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Bückerschau.
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Werk der Plastik, kein Freskeneyklus sind erhalten,
die eine mehr als durchschnittsmäßige Bedeutung
zu beanspruchen hätten. Endlich ist es bekannt,
welch grausames Schicksal eine Welt von Kunst-
werken betroffen hat. Kaum anderswo hat der
Bildersturm mit gleicher Wucht und Nachhaltigkeit
gewütet, und was die Eiferer im 16. Jahrhundert
verschonten, ist den Forderungen der Mode und der
Gleichgültigkeit späterer Generationen zum Opfer
gefallen. Nur wenige zerstreute Glieder giebt es,
welche Aufschluss über einen der merkwürdigsten
Wendepunkte, den Übergang von der Kunst des
Mittelalters in die der Renaissance, zu bieten ver-
mögen. Bei solchem Stand der Dinge will auch
das Kleine und scheinbar Nebensächliche zu Rate
gezogen sein, denn nur so gelingt es, die vielen
Lücken zu überbauen und die leitenden Pfade für
das Verständnis zu bahnen.
Haendcke hat sein Werk in zwei Hauptabschnitte
geteilt. Der erste handelt von der „schweizerischen
Malerei unter vorwiegend deutschem Einflüsse", der
zweite führt sie „unter vorwiegend niederländisch-
italienischem Einflüsse" vor. Innerhalb dieser Ab-
schnitte, die zugleich eine chronologische Teilung
mit der Wende um 1570 bezeichnen, werden nach
Städten und Landschaften die Meister nebst ihrem
Anhange geordnet. Unberücksichtigt ist die Kunst
am Südfuße der Alpen geblieben. In der That sind
keine Spuren zu finden, welche ihren unmittelbaren
Einfluss auf das diesseitige Schaffen belegen; aber
anziehend wäre es gleichwohl gewesen, diesen Teil
in den Rahmen der Darstellung hineinzuziehen, und
wer es unternimmt, das Kunstleben auf Schweizer-
boden in seiner vollen Mannigfaltigkeit zu schildern,
hat auch diese Aufgabe zu lösen.
Im übrigen ist zu rühmen, dass es der Verfasser
an redlichem Fleiße nicht fehlen ließ. Auf vielen
Wanderungen hat er entlegene Thalwinkel durch-
streift, was in öffentlichem und privatem Besitze zu
Huden war, mit Sorgfalt untersucht und registrirt.
Auch die mühselige Arbeit, welche im Hinblick
auf die späteren Meister Jost Ammann, die Murer,
Stimmer u. s. w. durch einen Wirrwarr von Druck-
werken, Einzelblättern und Handrissen zu verrichten
war, hat sich Haendcke nicht verdrießen lassen.
Eine reiche Zahl von Ergebnissen haben diese
Untersuchungen gefördert. Aus neuen Gesichts-
punkten ist die künstlerische Entwickelung Nikolaus
Manuel's geschildert, wobei man gerne von der Vor-
sicht Akt nehmen wird, mit welcher Verfasser nun-
mehr (S. 70 und Note 140) die Möglichkeit eines
Schulverhältnisses zu Hans Fries berührt. Wesent-
liche Bereicherungen haben die Biographieen der
Meister Urs Graf, Hans Fries und des Zeichners
Hans Leu gefunden. Endlich hat Haendcke als erster
eine zusammenhängende und, wie mir scheint, er-
schöpfende Schilderung des Kunstlebens in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gegeben.
