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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

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Literatur

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Haupt einst bedeckte, etwa von der Form, wie Sauer in
seiner Rekonstruktion der Myronischen Marsyas-Gruppe
(Archäologischer Anzeiger 1908) ihn annimmt.

Gleich diesem Pallasbild erinnert an die größte
Epoche der attischen Bildhauerei der Torso einer Göttin,
der auf den Tafeln VI und VII musterhaft zur Wieder-
gabe kommt. Daß er auf ein Original des Pbidias-
schülers Alkamenes zurückgeht, ist eine gut begründete
Vermutung. Ob wir aber in dieser wuchtigen, matro-
nalen Gestalt, wie Winter will, eine Aphrodite zu er-
kennen haben, scheint mir doch fraglich. Zusammen mit
der vorigen Statue ist diese Meisterkopie das beredteste
Zeugnis für die merkwürdige Tatsache, daß in Pergamon
zum ersten Male, daß wir wüßten, kunstgeschichtliche
Studien gepflegt wurden: indem man diese beiden Bild-
werke von Meisterhand kopieren ließ, wollte man offen-
bar dem Publikum in Pergamon von der Kunstweise eines
Phidias und Alkamenes charakteristische Proben vor Augen
stellen. Nicht so, wenn Winter recht hat, in der Wieder-
holung der Parthenos des Phidias, die uns auf Tafel VIII
vor Augen tritt; hier mag es mehr darauf angekommen
sein, die Schutzgöttin Athens auch für Pergamon in An-
spruch zu nehmen, als die Kunst des Phidias für die per-
gamenischen Kunstfreunde zu veranschaulichen. Die
Kopie ist die größte, die wir von dem chryselephantinen
Meisterwerk des Phidias besitzen; sie bringt auch die Basis
mit der Geburt der Pandora in abgekürzter, doch zuver-
lässiger Gestalt zur Wiedergabe und besitzt daher einen
eminenten Wert für die Rekonstruktion des verlorenen
Originals. Als inschriftlich bezeugte Kopie nach dem
Hermes Propyleios des Alkamenes ist die auf Tafel IX
von drei Seiten abgebildete Herme von Wichtigkeit. An
die Skopasköpfe von Tegea gemahnt der jugendliche Kopf
auf Tafel XI. Es folgt eine Gruppe weiblicher Gestalten,
deren einstige Aufstellung und Bestimmung ebenso unsicher
bleibt wie ihre Deutung im einzelnen. Die meisten scheinen
Musen darstellen zu sollen; die imposanteste wird uns auf
Tafel XIV f. abgebildet und zeigt das antike Barock, wie
man den in Pergamon gepflegten Stil sehr richtig genannt
hat, in seiner machtvollsten Entfaltung. Winter möchte in
der hochgebauten Gestalt, deren mächtige Glieder eine
wuchtige Gewandung anspruchsvoll umrauscht, die Muse
der Tragödie erkennen. Sie trägt ein Schwert am Wehr-
gehäng; ungewöhnlich hohe Sandalen lassen die hohe
Gestalt noch höher erscheinen. Die Lederarbeit an
diesen Sandalen ist von ausgesuchter Schönheit. Ähnlich
kunstreiches Schuhwerk tragen auch andere Bildwerke aus
Pergamon, wo die Lederbereitung und -Verarbeitung offen-
bar auf ungewöhnlicher Höhe stand; auch heute noch muß
in der ehrwürdigen Heimat des Pergaments das Wasser
des Selinus hauptsächlich dem Gerbergewerbe Vorschub
leisten. Winter hat mit seinem geschickten Zeichenstift die
Muster, welche an den Schuhen und Sandalen der perga-
menischen Bildwerke vorkommen, sorgfältig verzeichnet:
wie schmucklos und armselig sind daneben auch die voll-
kommensten Leistungen des modernen Schustergewerbes!
Im höchsten Grade muß den modernen Beschauer der
Frauenkopf der Tafel XXV überraschen: in der Art, wie
das Haar hierin weichen, breiten Massen zusammengefaßt ist,
wie nirgends harte Umrißlinien stehen, überall die Formen
weich und lebenswarm ineinander übergehen, zeugt dieser
Kopf von einer ganz und gar malerischen Auffassung; er
scheint in aufgelöstem Licht gesehen und geschaffen. Unter
den bedeutendenBildnisköpf en,deren verhältnismäßig wenige
gefunden wurden, macht am meisten Eindruck das Herrscher-
porträt der Tafel XXXI und XXXII, das vielleicht Attalos I.
darstellen soll. Das Bildnis hat ein eigenartiges Schicksal
gehabt: während der Künstler ursprünglich den Herrscher

