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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — 2.1908

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Heft XII (Dezember 1908)
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https://doi.org/10.11588/diglit.31819#0144

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130 —

Kupfergebiete cles Oberen Sees darlegte, so durchwanderte der Hörer im Geiste an der
Hand des Lehrers die in der Skizze flüchtig, aber packend dem Auge vorgeführten Gebiete
und nahm einen Eindruck in sich auf und hinaus ins Leben, der noch nach Jahrzehnten

geeignet ist, die Erinnerung an das Gehörte zu beleben.
Hierzu gehört jedoch, dass auch der
Schüler sich selbst zeichnerisch dabei
betätigt. — Dies führt aber zunächst
I. zu der Frage: Wer soll am Zeichen-
unterricht in den Mittelschulen
teilnehmen?
Diese Frage, die darauf hinausläuft, ob der
Zeichenunterricht in die planmässigen (obliga-
torischen) Fächer aufgenommen oder aber der
wahlfreien (fakultativen) Betätigung überant-
wortet werden soll, wird von den verschiedenen
Seiten aus verschiedenen Gründen verschieden beant-
wortet. Wenn zunächst für die wahlfreie, d. h.
Nicht-Betätigung, der Umstand geltend gemacht
wird, dass man selbst den Mangel zeichnerischer
Fertigkeit nicht entbehre, so ist darauf nur zu er-
widern, dass der Einzelne eben nur das möglicherweise nicht vermisst, was er nie besessen hat.
Beachtlicher erscheint der Einwurf unter Hinweis auf die verschiedene künstlerische
Begabung — richtiger technische Geschicklichkeit.
Demgegenüber glaube ich — soweit zeichnerische
Betätigung auf dem Gebiete der Naturwissenschaften in
Frage kommt — meiner Ansicht dahin Ausdruck geben zu
dürfen, dass
„künstlerische Begabung durchaus nicht als Voraus-
setzung zur praktischen zeichnerischen Betätigung
in Anspruch genommen werden kann“.
Mir scheint es, dass hier die Verhältnisse ähnlich liegen,
wie in der Sprache und deren graphischer Wiedergabe:
der Schrift.
Wenn nur die künstlerisch Begabten als geeignet für
den Unterricht im Zeichnen erachtet werden dürften, so
müsste man auch bei einem ansehnlichen Prozentsätze der
Angehörigen eines jeden Kulturvolkes darauf verzichten,
ihnen ihre Muttersprache im Wort und besonders in der
Schrift lehrend näher zu bringen, denn ein wie grosser
Prozentsatz der Bevölkerung kommt bei allen Nationen
über einen dilettantenhaften, ja mehr als dies, über einen
dürftigen Gebrauch seiner Muttersprache niemals hinaus?!
Die deutsche Sprache hat etwa 125 000 Worte. Wie-
viel davon werden im Alltagsleben gebraucht und wie wird
dieser geringfügige Anteil des gesamten Sprachschatzes in
Wort und Schrift täglich von unseren 60 Millionen deutschen
Zungen misshandelt?
Wird es heute trotzdem jemand in den Sinn kommen, die Erlernung dieser beiden
Fertigkeiten — ich gebrauche absichtlich diesen Ausdruck — nur auf die künstlerisch Ver-
anlagten beschränkt sehen zu wollen? — Wohl soll — nach Gilbert, dem Verfasser des
Mikado — ein jedes Kind als geborener Liberaler oder
Konservativer zur Welt kommen — die Veranlagung
für Sprache und Schrift verraten aber weder die lallen-
den Lippen, noch die krampfenden Händchen.
Wäre jenes Prinzip im Altertum massgebend ge-
wesen, so wäre den damaligen Zeitgenossen wohl der
stotternde Demosthenes bekannt gewesen, der be-
wundernden Nachwelt aber fehlte die Perle unter den
Redekünstlern des klassischen Altertums. —
Für die Beantwortung der aufgeworfenen Frage
kommt nun aber vor allem in Betracht, dass die
Schüler unserer Mittelschulen zu einem be-
trächtlichen Prozentsatz — in irgend einer
Form — wieder Lehrer unserer Jugend werden,
und weiterhin, dass Fertigkeit im Zeichnen
eine geistige Waffe mehr fürs praktische
Leben bedeutet!
Dürfte hiernach auch für die Mittelschulen und bis in deren Oberklassen nur der
planmässige (obligatorische), weil allein Erfolge gewährleistende Zeichenunterricht in Frage
kommen, so schliesst sich hieran eine zweite Frage:

Abbildung 12.


Abbildung 11.
 
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