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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 17 (1. Juniheft 1910)
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Pfordten, Hermann von der: Robert Schumann
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0351
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die C-dur°Phantasie, die symphonischen Etüden befinden. Zugegeben
sei aber sofort, daß auch diese stilistisch nicht wesentlich über die
kleineren und kleinsten Stücke hinausragen. Es sind alles lyrisch--
phantastische Impromptus. Man darf sich nur ja nicht verleiten lassen,
sie irgendwie programmatisch aufzufassen; trotz der zahlreichen Äber-
schriften und sonstigen Andeutungen ist es absolute Musik. Es wäre
auch ganz verkehrt, zu sagen, Schumann hätte ein Dichter in Worten
werden können so gut wie in Tönen. Nein, seine Poesie lann nur in
Tönen zu uns sprechen, niemals in begrifflich bestimmten Worten.
Denn es ist Stimmungs- und Empfindungspoesie, von der zartesten
Regung bis zum übermütigsten Kopfsprung, absolut musikalisch. Rnd
was ebenso wichtig ist und nicht übersehen werden darf: echt lyrisch.
Bei allem Wechsel, bei dem jähesten Nebeneinander niemals ein
dramatisches Ineinander wie etwa bei Beethoven, niemals Kampf
und Sieg, niemals Verwicklung, Peripetie und Entscheidung. Schu-
manns eminent lyrische Natur ist es, die seinem Leben und Schaffen
Ziel und Grenze setzt.

Darum war er zum Liedersänger berufen. Viel wird an seinen
Liedern mit vollem Recht gepriesen: die feinsinnige Auffassung, die
edle Melodie, der harmonische und rhythmische Reichtum, die eben-
bürtige Vermählung des Klaviers und der Singstimme. Äber alledem
vergißt man nur zu leicht die entscheidende Hauptsache: es sind echte
Lieder; Klavier und Stimme singen um die Wette. Die Stimmung
wird getroffen, festgehalten und ausgetönt, einheitlich, ungebrochen,
das heißt eben echt lyrisch. Schubert ist viel dramatischer und unend-
lich vielseitiger. Aber Schumanns beste Lieder sind ganz echt lyrische
Poesien. Das beweist schon die Wahl der Texte und ihre Behandlung
bis ins einzelne. Nnd dazu stimmt es, daß die Ballade nicht seine
Sache war: er zu lyrisch, Schubert zu dramatisch sür die epische Ge-
sangskomposition. Allerdings mit Ausnahmen, zu denen aber zum
Beispiel der „arme Peter" nicht zu rechnen ist. Denn da ergibt sich die
„Geschichte" nur aus der Aufeinanderfolge der drei lyrischen Gesänge;
ähnlich wie in Schuberts „Müllerliedern" und „Winterreise". Viel
eher beweist der „Belsazar", daß Schumann in glücklicher Stunde
auch musikalisch zu erzählen imstande war; seine Noveletten wären
damit zu vergleichen. Aberhaupt darf man eben nicht behaupten,
daß seiner lyrischen Natur jeder dramatische Akzent und jede epische
Weise absolut versagt geblieben wären; die Kraft wollte nur nicht
vollständig dazu ausreichen.

In diesem Sinne dürfen wir alle seine größeren Werke beurteilen.
Sie sind nicht mißlungen, aber sehr ungleich geraten. Die größere
Form zu beherrschen hat er gelernt, soweit sich das lernen läßt; manch-
mal handhabt er sie mit erstaunlicher Meisterschaft. Dazu gehören aber
vor allem entsprechend große musikalische Gedanken. Die fehlen nir-
gends; aber dabei, manchmal dicht daneben, stehen matte, schwache, un-
bedeutende. Ein Wurf wie das Klavierquintett oder die B-dur-
Symphonie bleibt Ausnahme. In der C-dur-Symphonie geht dem
unsagbar herrlichen Adagio ein geniales Scherzo und ein eigensinniges
Allegro voraus. Warum ist das Adagio so wundervoll? weil es rein
gesanglich, echt lyrisch bleibt. Warum ist das Scherzo so reizvoll?

l- Iuniheft >9iO 289
 
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