mit dem schlichten, dicht am Schädel anliegenden Haupt-
haar dargestellt hat, wie es der Lebende vermutlich trug,
fand eine spätere Zeit diese Frisur zu wenig wirkungsvoll
und setzte eine marmorne, theatralisch aufgeblähte Locken-
perücke auf das vornehme Herrscherhaupt. Die beiden
Tafeln, auf denen derselbe Mann zuerst ohne, dann mit
der Perücke abgebildet ist, zeigen in ganz überraschender
Weise, wieviel die Haarbehandlung für ein Bildnis be-
deutet: es scheinen zwei grundverschiedene Menschen, die
aus dem schlichten Haar und aus der Perücke uns an-
schauen.

Außer den Rundfiguren kommen auch Reliefs in großer
Anzahl zur Abbildung; auch hierunter befindet sich man-
ches schöne oder doch merkwürdige Stück. Die zwei
Satyrn auf Beiblatt 43, die eine schlafende Nymphe t>e-
schleichen, sind wie die Vorläufer von Böcklins bekannten
Schelmen. Von den ßw«zebildwerken, mit denen der Burg-
berg, wie die Postamente lehren, reichlich ausgestattet war,
sind nur verschwindend geringe Reste auf uns gekommen:
durch die Feinheit der Ausführung lassen diese Trümmer
immerhin ahnen, wieviel des Vollendetsten uns hier ver-
loren ging. Unter dem marmornen Geräte werden Tisch-
füße interessieren, die wie Hermenpfeiler geformt sind,
nur daß unten die nebeneinander gesetzten Füße ausdrück-
lich zum Vorschein kommen. Einige Architekturfragmente
endlich hat J. Schrammer abgebildet und gewürdigt.

Die Durchsicht der zwei stattlichen Textbände wird
jeden davon überzeugen, daß hier eine Arbeit von echt
deutscher Gründlichkeit geleistet worden ist. Hie und da
geht diese Gründlichkeit vielleicht etwas weit; so hätte die
Analyse der Stellungs- und Gewandmotive, sowie der Haar-
behandlung manchmal entschieden knapper geboten werden
können; auch werden frühere Besprechungen der Werke
durch die Fachgelehrten etwas oft im Wortlaut angeführt;
überhaupt fließt der Text in zu behaglicher Breite dahin,
wo es doch in erster Linie galt, ein möglichst übersichtliches
Inventarwerk zu schaffen. Bei etwas größerer Knappheit
wäre auch Raum zu gewinnen gewesen für eine zusammen-
fassende Würdigung der pergamenischen Königskunst in
ihrer großen Einheitlichkeit und Reichhaltigkeit zugleich;
jetzt findet man nur eine Menge feiner Bemerkungen über
die Eigenheiten dieses griechischen Barockstils über die
beiden Textbände zerstreut, die man gern auch in einem
Brennpunkt gesammelt sähe. Fritz Baumgarten.

Die Bücher der Bibel. Herausgegeben von F. Rahlwes,
Zeichnungen von E. M. Lilien. Verlag von George Wester-
mann, Braunschweig. In Lieferungen ä M. 1.50

Im letzten Jahrzehnt sind alle möglichen klassischen und
nichtklassischen Werke der Weltliteratur in Luxus-und Biblio-
philen-Ausgaben erschienen, nur vom Buch der Bücher gab es
eine solche aus der neueren Zeit nicht. Der Westermannsche
Verlag füllt diese Lücke aus, und er hat als Illustrator
in der Tat keinen geeigneteren Künstler finden können als
E. M. Lilien, dessen herrliche Schwarzweiß-Zeichnungen vor
allem aus Börries von Münchhausens »Juda« hinreichend
bekannt sind. Niemand ist besser als er zum Illustrator der
Bibel berufen, da er jahrelang zu Studienzwecken im Orient
geweilt hat. Durch eine großartige, starke Linienführung
hat er die Illustration zu wirklich biblischer Erhabenheit
gesteigert. Seit einigen Jahren will man auch der Bibel
als Kunstwerk Geltung schaffen, und deshalb kommt eine
derartige Ausgabe, die auf der Höhe moderner Kunst steht,
einem wirklichen Bedürfnis entgegen. Die Übersetzung,
die der Ausgabe zugrunde liegt, stammt von dem fein-
sinnigen Straßburger Gelehrten Dr. Eduard Reuß. Die Aus-
stattung, die der Verlag dem monumentalen Werke ange-
deihen läßt, ist mustergültig. e. s.
 
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