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Bücherschau.
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Wie anziehend ist es, das Eindringen der Re-
naissance zu verfolgen, unter welchen Formen, in
welchen Kunstzweigen ihre Elemente aufgetreten
sind und wie sie sich zur Reife entwickelt haben!
Abgesehen von der 1516 und 1517 datirten Schule
von Stein a. Rh., heißt es S. 205, dürfte außerhalb
Basels das Auftreten von Renaissanceformen nicht
vor 1519 bis 1520 nachweisbar sein. Thatsächlich
aber waren solche schon 1510 in den untergegange-
nen Wandgemälden von Töß vertreten, 1515 er-
scheinen Kandelabersäulen auf der Vinzenzentapete
von Bern und 1517 ist die volle Ausbildung des
neuen Stiles durch die Konsolen von S. Johann in
Schaffhausen belegt. Daraus folgt, dass für diesen
Abschnitt keineswegs die zeichnenden Künste allein
zu berücksichtigen sind, sondern wie vielmehr auf
allen Gebieten die Zersetzung der Gotik sich vorzu-
bereiten begann. Mit dieser frühesten Entwickelungs-
stufe fällt das Auftreten Urs Grafs und Nikolaus
Manuel's zusammen, und wie dann Holbein den neuen
Stil zur gesetzmäßigen Reife führte, hat Woltmann
geschildert. Mit den Künstlern und Kunsthand-
werkern haben sich die Theoretiker die Verbreitung
des Neuen zur Aufgabe gemacht. Wir vermissen
eine Andeutung hierüber, während doch in den
schweizerischen Offizinen — es genügt an Flötner's
Intarsienbuch zu erinnern — eine Reihe namhafter
Lehr- und Musterbücher erschienen.
Und wie ihre Einführung auf vorwiegend klein-
künstlerischem und handwerklichem Gebiete erfolgte,
so hat die Renaissance auch später den Charakter
dieses Ursprunges bewahrt, begreiflich, weil zudem
die Kunst nur Einem Stande, dem Bürgertum, zu
dienen hatte, aber eben hieraus ging hinwiederum
Volkstümlichkeit und eigenartige Entwickelung her-
vor. Jetzt erst, seit dem Beginne des 16. Jahr-
hunderts, konnte wirklich von einer schweizerischen
Kunst gesprochen werden. Ihre Verkörperung hat
sie, wie schon im Eingange betont worden ist, nicht
in großartigen Werken gefunden, um so reichere
Blüten hat die Kleinkunst getrieben: in Formschnit-
ten und Glasmalereien, in keramischen Erzeugnissen,
Goldschmiedearbeiten und Werken der Metalltechnik
überhaupt, endlich in allem, was Gemach und Haus-
rat zierte. Hier blieb die Frische und Lebenskraft
Iiis tief ins 17. Jahrhundert forterhalten, denn die
sittliche Regeneration hatte den Wert des häus-
lichen Daseins zu einem Grade gehoben, dass die
Kunst von dieser Seite einen reichen Ersatz für den
Ausfall früherer Aufgaben empfing. Mochte somit
der Rückgang der Kunst und speziell der Malerei,
soweit sie höheren Zwecken dienten, unverkennbar
sein, so war das Kunstbedürfnis gleichwohl ein so
allgemeines und volkstümliches geblieben, dass selbst
das Bauernhaus mit Glasmalereien und Schnitzwerk
sich schmückte.
Das sind Beobachtungen, die sich bei der Lek-
türe aufdrängten und vielleicht ihre Ausführungen
in einer neuen Auflage finden. Im übrigen kennt
jeder, der so umfangreiche Arbeiten übernommen
hat, die Klippen, die sich einer sicheren Methode
und der treffenden Wahl des Stoffes entgegenstellen.
In jedem Falle hat Haendcke reiche Anregungen
gegeben und einen Saldo gezogen, der seinem Buche
einen bleibenden Rang in der kunstgeschichtlichen
Litteratur der Schweiz verschafft. Auch äußerlich
tritt dasselbe als eine vornehme Gabe auf. Der
Druck ist sauber und schön, die Schrift geschmack-
voll und opulent. Wünschenswert wären häufigere
und bestimmtere Alineas gewesen. Die Abschnitte
über Holbein, S. 37, und Nikolaus Manuel, S. 64,
schleichen gleichsam nur verstohlen ein. Auch der
Umstand, dass die Meisternamen nicht durch ge-
sperrte Schrift hervorgehoben sind, erschwert die
Übersichtlichkeit und zwingt den Leser, häufig und
mühsam nachzuschlagen. Die artistischen Beilagen
— Lichtdruckblätter — sind nicht immer gelungen.
