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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 17 (1. Juniheft 1910)
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Pfordten, Hermann von der: Robert Schumann
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0350
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daß wir die Wurzel unsres Wesens nicht ansreißen können. Schu-
mann aber wurzelt tief in diesem unserm deutschen Wesen; wir
sind und bleiben Romantiker, das heißt: Poeten nnd große Kinder.
And hier steht ein echter Poet vor uns, ein Poet mit echtestem Kin-
dergemüt. Ich sage das nicht etwa nur unter Berufung auf seine
„Kinderszenen" und sein „Album für die Iugend"; sein ganzes Leben
und Schaffen zeugt davon. Mit Poetenaugen schaute er Welt und
Menschen an, und wie ein Kind stand er ihnen gegenüber. Niemand
hat das so wundervoll verstanden wie seine Klara, die einzige Ver-
traute seiner Seele. Das soll aber nicht heißen, daß er absolut nn-
praktisch und unkritisch geblieben wäre. Er offenbart ebensoviel scharfen
Verstand wie goldenes Gemüt; nur dienen eben beide der schöpferischen
Phantasie, dem künstlerischen Gestaltungsvermögen in Wort und Ton,
scheinbar unlogisch, scheinbar inkonseqnent, einzig und allein in der
Wahrheit seiner Persönlichkeit begründet, rein subjektiv gerechtfertigt,
tief originell und absolut naiv, darnm auch überzeugend nnd hin-
reißend für jeden, der sich ihm hingibt.

Das alles ist echt musikalisch. Frau Musika selbst ist ja Romanti-
kerin durch und durch. Das Ahnungsvolle, Träumerische, Helldunkle
ist ihr Reich; Seelengeheimnisse vermag sie uns zu verraten. AnL
sie tnt es in einer Art nnd Weise, die dem Uneingeweihten unlogisch,
ja unsinnig, widerspruchsvoll und willkürlich, formlos nnd unfaßbar
scheinen kann. Es ist ihr ja auch mit Worten und Begriffen niemals
beizukommen. Und doch verfügt diese mystische Knnst über monumen-
tale Gedanken, wuchtige Themen, kecke Rhythmen, sprudelnden Humor,
und was das überraschendste ist, über klare Gliederung, geistvolle
Durchführung, konsequenten Aufbau und erschöpfende Darstellung. Da
haben wir das scheinbar Unvereinbare verbunden! Es fragt sich
nur, ob es jedem Meister gelingt, beides zu beherrschen. Erstrebt
wird das wohl von allen, erreicht nicht von allzuvielen. Schumann
soll zu denen gehören, die sich vergeblich um den höchsten Preis be-
mühten. Man begnügt sich nicht damit, zu sagen, seine phantastischen
Schöpfungen in kleinerer Form seien wertvoller als seine Versuche
in größerer; man geht vielfach so weit, ihm die Fähigkeit zu letzterer
ganz abzusprechen. Wie man dieses Urteil formuliert, ist eigentlich
gleichgültig. Es läuft auf die Behauptung hinaus, Schumann sei echt
und bedeutend nur in seiner Stnrm- und Drangperiode; später habe
er die eigene Iugend verleugnet und dem für ihn und seine ganze
Begabung verkehrten klassischen Ideal zugestrebt. Daran habe er
scheitern müssen, ganz natürlich, wie jeder, der wider die Natur
schafsen will. Schließlich wird sogar nicht die Einbuße an Genialität
allein, sondern sein tragisches Ende in geistiger Ilmnachtung mit dieser
Äberspannung seines Talents in ursächlichen Zusammenhang gebracht.

Anverkennbar und unleugbar liegt der ganze Zauber Schumann-
scher Poesie über seinen Klavierwerken ausgegossen. Da ist er ganz
sicher absolut er selbst. Wir wissen, daß er es liebte, am Flügel sitzend
zu phantasieren; und wie festgehaltene Improvisationen, wie Gelegen-
heitsgedichte in Tönen muten uns diese entzückenden Gebilde an.
Wobei aber doch darauf hinzuweisen wäre, daß sich auch unter diesem
echtesten Schumann größere Schöpfungen wie die Fis-moll-Sonate,

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