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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 2.1908

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Heft VII (Juli 1908)
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Das Reutlinger Stellenausschreiben
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Ernst, Otto: Im Lehrerseminar
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https://doi.org/10.11588/diglit.31819#0074

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Soviel man hört, wurde bei den in letzter Zeit vorgenommenen Stellenumwandlungen
die Verpflichtung zur Aufsicht im offenen Zeichensaal nicht in das vom Minister unter-
zeichnete Dekret aufgenommen, sondern erst nachträglich in einem Sondererlass der Mittel-
behörde festgelegt. Das liess uns glauben, dass unsere oberste Behörde, das Ministerium,
von dieser Sache entweder nichts wisse oder sie doch wenigstens nicht decken wolle.
Dieser Glaube wurde uns nun durch das Reutlinger Ausschreiben jäh zerstört, sofern das
jetzt unter den Augen des Ministeriums geschieht, was seither sozusagen nur hinter seinem
Rücken geschehen konnte, womit für uns Zeichenlehrer ein Ausnahmezustand als zu Recht
bestehend erklärt wird, der nach unserem Dafürhalten einer gesetzlichen Grundlage entbehrt.
Sollte das so bleiben — wohlan! so steht ja dem Zeichenlehrer noch ein letztes Mittel
zu, der Weg der Selbsthilfe. Er ist nämlich nur zu Aufsicht im offenen Zeichensaal ver-
pflichtet, nicht zu Unterricht. Aufsicht schliesst aber nicht einmal das Stellen von Aufgaben
in sich, geschweige denn irgend eine Beihilfe mit Worten oder Tat. Der Zeichenlehrer
tue dann einmal lediglich seine Pflicht und übe recht wacker Aufsicht, aber keinen Deut
mehr! Die Wirkung wird nicht lange auf sich warten lassen. Die Schüler, die etwas ganz
anderes erhofft und seither auch gefunden haben, werden schnell auseinanderlaufen, und
der offene Zeichensaal, diese segensreiche altwürttembergische Einrichtung, um die man uns
anderwärts beneidet, wird bald aufgehört haben zu existieren. Wohl wäre das mit Rücksicht
auf unser Kunstgewerbe wie auf unsere strebsamsten Schüler im höchsten Grad bedauerlich;
aber kein Mensch kann uns verargen, wenn uns die eigene Haut, unser eigenes geistige und
leibliche Wohlergehen und damit unsere Familie schliesslich näher stehen als alles wiirttem-
bergische Kunstgewerbe.
Wir wünschen natürlich nicht, dass es so weit kommen möge — schon nicht mit Rück-
sicht auf das Gedächtnis desjenigen, der mit weitschauendem Blick bereits vor Jahrzehnten
im offenen Zeichensaal eine Einrichtung geschaffen, die man anderwärts erst heute mit Opfern
einzurichten bestrebt ist: Steinbeis’, dem wir auch sonst so manches zu verdanken haben.
Wir appellieren darum „an den besser zu unterrichtenden“ Kultminister in der Hoffnung,
dass er eine befriedigende Lösung noch schaffen werde — sei’s nun, dass der offene Zeichen-
saal mit einer von Fall zu Fall zu bestimmenden Stundenzahl in die Pflichtstunden einge-
rechnet, oder wo es nicht anders ginge als ausserhalb der Pflichtstunden liegend besonders
bezahlt würde.
Ein befreundeter Volksschullehrer erzählt uns, dass die Volksschullehrer einstens auch
eine „Aufsicht“ ausserhalb ihrer Pflichtstunden gehabt hätten, die Kirchenaufsicht, die ihnen
die Zwischen- und Unterbehörden jahrhundertelang umsonst auszuüben zugemutet. Eine
Rechtsgrundlage hiefiir war aber nicht vorhanden, und so hat das Ministerium endlich dahin
entschieden, dass kein Lehrer mehr zu dieser Aufsicht gezwungen werden dürfe.
Viele Zeichenlehrer hatten seither unter ihrer Ausnahmestellung als Fachlehrer schwer
zu leiden. Das Ministerium hat diese in dankenswerter Weise beseitigt, indem es den Weg
zur Umwandlung der Fach- in Hauptlehrstellen ebnete, ein Weg, der denn auch seither
mehrfach schon beschritten worden ist. Wir Zeichenlehrer hatten von dieser bedeutsamen
Wandlung eben das eine erhofft, aus dem rechtlosen Zustand der Willkür heraus-
zukommen auf einen klaren Rechtsboden, wo Pflichten und Rechte für alle
gleich scharf umrissen sind. Statt dessen sehen wir uns einem neuen Aus-
nahmezustand preisgegeben, dessen Wirkungen unter Umständen unge-
heuerliche sein können. Hat man es doch mit diesem offenen Zeichensaal, da keinerlei
Grenzen gezogen sind, in der Hand, dem Lehrer jede freie Stunde zu nehmen und ihm so
die Möglichkeit zur Weiterbildung wie zur Erholung zu rauben. Es ist doch wahrlich kein
unbilliges Verlangen, nachdem man einmal die Zeichenlehrer als Hauptlehrer anerkannt und
angestellt hat, ihnen auch hinsichtlich der Pflichtstunden die Pflichten und Rechte ihrer
Stufe zuzumessen. Wir glauben das umso eher erwarten zu dürfen, als gerade die würt-
tembergischen Zeichenlehrer es sind, die unter ihren Kollegen in andern deutschen Staaten,
was Pflichtstunden betrifft, ohnehin am härtesten angelegt sind. Und so hoffen wir zuver-
sichtlich, dass hier bald eine Entscheidung getroffen werden möge, die unserem Rechts-
empfinden entspricht. Einer mit geschlossenem Z. aber mit offenem A.

Im Lehrerseminar")
Von Otto Ernst
Das und manches andere im heiligen Tempel des Präparandeums war nun wohl gut
und schön; aber es gab auch gefürchtete Stunden, und die gefürchtesten waren die Zeichen-
stunden, die in einer weit entlegenen Gewerbeschule genommen werden mussten. Die waren
so schlecht, dass sie sogar den Charakter verdarben.
Wie hatte sich Asmus aufs Zeichnen gefreut! Von früher Kindheit an hatte er ge-
zeichnet, und in den Berg- und Waldlandschaften, die er kopiert hatte, hatte er ein frommes
und seliges Leben gelebt. Selbst der kümmerliche Zeichenunterricht seiner Dorfschule hatte
ihm noch Freude gemacht. Als Asmus zum ersten Male in dem riesigen Zeichensaal, der
so viel mit der Kunst gemein hatte wie das Wartezimmer eines Bezirkskommandos, Platz

*) Aus dem Roman „Semper, der Jüngling“ von Otto Ernst.
 
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