Detailfragen müssen der Besprechung in anderen
Zeitschriften überlassen werden. Nur über das Ganze
und die Methode haben sich meine Beobachtungen
zu verbreiten, und hierbei drängt sich als erste die
Uberzeugung auf, dass eine große Ungleichheit
zwischen der Behandlung der einzelnen Abschnitte
besteht. Wenn Holbein mit zwei Seiten abgethan
wird, so könnte das seine Begründung in der frem-
den Herkunft des Meisters finden, auch wird ja der
Leser keine Wiederholung des Biographischen er-
warten, allein das Auftreten Holbein's ist so ein-
greifend und seiu Einfluss auf die Zeitgenossen und
Nachstrebenden ein so allseitiger und nachhaltiger
gewesen, dass der Ausfall einer zusammenhängenden
Darstellung deshalb um so mehr befremdet, als
anderswo über eine einzige Schule gelehrte Hypo-
thesen aufgestellt (S. 205) und Maler ordinären
Schlages wie Klauber, Ardüser u. s. w. mit einer
Breite behandelt werden, die in keinem Verhältnis
zu dem Werte ihrer Leistungen steht. Wiederum
treten namhafte Werke zurück. Der Todesbilder in
Chur wird mit wenigen Zeilen, der 1517 datirten
Malereien an der bischöflichen Betloge und des
Laurentiusaltares von 1545 im Churer Dome über-
haupt nicht gedacht. Wir vermissen die Wert-
schätzung, welche die Gewölbemalereien in der Kirche
von Lutry als einzigartige Probe flottester Orna-
mentik beanspruchen, und so gut wie die schwä-
bischen Maler und Altarschnitzer aus dem Anfange
des 16. Jahrhunderts der Erwähnung wert gehalten
wurden, hätte der in Bünden vielbeschäftigte Greitter
aus Brixen genannt werden können. Ebenfalls uner-
wähnt sind als Zeitgenossen Martini's die Stecher Hein-
rich Stacker und Johann Caspar Winterlin geblieben.
Oft übt das Buch überhaupt mehr den Eindruck
einer Sammlung von Monographieen als den eines
methodisch und festgefügten Ganzen aus. Es fehlen
gewichtig zusammenfassende Zwischenglieder, auch
die Beziehung der historischen Einlagen auf den
Gang der Kunstentwickelung tritt nicht immer mit
Klarheit hervor, und dennoch hätten sich Gesichts-
punkte ermitteln lassen, aus denen eine generalisi-
! rende Behandlung und die natürliche Verschmelzung
I getrennter Abschnitte denkbar wäre.
Bückerschau.
160
Werk der Plastik, kein Freskeneyklus sind erhalten,
die eine mehr als durchschnittsmäßige Bedeutung
zu beanspruchen hätten. Endlich ist es bekannt,
welch grausames Schicksal eine Welt von Kunst-
werken betroffen hat. Kaum anderswo hat der
Bildersturm mit gleicher Wucht und Nachhaltigkeit
gewütet, und was die Eiferer im 16. Jahrhundert
verschonten, ist den Forderungen der Mode und der
Gleichgültigkeit späterer Generationen zum Opfer
gefallen. Nur wenige zerstreute Glieder giebt es,
welche Aufschluss über einen der merkwürdigsten
Wendepunkte, den Übergang von der Kunst des
Mittelalters in die der Renaissance, zu bieten ver-
mögen. Bei solchem Stand der Dinge will auch
das Kleine und scheinbar Nebensächliche zu Rate
gezogen sein, denn nur so gelingt es, die vielen
Lücken zu überbauen und die leitenden Pfade für
das Verständnis zu bahnen.
Haendcke hat sein Werk in zwei Hauptabschnitte
geteilt. Der erste handelt von der „schweizerischen
Malerei unter vorwiegend deutschem Einflüsse", der
zweite führt sie „unter vorwiegend niederländisch-
italienischem Einflüsse" vor. Innerhalb dieser Ab-
schnitte, die zugleich eine chronologische Teilung
mit der Wende um 1570 bezeichnen, werden nach
Städten und Landschaften die Meister nebst ihrem
Anhange geordnet. Unberücksichtigt ist die Kunst
am Südfuße der Alpen geblieben. In der That sind
keine Spuren zu finden, welche ihren unmittelbaren
Einfluss auf das diesseitige Schaffen belegen; aber
anziehend wäre es gleichwohl gewesen, diesen Teil
in den Rahmen der Darstellung hineinzuziehen, und
wer es unternimmt, das Kunstleben auf Schweizer-
boden in seiner vollen Mannigfaltigkeit zu schildern,
hat auch diese Aufgabe zu lösen.
