Kunstgewerbliche StreiMge III.
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unserer Betrachtung aus. Sie verrateu in der
wunderbaren Zartheit der figürlichen Kompo-
sitionen und in der feinsinnigen Behandlung der
perspektivischen Fernen eine so abhängige Ver-
wandtschaft von gleichzeitigen Goldschmiedear-
beiten, daß wir genötigt find, in ihnen zumeist
Abformungen, mithin Kopien zu erblicken von
Originalen, deren größerer materieller Wert
allein hinreichend scheint, ihr Verlorensein zu
erklären. Jmmerhin mag die Annahme be-
stehen bleiben, daß diese Werke in seltenen Fällen
auch als Modelle zu späterer Ausführung in
edlerem Stoffe gedient haben.
Ein anderes ist es um diejenigen Zinn-
produkte, deren reiche dekorative Behandlung
sie von vornherein dem alltäglichen Gebrauche
entzog und sie zu Zier- und Prunkstücken be-
stinimte. Wir wissen, daß bereits im vierzehnten
Jahrhundert der wohlhabende Bürger in Er-
mangelung eines kostbareren Materiales auf den
Besitz knnstvoll gearbeiteten Zinngerates Wert
zu legen begann; so halt beispielsweise ein
Dichter der Zeit, Eustache Deschamps, in seinem
„Ehespiegel" (rnironsr äs ranrinAo) dem Hei-
ratslustigen vor, er solle wcnigstens auf die Be-
schasfung von edler Zinnware zum Schmucke
des Hauses bedacht sein:
inaint plnt ä'arAont st rnainto esouolls
si non ä'nrAent, si oom js tnin,
lss knut-il äs plonip ou ä'sstain . . .
Reichverzierte Präsentirteller und Schalen
zu häuslichem nnd kirchlichem Gebranch aus
dem 16. und 17. Jahrhundert sind in großer
Menge auf uns gekommen und unsere Aus-
stellnng lehrt an einer stattlichen Reihe den
Fortschritt in der Technik nnd in der Ornanien-
tation schätzen. Jndessen erscheint die dekora'"
tive Behandlnng nach der stofflichen Seite hin
als eine sichtlich abgeleitete: in dem reichen
Schatze gleichzeitiger Ornamentstiche erblicken
wir zumeist die gemeinsame Fundgrube für die
figürlichen wie rein ornamentalen Kompositio-
nen. Mag aber nnch den Beham, Jost Am-
man, Virgil Solis, Peter Floetner, Martin de
Vos und Peter van Vianen in der dekorativen
Erfindnng der Löwennnteil des Verdienstes zn-
fallen, wir zollen darum den nachbildenden
Formschneidern, Graveuren nnd Zinngießern
nicht minderes Lob. Fnst überall tritt uns ein
verständnisvolles Erfassen ihrer dekorativen Auf-
gabe entgegen, beinahe immer wußten sie in der
Anpassung fremder Motive an die Forderungen
verschiedentlicher Techniken eine einsichtige Selb-
ständigkeit zu wahren.
Von den in Anwendung gebrachten Tech-
niken ist wohl die Gravirung der flachen Zinn-
platten die ältere, wenn auch unter den nns
vorliegenden Stücken diejenigen, welche augen-
scheinlich in geätzten Solnhofener Stein- oder
Messingformen gegossen sind, ältere Daten tragen.
Wir beschränken uns darauf, einige interessante
Arbeiten in diesen Techniken, welche dem Re-
liefguß der berühmten Briotschen und Ender-
leinschen Werke vorausgehen, kurz zu beschrei-
ben; anch sie entstammen der Kollektion 9t i-
card. Auf einer wenig vertieften Platte, be-
zeichnet 1567, findet sich in der Mitte eine
überans lebendig bewegte Fortuna, welche den
Segen ihres Füllhorns ausgießt; ihr zu Füßen
auf engem Raume lesen wir die Buchstaben-
gruppe LIOUVUIlOül. Die ziemlich breite
Randbordüre wird durch Medaillons mit den
Köpfen des Hannibal, Horatius (Cocles?), Btar-
cus Curins in drei langgezogene Felder geteilt,
welche ein ungestümer Reiterkampf, dann ein
Triumphzug und endlich ein tierbändigender
Orpheus ansfiillen. Ganz hervorragend ist hier
die Kühnheit der Kompositionen und die mit
wenig kräftigen Mitteln erreichte Schärfe der
Charakteristik, und der Vergleich mit den so
lebensvollen Holzschnitten des 15. Jahrhunderts
liegt so nähe, daß man versucht sein könnte,
wenn sie materiell möglich würe, an eine Her-
stellung durch den Guß in Holzformen zu denken fl.
Allein hier lag jedenfalls eine geätzte Form vor.
Ein Jahr jünger als die vorhergehende Platte
— 1568 — ist eine kleinere, deren Rand in
acht ovalen, dnrch Wappentiere getrennten Me-
daillons die allegorischen Gestalten von Pla-
neten zeigt; in der Mitte ein paar heraldische
Adler. Das Datum 1585 trägt eine gravirte
vollstündig flache Platte; in der Mitte die Ver-
sinnlichnng der Macht der Musik durch Orphens
inmitten wilder Tiere, der Rand ist wie anf
der geätzten Platte vom Jahre 1567 dreifach
geteilt, zwei Medaillons zeigen Paris und He-
lena, dazwischen die Scene des Parisurteils;
das dritte, untere Medaillons enthält eine Vase
mit Blumen, darunter die Jahreszahl und die
I) Vgl. Germain Bapst, stnäes 8Ui l'hltain stv.
S. 244—15. über dis daran anknüpfenden Bemer-
kungen Bapst's vgl. Ilsviiö äss arts äseoratiks VII, 1.
