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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 1.1890

DOI Artikel:
Schmidt, Max: Kunstgewerbeschulen in Deutschland und Frankreich
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https://doi.org/10.11588/diglit.3941#0053

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KUNSTGEWERBESCHULEX IN DEUTSCHLAND UND FRANKREICH.

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gestanden werden, dass unsere Kunstgewerbeschulen
wenig thun, dem zu steuern, dass sie mehr routinirte
Zeichner und Komponisten, als selbstschaffende
Künstler erziehen. Darum reisen nach wie vor die
Vertreter kunstgewerblicher Branchen nach Paris
wenn es gilt, die neuesten Fortschritte auf ihren
speziellen Gebieten zu verfolgen, darum giebt man
noch immer dort den Ton an, den unsere Zeichner
daheim variiren. Offenbar besitzt man dort das Ge-
heimnis, nicht nur nach Bedarf bald gotiscb, bald
barock zu ornamentiren, sondern auch auf eigenem
Wege und im eigenem Stile Neues zu schaffen.

Der Keim hierzu wird aber bereits auf den er-
wähnten Kunstschulen gelegt. Dem flüchtigen Be-
sucher entgehen leicht eine Reihe einfacher, an-
spruchsloser Arbeiten, die ihren Mittelpunkt zu
finden scheinen in dem durch Prof. Rupprich-Robert
(Paris) geleiteten Cours de composition d'ornement.
Hier werden zunächst Naturformen behandelt, Pflan-
zen (auch Vögel und Insekten) in ihrem Organis-
mus studirt, die Grundformen ihrer Erscheinung in
Blatt, Blüte und Frucht durchgearbeitet, um dann
in methodisch vereinfachter Form und Farbe orna-
mental verwendet zu werden. Ausgehend von der
Füllung einfacher Polygone wird fortgeschritten bis
zu grossen Tapeteumustern, Deckenfüllungen und
Gefässdekorationen. Zuweilen wird die Aufgabe so
gestellt, diese Naturformen in einem der bekannten
Stile zu entwickeln. Es finden sich aber auch zahl-
reiche Entwürfe, die, ohne einem bestimmten Stile
anzugehören, doch durchaus streng stilisirt, d. h.
auf ihre gesetzmässige Grundform reducirt sind und
damit einen eigenen, neuen, modernen Stil reprä-
sentiren.

Diese Versuche sind nicht etwa nur akade-
mischer Natur. Man findet in Paris in vielen neue-
ren Etablissements, Cafes u. s. w. Dekorationen
dieses Genres, noch vereinzelt, aber jedenfalls eben-
so die Zukunftsornamentik einleitend, wie die fran-
zösischen Versuche auf dem Gebiete der Eisenkon-
struktion die Zukunftsarchitektur bestimmen werden.

Während mau sich bei uns in immer neuen Stil-
übungen ergötzt, zwischen Ägyptisch und Rokoko
pendelt, schafft Frankreich beharrlich und syste-
matisch an einem neuen Stil, der die durch Material
und Zwecke bestimmte einfache Grundform der
Bauten und Geräte mit einem massvollen Natur-
ornament bekleidet, und der eines Tages, wenn er
aus dem jetzigen Stadium des Versuches heraus-
getreten ist, als ein fertiges Ganzes zu uns kommen
wird. Die Bestrebungen von Rupprich-Robert sind
ein Glied in der Kette dieser Versuche, und ein sehr
beachtenswertes.

Unsere Pflicht wäre, gleichartige Kurse auf
unseren Anstalten zu errichten, den Franzosen den
gewonnenen Vorsprung abzujagen, die Bewegung in
unserem Sinne, nach unserem Geschmacke und
Volkscharakter in spezifisch nationale Bahnen zu
leiten. Die Wichtigkeit der Naturform in der Orna-
mentik ist ja bei uns vielfach erkannt, auch in
Ornamentwerken ausgebeutet. Aber man verwendet
sie bei uns zumeist in dekorativ-malerischem Sinne.
Ihre Einführung in den Kompositionsunterricht, die
Bemühung, sie unabhängig von der Überlieferung
zu stilisiren, bleibt doch vereinzelt. Hier ist zu
ändern.

Wie die Dinge jetzt stehen, erziehen wir eine
Menge junger Leute, die geschmackvolle Muster
nach hergebrachtem Schema liefern, und damit für
die Veredelung der in Deutschland vorwiegend pro-
duzirten Massenware Erfreuliches leisten. Wer aber
etwas Neues, Originelles, wer wirklich eigenartige
Muster sucht, der wird nach wie vor sich nach
Paris wenden, dessen Herrschaft auf dem Weltmarkt
dadurch stetig gefestigt wird. In den Kunstschulen
muss der Hebel zur Beseitigung dieses Missstandes
angesetzt werden, nach dem von Rupprich-Robert
ausgebildeten Verfahren auch die Phantasie unserer
Kunstgewerbeschüler von der Fessel der „Muster-
vorlagen" befreit, zu eigenem Schaffen angeleitet
werden, dann erst werden wir auch hier völlig un-
abhängig sein. Max Schmidt.

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