Das Gemälde Moser's hätte in vorliegender Aus-
führung weggelassen und an Stelle des Lindtmeyer-
schen Risses eine bessere und charaktervollere Probe
von der Hand dieses Meisters gefunden werden können.
Zürich, im November 1893.
J. R. RAHN.
Martin, Ernst. Handzeichnungen von Thomas Murner
zu einer Übersetzung der Weltgeschichte des Sabellicus.
Straßburg i. E., Mathias Gerschl. 1892. 8°. 2 S. Text und
8 Tafeln Phot. 8 M.
Die hier zum erstenmal publizirten Federzeichnungen
sind einer Handschrift der Karlsruher Hofbibliothek ent-
nommen, die einen Teil einer 1532 von Thomas Murner ge-
schriebenen Übersetzung der Weltgeschichte des Sabellicus
enthält. In der nur zwei Seiten langen Einleitung fehlt das
i Wichtigste: der Nachweis, dass die Zeichnungen von Murner
i sind. Denn die beiläufige Bemerkung: ,.sie sind von einer
(Murner's) Hand gezeichnet, wie die Cbereinstimmung der
Tinte und der Züge zeigt" ist nicht ganz verständlich und
genügt jedenfalls nicht, um die Autorschaft Murner's ohne
weiteres glaubhaft erscheinen zu lassen. Die Blätter sehen
dem Ref. sehr wenig nach Dichterzeichnungen aus, er möchte
in ihnen vielmehr die Hand eines sehr versirten handwerks-
mäßigen Meisters erkennen, der für 1532 einen merkwürdig
altertümlichen Stil hat, sich sonst aber als ein recht ge-
schickter Zeichner erweist. Die Illustrationen behandeln
meist Vorgänge aus der römischen Geschichte. Nicht gerade
j überraschend neu ist die Bemerkung, dass .,sie freilich nach
| der Weise der Zeit im Kostüm der damaligen Gegenwarf
Bücherschau.
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Wie anziehend ist es, das Eindringen der Re-
naissance zu verfolgen, unter welchen Formen, in
welchen Kunstzweigen ihre Elemente aufgetreten
sind und wie sie sich zur Reife entwickelt haben!
Abgesehen von der 1516 und 1517 datirten Schule
von Stein a. Rh., heißt es S. 205, dürfte außerhalb
Basels das Auftreten von Renaissanceformen nicht
vor 1519 bis 1520 nachweisbar sein. Thatsächlich
aber waren solche schon 1510 in den untergegange-
nen Wandgemälden von Töß vertreten, 1515 er-
scheinen Kandelabersäulen auf der Vinzenzentapete
von Bern und 1517 ist die volle Ausbildung des
neuen Stiles durch die Konsolen von S. Johann in
Schaffhausen belegt. Daraus folgt, dass für diesen
Abschnitt keineswegs die zeichnenden Künste allein
zu berücksichtigen sind, sondern wie vielmehr auf
allen Gebieten die Zersetzung der Gotik sich vorzu-
bereiten begann. Mit dieser frühesten Entwickelungs-
stufe fällt das Auftreten Urs Grafs und Nikolaus
Manuel's zusammen, und wie dann Holbein den neuen
Stil zur gesetzmäßigen Reife führte, hat Woltmann
geschildert. Mit den Künstlern und Kunsthand-
werkern haben sich die Theoretiker die Verbreitung
des Neuen zur Aufgabe gemacht. Wir vermissen
eine Andeutung hierüber, während doch in den
schweizerischen Offizinen — es genügt an Flötner's
Intarsienbuch zu erinnern — eine Reihe namhafter
Lehr- und Musterbücher erschienen.
