬
zehnte, reichen aber nicht mehr aus in einer
Zeit, die den Umfang des Faches gesteigert
und das Ziel weiter hinausgeschoben hat.
Daraus geht mit Notwendigkeit hervor,
dass dem Zeichenunterricht entweder mehr
Zeit eingeräumt werden muss, oder wenn das
nicht angängig scheint, dass seine Ziele nicht
zu weit gesteckt werden dürfen.
Denn das wird niemand im Ernst glauben, dass wir nun am Ende der Zeiten gärender
Entwicklung ständen, wenn wir auch zugestehen können, dass wir wieder ein gutes Stück
weiter gekommen sind.
Das eine ist not, dass wir an dem, was errungen ist, immer wieder strenge Kritik
üben, dass wir alles Neue, das oft nur ein scheinbar Neues ist, in den Brennpunkt der
Frage rücken, ob es uns dem erstrebten Ziele näher bringt und schliesslich und vor allem,
dass wir dieses Ziel selbst auch genau kennen und nicht aus dem Auge verlieren.
Ich halte die Reform so lange nicht für abgeschlossen, als es ihr nicht gelungen ist,
beide Forderungen, die des objektiven und die des subjektiven Zeichnens, im Rahmen des
tatsächlich Erreichbaren — das möchte ich immer wieder betonen — auf allen Stufen
in zeitliche und kausale, mit einem Worte: in organische Uebereinstimmung zu bringen.
Ich sehe das Ziel einer Reformierung, die das eigentlich Künstlerische trifft, lediglich
darin, beide Maximen in absoluten Einklang zu bringen, also ein Lehrgebäude zu errichten,
in dem nicht eine Partei an der andern vorbeigeht, sondern eine die andere hebt und trägt.
Hier eröffnet sich noch ein weites Gebiet für die Betätigung methodischer Pionier-
arbeit. Hier sehe ich ein Feld sich dehnen, das dem forschenden Fachmanne Lorbeeren
verheisst, wenngleich dieselben sich vielleicht erst einem späteren Geschlechte zum vollen
Kranze fügen werden.
Medizinalrat Professor Dr. Kunz-Krause an der Tierärztlichen Hochschule Dresden
sprach über „Die höhere Schule in ihrer Beziehung zum Zeichnen als all-
gemeines, notwendiges Bildungsmittel“. Als vor 2 Jahren durch Ihren Herrn
Vorsitzenden mittels Rundschreibens auch an mich die Fragen gestellt wurden:
„Erscheint Ihnen das Zeichnen unter unseren heutigen Verhältnissen als ein not-
wendiges Bildungsmittel“
und weiterhin:

Abbildung 5.
 
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