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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 5.1894

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Lier, Hermann Arthur: Zum Streit über die Moderne Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.5781#0199

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379

Zum Streit über die moderne Kunst.

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der Standpunkt des Anatomen für die Würdigung
eines Gemäldes, bei dem doch die Behandlung von
Luft und Licht auch geprüft werden muss, erst in
zweiter Linie in Betracht kommt, so wäre er deshalb
noch lange nicht berechtigt, die ganze moderne Ma-
lerei zu verdammen und ihr den lächerlichen Vor-
wurf zu machen, dass sie „nur den Dreck wirklich
rocht natürlich wiederzugeben" verstände. Wir können
daher Avenarius nur vollständig beipflichten, wenn
er sein Urteil über die Fritsch'sche Broschüre im
Kunstwart (VII, 11, S. 108) dahin zusammenfasst:
„Alles in allem! Diese Schrift ist die größte Selbst-
bloßstellung, die mir seit Jahren vorgekommen ist."

So maßlos und unwürdig, wie Fritsch's Angriffe
auf die modernen Maler ausgefallen sind, so maß-
voll und würdig ist die Antwort gehalten, die der
Berliner Maler August von Heyden in seiner Bro-
schüre: „Aus eigenem Rechte der Kunst. Ein Wort
zur Abwehr" (Berlin, F. Fontane & Co., 1894. 8°.)
darauf erteilt hat. Heydens Ausführungen bieten,
so kurz sie sind, bei weitem das Beste, was bis jetzt
in dieser Angelegenheit öffentlich ausgesprochen
worden ist. Denn hier zuerst finden wir eine rich-
tige Fragestellung. Indem Heyden darauf hinweist,
dass die moderne Kunst das Problem des Lichtes
und der Luft und ihrer Wirkung auf den Körper
auf ihre Fahne geschrieben habe, weist er nach, dass
die anatomische Richtigkeit der Zeichnung nicht
selten unter dem Einfluss jener Momente einen ge-
radezu falschen Eindruck hervorrufen könne. Vor
allem aber sei es durchaus unrichtig, aus dem Vor-
handensein anatomischer Fehler den Unwert eines
Kunstwerkes beweisen zu wollen, da gerade die be-
rühmtesten die „derbsten Verstöße" zeigen. Dem
Künstler müsse es gestattet sein, bei aller Achtung
vor den Gesetzen der Natur, sich einmal über diese
Gesetze zu stellen, wenn die höheren Zwecke und
Ziele eines Kunstwerkes dieses fordern. Denn das
sei das eigene Recht der Kunst. „Ton, Farbe, poe-
tisobe Stimmung in jedem Kunstwerke sind die feind-
lichen Geschwister absoluter Richtigkeit. . . Der
Maler aber befindet sich nur zu oft in dem Konflikte,
einen feinen farbigen Ton der korrekten Form, oder
letztere dem ersteren opfern zu müssen. Je nach-
dem der Beschauer nach der einen oder anderen
Seite empfindnngsfähiger organisirt ist, wird er dem
Künstler das eine oder das andere verzeihen oder
verargen, und ein guter Teil der von Ihnen (Fritscb)
so ernst gerügten Felder ist sicher auf den Konflikt
zwischen dem Maler und dem Zeichner des Bildes
zurückzuführen." Weder Stuck, der „ein zuverläs- i

siger Zeichner und Kenner der Anatomie sei", noch
Klinger oder Harrison hätten sich eigentliche Inkor-
rektheiten zu Schulden kommen lassen.

„Harrison und Klinger ist es auf ihren Bildern
der letzten Ausstellung auf ganz anderes angekom-
men, als auf Malerei eines korrekten Aktes, und
ich meine, was sie gewollt, haben sie auch erreicht.
Man muss eben doch auch seinerseits den Willen
und die Organisation haben, dieses andere zu er-
kennen: die Wirkung von künstlichem Lichte und
Sonnenschein mit den bunten, schillernden Reflexen
auf den nackten Körpern. Bei beiden, bei Klinger
sowohl wie bei Harrison, handelte es sich um Wie-
dergabe dieses Farbeneindruckes der Natur, der von
kürzester Dauer sein musste. Diesen Eindruck wie-
derzugeben, ist ihre einzige Absicht gewesen. Wenn
es ihnen darauf ankommen wird, nur eine richtig
gezeichnete Nacktheit darzustellen, werden sie ihren
Mann auch stellen."

Auf diese durchaus ruhigen und sachgemäßen
Ausführungen ron Heyden's hat Fritsch eine Entgeg-
nung folgen lassen, die seine erste Broschüre an
Verkehrtheit noch weit übertrifft und sich als Aus-
fluss gekränkten Gelehrtendünkels in traurigster
Weise charakterisirt. Dieses neue Machwerk des
Herrn Professors führt den Titel: „Ne sutor supra
crepidam! Erwiderungen an einige meiner beson-
deren Gönner unter der Kunstkritik, Antwort auf
Herrn von Heyden's offenen Brief . . . nebst zustim-
menden Urteilen der Tagespresse und Meinungsäuße-
rungen namhafter Naturkenner über meine Schrift:
Unsere Körperform . . . (Berlin 1894. 8°. Verlag von
Carl Habel)." Lässt schon dieser schwülstige Titel
ahnen, auf wie schlechtem Fuße der Verfasser mit
der deutschen Sprache steht, so kann man sich nicht
genug wundern, in der offenbar sehr rasch hinge-
worfenen Schrift aller Augenblicke auf die gröbsten
grammatikalischen Schnitzer zu stoßen, die man
einem Tertianer kaum hingehen lassen würde, die
aber bei einem Gelehrten von Ruf sich nur erklären,
wenn man weiß, wie unentwickelt das deutsche
Sprachgefühl gerade in den Kreisen, denen Fritsch
durch seinen Beruf angehört, zu sein pflegt. Es
fehlt hier der Raum, um diese unsere Behauptung
eingehend zu beweisen, doch können wir nicht um-
hin, sie wenigstens mit einigen Beispielen zu be-
legen. Auf S. 5 lesen wir: „Klassizität scheint aller-
dings nicht gerade die Stärke von ihm zu sein."
Weiter unten auf derselben Seite: „Ich habe besser
gelesen wie er." S. 7 steht folgender schöne Satz:
„Nicht ich reite auf der Naturwahrheit herum, son-
 
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