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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 1.1890

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Kleine Mitteilungen
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KLEINE MITTEILUNGEN.

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einigen Jahren ist in einem Meinen ländlichen Distrikte
Schleswig-Holsteins, der Probstei, eine Entdeckung gemacht,
die bis vor kurzer Zeit geheim gehalten, jetzt der Öffent-
lichkeit übergeben ist und in allen kunstgewerblichen Kreisen
lebhaftes Interesse finden wird. Zufällig bekam die durch
ihre Kunststickereianstalt in Hamburg bekannte Frau
Dr. Marie Meyer in Forsteck einen Kissenüberzug zu Gesicht,
an welchem sich eine zwar verwaschene, aber unverkenn-
bar edelste, zwei Jahrhunderte alte Spitze befand. Da
nachweislich der Überzug aus der Probstei herrührte, wur-
den sofort in allen Dorfschaften des Ländchens, welches
wenn auch stark bevölkert, kaum zwei Quadratmeilen gross
ist, sorgsame Nachforschungen nach weiteren Spitzen ange-
stellt, und das Ergebnis war
ein ganz überraschendes. Fast
in allen Häusern der alten
Bauerngeschlechter fanden
sich Spitzen der edelsten
Art, Spitzen von einer
Pracht und Schönheit, wie
sie kaum in irgend einem
Museum zu finden sind. Nur
in den seltensten Fällen war
bei den Besitzern das Be-
wusstsein von dem Werte
des ererbten Schatzes ge-
blieben, meistens lagen sie
in den Ecken der Truhen
und Koffer, nicht selten
schmückten sie die Bett-
wäsche und gingen so schnel-
lem Verbrauch entgegen. Im
ganzen war die Konservirung
eine so mangelhafte, dass
die Mehrzahl der Spitzen im
Laufe eines Menschenalters
verdorben wäre. Es ist das
Verdienst der Frau Meyer,
dass sie mit grosser Energie
und vollem Verständnis die-
sen seltenen Schatz der
deutschen Kunstindustrie er-
halten hat, indem es ihr
gelungen ist, etwa dreihun-
dert Spitzen zu erwerben und
sie in musterhafter Weise
herzustellen." Die Frage wie
diese Spitzen in die Prob-
stei gekommen sind, ist noch nicht gelöst. Die Bevöl-
kerung stammt wahrscheinlich von einer niederländi-
schen Kolonisation her und hat noch viele Eigentüm-
lichkeiten in Körperbau, Tracht und Sitten. Die Prob-
steier bebauten von alters her ihr fruchtbares Land als
freie Bauern, und offenbar haben die Spitzen, welche kein
König schöner gehabt hat, zum Schmucke ihrer Frauen
und ihrer Betten gedient. Nirgends in Schleswig-Holstein ist
sonst ein ähnlicher Luxus getrieben; die sorgsamsten Nach-
forschungen haben ergeben, dass in Schleswig-Holstein, ausser-
halb der Probstei, ähnliche Spitzen nicht existiren. Dorthin
sind sie offenbar vor circa zweihundert Jahren verkauft und
haben sich dann von Geschlecht zu Geschlecht vererbt. Unter
den genähten Spitzen ist neben einer Reihe geschnittener
Spitzen, Reticella- und Litzenspitzen namentlich das Gebiet
der Nadelarbeiten im Venezianer Genre (Relief-, Korallen-
und Wurmspitzen) reich vertreten. Unter den Klöppelarbeiten

jz*

Spanisch-maurisches Seidengewebe, 14. Jahrhundert.
Museum für Kunst und Gewerbe iu Hamburg.

sind es zunächst eine grosse Anzahl Zackenspitzen, teils ita-
lienischer, teils flandrischer Herkunft, wie sie in den zahl-
reichen italienischen Spitzenmusterbüchern zu finden sind.
Neben diesen tritt eine Reihe von Spitzen auf, die durch
Rankenwerk mit Blättern eine gleichmässig belebte Fläche
bilden, also nicht durch charakteristische, scharf ausgeprägte
Muster sich kennzeichnen. Diese dürften als Nachbildungen
der italienischen Korallenspitzen zu betrachten sein und einer
der Pflanzstätten der damals neuen Industrie in Nordfrank-
reich entstammen. Den Gegensatz zu diesen bilden die Bra-
banter Guipuren, teils mit, teils ohne Stege, mit scharf aus-
geprägten Mustern, die zum teil das Reizvollste bieten, was eine
Spitze überhaupt bieten kann. Endlich sei noch einer Reihe

von Spitzen gedacht, die sich
durch die schlangenartigen
Windungen des in Band-
streifen auftretenden Musters
charakterisirt. Diese Spitzen
sollen entweder in England
■ angefertigte oder von Belgien
nach England und wieder
zurück verkaufte Spitzen sein.
Von diesen Spitzen ist in
der Meyerschen Sammlung
eine grössere Anzahl vorhan-
den und hierunter Kombina-
tionen obengedachter Motive
mit den in flandrischen Spi-
tzen gebräuchlichen Formen,
sowie andererseits mit den
die Brüsseler Spitzen cha-
rakterisirenden Überschlägen
an den Konturen der Muster
und endlich mit jenem als
nordfranzösisch bezeichneten
Blattwerk." Es folgt dann in
dem Bericht eine Übersicht
über die Ankäufe für die
Sammlung seit der Gründung
des Museums, wesentlich in
Zahlen bestehend und mehr
eine Art Rechenschaftsbe-
richt. Wir erfahren, dass
seit der Gründung des Mu-
seums resp. dem ersten An-
kauf (1869) im ganzen 6050
Stücke zum Preise von
387244,14 M. erworben sind.
Diese Zahlen reden an sich; sie werden aber erst verständlich,
wenn man die Sammlung kennt. Es gicbt Iceine Icunslgewerb-
liche Sammlung in Deutschland, die ein so hohes Niveau
zeigt als die Hamburger; was hier mit noch nicht 400000 M.
geleistet ist, würde anderswo das Doppelte kosten, an man-
chen Orten nie geleistet werden. Man darf Hamburg zu
einem solchen Museum, aber vor allem zu solchem Direktor
beglückwünschen! Mögen des letzteren fromme Wünsche,
die er in ein Verzeichnis der", wesentlichen Lücken der Samm-
lung" im Bericht niedergelegt hat, vollständig und bald in Er-
füllung geben. Möge auch ferner über dem Museum ein
günstiger Stern leuchten!

— Nürnberg. Die Erweiterung der Sammlungen des
Germanischen Nationalmuseums hat sich im Jahre 1889 be-
sonders günstig gestaltet. Wir entnehmen dem Jahresbericht,
soweit kunstgewerbliche Gegenstände in Betracht kommen,
folgendes. Durch die Erwerbung der Sulkowski'schen Samm-
 
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