Im übrigen ist zu rühmen, dass es der Verfasser
an redlichem Fleiße nicht fehlen ließ. Auf vielen
Wanderungen hat er entlegene Thalwinkel durch-
streift, was in öffentlichem und privatem Besitze zu
Huden war, mit Sorgfalt untersucht und registrirt.
Auch die mühselige Arbeit, welche im Hinblick
auf die späteren Meister Jost Ammann, die Murer,
Stimmer u. s. w. durch einen Wirrwarr von Druck-
werken, Einzelblättern und Handrissen zu verrichten
war, hat sich Haendcke nicht verdrießen lassen.
Eine reiche Zahl von Ergebnissen haben diese
Untersuchungen gefördert. Aus neuen Gesichts-
punkten ist die künstlerische Entwickelung Nikolaus
Manuel's geschildert, wobei man gerne von der Vor-
sicht Akt nehmen wird, mit welcher Verfasser nun-
mehr (S. 70 und Note 140) die Möglichkeit eines
Schulverhältnisses zu Hans Fries berührt. Wesent-
liche Bereicherungen haben die Biographieen der
Meister Urs Graf, Hans Fries und des Zeichners
Hans Leu gefunden. Endlich hat Haendcke als erster
eine zusammenhängende und, wie mir scheint, er-
schöpfende Schilderung des Kunstlebens in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gegeben.
Detailfragen müssen der Besprechung in anderen
Zeitschriften überlassen werden. Nur über das Ganze
und die Methode haben sich meine Beobachtungen
zu verbreiten, und hierbei drängt sich als erste die
Uberzeugung auf, dass eine große Ungleichheit
zwischen der Behandlung der einzelnen Abschnitte
besteht. Wenn Holbein mit zwei Seiten abgethan
wird, so könnte das seine Begründung in der frem-
den Herkunft des Meisters finden, auch wird ja der
Leser keine Wiederholung des Biographischen er-
warten, allein das Auftreten Holbein's ist so ein-
greifend und seiu Einfluss auf die Zeitgenossen und
Nachstrebenden ein so allseitiger und nachhaltiger
gewesen, dass der Ausfall einer zusammenhängenden
Darstellung deshalb um so mehr befremdet, als
anderswo über eine einzige Schule gelehrte Hypo-
thesen aufgestellt (S. 205) und Maler ordinären
Schlages wie Klauber, Ardüser u. s. w. mit einer
Breite behandelt werden, die in keinem Verhältnis
zu dem Werte ihrer Leistungen steht. Wiederum
treten namhafte Werke zurück. Der Todesbilder in
Chur wird mit wenigen Zeilen, der 1517 datirten
Malereien an der bischöflichen Betloge und des
Laurentiusaltares von 1545 im Churer Dome über-
haupt nicht gedacht. Wir vermissen die Wert-
schätzung, welche die Gewölbemalereien in der Kirche
von Lutry als einzigartige Probe flottester Orna-
mentik beanspruchen, und so gut wie die schwä-
bischen Maler und Altarschnitzer aus dem Anfange
des 16. Jahrhunderts der Erwähnung wert gehalten
wurden, hätte der in Bünden vielbeschäftigte Greitter
aus Brixen genannt werden können. Ebenfalls uner-
wähnt sind als Zeitgenossen Martini's die Stecher Hein-
rich Stacker und Johann Caspar Winterlin geblieben.
Oft übt das Buch überhaupt mehr den Eindruck
einer Sammlung von Monographieen als den eines
methodisch und festgefügten Ganzen aus. Es fehlen
gewichtig zusammenfassende Zwischenglieder, auch
die Beziehung der historischen Einlagen auf den
Gang der Kunstentwickelung tritt nicht immer mit
Klarheit hervor, und dennoch hätten sich Gesichts-
punkte ermitteln lassen, aus denen eine generalisi-
! rende Behandlung und die natürliche Verschmelzung
I getrennter Abschnitte denkbar wäre.