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unserer Betrachtung aus. Sie verrateu in der
wunderbaren Zartheit der figürlichen Kompo-
sitionen und in der feinsinnigen Behandlung der
perspektivischen Fernen eine so abhängige Ver-
wandtschaft von gleichzeitigen Goldschmiedear-
beiten, daß wir genötigt find, in ihnen zumeist
Abformungen, mithin Kopien zu erblicken von
Originalen, deren größerer materieller Wert
allein hinreichend scheint, ihr Verlorensein zu
erklären. Jmmerhin mag die Annahme be-
stehen bleiben, daß diese Werke in seltenen Fällen
auch als Modelle zu späterer Ausführung in
edlerem Stoffe gedient haben.
Ein anderes ist es um diejenigen Zinn-
produkte, deren reiche dekorative Behandlung
sie von vornherein dem alltäglichen Gebrauche
entzog und sie zu Zier- und Prunkstücken be-
stinimte. Wir wissen, daß bereits im vierzehnten
Jahrhundert der wohlhabende Bürger in Er-
mangelung eines kostbareren Materiales auf den
Besitz knnstvoll gearbeiteten Zinngerates Wert
zu legen begann; so halt beispielsweise ein
Dichter der Zeit, Eustache Deschamps, in seinem
„Ehespiegel" (rnironsr äs ranrinAo) dem Hei-
ratslustigen vor, er solle wcnigstens auf die Be-
schasfung von edler Zinnware zum Schmucke
des Hauses bedacht sein:
inaint plnt ä'arAont st rnainto esouolls
si non ä'nrAent, si oom js tnin,
lss knut-il äs plonip ou ä'sstain . . .
Reichverzierte Präsentirteller und Schalen
zu häuslichem nnd kirchlichem Gebranch aus
dem 16. und 17. Jahrhundert sind in großer
Menge auf uns gekommen und unsere Aus-
stellnng lehrt an einer stattlichen Reihe den
Fortschritt in der Technik nnd in der Ornanien-
tation schätzen. Jndessen erscheint die dekora'"
tive Behandlnng nach der stofflichen Seite hin
als eine sichtlich abgeleitete: in dem reichen
Schatze gleichzeitiger Ornamentstiche erblicken
wir zumeist die gemeinsame Fundgrube für die
figürlichen wie rein ornamentalen Kompositio-
nen. Mag aber nnch den Beham, Jost Am-
man, Virgil Solis, Peter Floetner, Martin de
Vos und Peter van Vianen in der dekorativen
Erfindnng der Löwennnteil des Verdienstes zn-
fallen, wir zollen darum den nachbildenden
Formschneidern, Graveuren nnd Zinngießern
nicht minderes Lob. Fnst überall tritt uns ein
verständnisvolles Erfassen ihrer dekorativen Auf-
gabe entgegen, beinahe immer wußten sie in der
Anpassung fremder Motive an die Forderungen
verschiedentlicher Techniken eine einsichtige Selb-
ständigkeit zu wahren.
Von den in Anwendung gebrachten Tech-
niken ist wohl die Gravirung der flachen Zinn-
platten die ältere, wenn auch unter den nns
vorliegenden Stücken diejenigen, welche augen-
scheinlich in geätzten Solnhofener Stein- oder
Messingformen gegossen sind, ältere Daten tragen.
Wir beschränken uns darauf, einige interessante
Arbeiten in diesen Techniken, welche dem Re-
liefguß der berühmten Briotschen und Ender-
leinschen Werke vorausgehen, kurz zu beschrei-
ben; anch sie entstammen der Kollektion 9t i-
card. Auf einer wenig vertieften Platte, be-
zeichnet 1567, findet sich in der Mitte eine
überans lebendig bewegte Fortuna, welche den
Segen ihres Füllhorns ausgießt; ihr zu Füßen
auf engem Raume lesen wir die Buchstaben-
gruppe LIOUVUIlOül. Die ziemlich breite
Randbordüre wird durch Medaillons mit den
Köpfen des Hannibal, Horatius (Cocles?), Btar-
cus Curins in drei langgezogene Felder geteilt,
welche ein ungestümer Reiterkampf, dann ein
Triumphzug und endlich ein tierbändigender
Orpheus ansfiillen. Ganz hervorragend ist hier
die Kühnheit der Kompositionen und die mit
wenig kräftigen Mitteln erreichte Schärfe der
Charakteristik, und der Vergleich mit den so
lebensvollen Holzschnitten des 15. Jahrhunderts
liegt so nähe, daß man versucht sein könnte,
wenn sie materiell möglich würe, an eine Her-
stellung durch den Guß in Holzformen zu denken fl.
Allein hier lag jedenfalls eine geätzte Form vor.
Ein Jahr jünger als die vorhergehende Platte
— 1568 — ist eine kleinere, deren Rand in
acht ovalen, dnrch Wappentiere getrennten Me-
daillons die allegorischen Gestalten von Pla-
neten zeigt; in der Mitte ein paar heraldische
Adler. Das Datum 1585 trägt eine gravirte
vollstündig flache Platte; in der Mitte die Ver-
sinnlichnng der Macht der Musik durch Orphens
inmitten wilder Tiere, der Rand ist wie anf
der geätzten Platte vom Jahre 1567 dreifach
geteilt, zwei Medaillons zeigen Paris und He-
lena, dazwischen die Scene des Parisurteils;
das dritte, untere Medaillons enthält eine Vase
mit Blumen, darunter die Jahreszahl und die
I) Vgl. Germain Bapst, stnäes 8Ui l'hltain stv.
S. 244—15. über dis daran anknüpfenden Bemer-
kungen Bapst's vgl. Ilsviiö äss arts äseoratiks VII, 1.