Und wie ihre Einführung auf vorwiegend klein-
künstlerischem und handwerklichem Gebiete erfolgte,
so hat die Renaissance auch später den Charakter
dieses Ursprunges bewahrt, begreiflich, weil zudem
die Kunst nur Einem Stande, dem Bürgertum, zu
dienen hatte, aber eben hieraus ging hinwiederum
Volkstümlichkeit und eigenartige Entwickelung her-
vor. Jetzt erst, seit dem Beginne des 16. Jahr-
hunderts, konnte wirklich von einer schweizerischen
Kunst gesprochen werden. Ihre Verkörperung hat
sie, wie schon im Eingange betont worden ist, nicht
in großartigen Werken gefunden, um so reichere
Blüten hat die Kleinkunst getrieben: in Formschnit-
ten und Glasmalereien, in keramischen Erzeugnissen,
Goldschmiedearbeiten und Werken der Metalltechnik
überhaupt, endlich in allem, was Gemach und Haus-
rat zierte. Hier blieb die Frische und Lebenskraft
Iiis tief ins 17. Jahrhundert forterhalten, denn die
sittliche Regeneration hatte den Wert des häus-
lichen Daseins zu einem Grade gehoben, dass die
Kunst von dieser Seite einen reichen Ersatz für den
Ausfall früherer Aufgaben empfing. Mochte somit
der Rückgang der Kunst und speziell der Malerei,
soweit sie höheren Zwecken dienten, unverkennbar
sein, so war das Kunstbedürfnis gleichwohl ein so
allgemeines und volkstümliches geblieben, dass selbst
das Bauernhaus mit Glasmalereien und Schnitzwerk
sich schmückte.
Das sind Beobachtungen, die sich bei der Lek-
türe aufdrängten und vielleicht ihre Ausführungen
in einer neuen Auflage finden. Im übrigen kennt
jeder, der so umfangreiche Arbeiten übernommen
hat, die Klippen, die sich einer sicheren Methode
und der treffenden Wahl des Stoffes entgegenstellen.
In jedem Falle hat Haendcke reiche Anregungen
gegeben und einen Saldo gezogen, der seinem Buche
einen bleibenden Rang in der kunstgeschichtlichen
Litteratur der Schweiz verschafft. Auch äußerlich
tritt dasselbe als eine vornehme Gabe auf. Der
Druck ist sauber und schön, die Schrift geschmack-
voll und opulent. Wünschenswert wären häufigere
und bestimmtere Alineas gewesen. Die Abschnitte
über Holbein, S. 37, und Nikolaus Manuel, S. 64,
schleichen gleichsam nur verstohlen ein. Auch der
Umstand, dass die Meisternamen nicht durch ge-
sperrte Schrift hervorgehoben sind, erschwert die
Übersichtlichkeit und zwingt den Leser, häufig und
mühsam nachzuschlagen. Die artistischen Beilagen
— Lichtdruckblätter — sind nicht immer gelungen.
Das Gemälde Moser's hätte in vorliegender Aus-
führung weggelassen und an Stelle des Lindtmeyer-
schen Risses eine bessere und charaktervollere Probe
von der Hand dieses Meisters gefunden werden können.
Zürich, im November 1893.
J. R. RAHN.
Martin, Ernst. Handzeichnungen von Thomas Murner
zu einer Übersetzung der Weltgeschichte des Sabellicus.
Straßburg i. E., Mathias Gerschl. 1892. 8°. 2 S. Text und
8 Tafeln Phot. 8 M.
Die hier zum erstenmal publizirten Federzeichnungen
sind einer Handschrift der Karlsruher Hofbibliothek ent-
nommen, die einen Teil einer 1532 von Thomas Murner ge-
schriebenen Übersetzung der Weltgeschichte des Sabellicus
enthält. In der nur zwei Seiten langen Einleitung fehlt das
i Wichtigste: der Nachweis, dass die Zeichnungen von Murner
i sind. Denn die beiläufige Bemerkung: ,.sie sind von einer
(Murner's) Hand gezeichnet, wie die Cbereinstimmung der
Tinte und der Züge zeigt" ist nicht ganz verständlich und
genügt jedenfalls nicht, um die Autorschaft Murner's ohne
weiteres glaubhaft erscheinen zu lassen. Die Blätter sehen
dem Ref. sehr wenig nach Dichterzeichnungen aus, er möchte
in ihnen vielmehr die Hand eines sehr versirten handwerks-
mäßigen Meisters erkennen, der für 1532 einen merkwürdig
altertümlichen Stil hat, sich sonst aber als ein recht ge-
schickter Zeichner erweist. Die Illustrationen behandeln
meist Vorgänge aus der römischen Geschichte. Nicht gerade
j überraschend neu ist die Bemerkung, dass .,sie freilich nach
| der Weise der Zeit im Kostüm der damaligen Gegenwarf