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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 14 (2. Aprilheft 1910)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0155
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eine Enttäuschung: das ist eine
Kunst in Eveningdreß. Die Welt
der Arbeit, des jungen und zähen
Ringens, die Welt der Lebensener-
gien rnit den unbegrenzten Mög-
lichkeiten, diese eigentliche „ameri-
kanische" Welt, sie spiegelt sich noch
nicht in ihrer Malerei. Als ein-
ziges Dokument stehen hier die Ra-
dierungen von Pennell. Er ist
wohl in seiner Technik ein Schüler
Whistlers, aber er ist robuster, ner-
viger, hemdärmeliger. Aus Eisen-
brücken, rauchenden Fabrikschloten,

haupt noch kaum von Kunst reden.
Er ist roh und kulturlos, in seinen
Mitteln geradezn dilettantisch; hier
ist der Porwurf noch nie malerisch
bezwungen. Aber etwas anderes ist
da, etwas, das der amerikanischen
Kunst nötiger ist als alles „Ta°
lent": in dieser künstlerischen Iln-
kultur liegt noch etwas wie Urele-
mente künstlerischen Erlebens. Et-
was ganz Unkompliziertes, eine
Wucht des Anpackens zeigen diese
Bilder „Unterströmung", „Golf-
strom", „All's well", „Fuchsjagd",

„Von den Mäuschen, Vögelchen und der ^rut-
wurst-. Zeichnung von Otto Ubbelobde aus
der Iubiläums-Ausgabe von Grimms Märchen
(Leipzig, Turm°Verlag)

Wolkenkratzern, aus dem Branden
der Arbeit und des Verkchrs holt
er Akkorde von einer gespeicherten
Dynamik, die schon nach einer
stärkeren Resonanz, als es das
Zeichenpapier ist, verlangcn können.
Und neben diesen vielleicht einzigen
echten modern amerikanischen Künst-
ler möcht ich noch einen andern
Namen setzen: Winslow Ho°
mer. Ich gebe von vornhcrcin zu,
wenn wir Kunst von Können her-
leiten, im Sinne Whistlers nehmen,
dann können wir bei Homer über-

eine elementare Größe, die einen
manchmal an Courbet, an van
Gogh, die einen bisweilen wohl
auch an Whitman denken läßt.
Nicht „Kultur", aber Temperament
ist hier, Temperament, diese schöne,
bunte, wildwachsene Tugend. Na-
turalismus und Romantik noch
eng verschlungen auf dem Urgrund
künstlerischen Erlebens.

Ist das nicht auch „amerika-
nisch"? Liegt nicht eine gewisse
elementare Romantik in diesem
„Amcrika", in diesem unmittelbar

2. Aprilheft MO
 
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