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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — 2.1886

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Grosch, H.: Norwegische Volksindustrie, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4121#0157

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Runstgewerbeblatt. 2. Iahrgang.

Nr. 8.

RMefstickeret in Goldlahn anf rother, Seide. Jtalien, Ans. 1S. Jahrh.

Norwegische Oolksindustrie.

Von Grosch.

(Aus dem Dänischen in der „Tidsskrift for Uunstindustri" vom verfasser übersetzt.)

Bis vor wenigen Jahren war die Volks-
industrie ein den meisten unbekanntes und un-
bcachtctcs Gebiet, bon dcm man wenigstens nicht
annahm, daß es irgend praktisches Jnteresse dar-
bietcn könne. Nach und nach wurde man jedoch
darauf aufmerksam, daß diese bescheidenen Ar-
beiten der Banern doch bieles der Beachtnng
Wertes, manch eine gesunde, halbvergessene Lehre,
manch einen lebenskräftigen Keim enthielten.
Es zeigte sich, daß die Volksindustrie an man-
chen Orten mit bewunderungswerter Treue die
Traditionen aus der Glanzperiode der Kunst
und des Geschmackes bewahrt hatte, daß die
Formen und Arbeitsarten längst vergange-
ner Zeiten hier noch fortlebten und täglich be-
nutzt wurden, wenn auch unter ärmlichen Ver-
hältnissen und auf manche Weise umgebildet und
bearbeitet. So trägt die Töpferkunst der Donau-
länder noch deutliche Spuren der Formvoll-
kommenheit der gricchischen Keramik, während
die Bauern Jtaliens in ihren Schmucksachen
die antike Filigranarbeit der Gegenwart überlie-
fert haben, und die Stickereien unserer^) Gebirgs-
banern sind in Muster wie Ausführung den
geschmackvollen Arbeiten der Renaissance glei-
cher Art nahe verwandt. Selbstverständlich hat
die Volksindustrie in den entlegeneren und
weiriger zugänglichen Ländern und Distrikten
die größte Rolle gespielt, die höchste Entwicke-
lung erreicht und am längsten ihre Selbstän-
digkeit bewahrt. Unter diesen Ländern nimmt
Norwegen cinen hervorragendcn Platz ein.

1) Der Verfasser ist Konservator des Kunst-
industrie-Museums zu Christiania.

Kunstgewerbeblatt. 11.

Klein und gering sind die Beiträge, die
Norwcgen zur allgcmcinen künstlerischen Ent-
wickelung Enropas geliefert; das Land war zu
abgelegen, die Bevölkerung zu zerstrent und
arbeitete unter allzu bedrängten Verhältnissen, als
daß die Kunst hier Wurzel fassen und zur Blüte
kommen konnte. Daß es keineswegs Mangel
an Anlage und Begabung war, welche unser
Land gezwungen, eine solche zurückgezogene
Stellung einzunehmen, davon zeugt unter an-
derem der verhältnismäßig hohe Standpunkt,
der auf dem Gebiete der Volksindustrie erzielt
worden ist. Der norwegische Bauer zeigt sich
hier in Besitz eines bemerkenswerten Form-
und Farbensinnes, großer Empfänglichkeit und
eines natürlichen Konservativismus, welche, ohne
der Entwickelung Einhalt zu thun, ihn in-
stand gesetzt hat, energisch die einmal em-
pfangenen künstlerischen Eindrücke festznhalten
nnd sie mit vollcm Verständnis bei der Ver-
arbeitnng seincr täglichen Gebrauchsgegenstände
zu verwerten.

Man spricht in unserer Zeit so vicl vom
„Stil", aber nur die wenigsten geben sich
Rechenschaft, was man hierunter versteht, und
sind sich klar darüber, was eigentlich dazu ge-
hört. Besser als Bücher und gelehrte Abhand-
lungen, ja deutlicher und eindringlicher als so
manche aufs höchste bewunderte Prachtarbciten,
bei denen die bestimmenden Grundverhältnisse
nur noch schwach zu erkennen sind, lehren uns
die einfachen Teppiche und Stickereien, Schmuck-
sachen und Holzschnitzarbeiteu der Bauern, was
Stil ist, worauf er beruht und wodurch er er-
reicht wird. Auf einer festen Tradition sußend,

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