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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 7 (1. Januarheft 1911)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0078
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Caruso

er das typische Bild unsres
^«^musikalischen Lebens kcnnt und
mit seinen Strömungen und
Schlagworten vertrant ist und dann
liest, wie alljährlich der gefeierte
Liebling des Auslandes unter dem
Zulauf nnd Iubcl dcr Menge
seincn Siegeszug über die deutschen
Bühnen hält — der müßte eigent-
lich in Erstaunen geraten. Da
reden wir nun an die vierzig Iahr
von dem größeren Ernst und der
Tiefe unserer Kunstauffassung, von
dem Wandel des Geschmacks, und
daß scit Richard Wagner das bloße
Virtuosentum in der Oper vcrspielt
habe! Geruht aber einer der
Stimmhelden, deren Bezahlung
sich sonst nur Amerika leisten kann,
einmal als Gast zu uns zu kom-
meu, so sind mit einem Schlage
all die „erreichten" Erziehungs-
resultate wie weggewischt und man
hört von einem Gebaren des
Publikums, wie es schließlich die
Blütezeit der Primadonna nicht
anders gekannt hat. Alle übri-
gen Interessen trcten für einen
Augenblick zurück; die höchsten
Preise, die schlimmsten Unbequem-

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lichkeiten schrecken nicht ab, wenn
es gilt, sich in den Besitz einer
Einlaßkarte zu setzen, und die zeit-
widrigsten, verblaßtesten Werke läßt
man dem Gaste zuliebe geduldig
übcr sich ergehen. Als ob uns
nie gepredigt wäre, daß der Wert
einer Vorstellung nur in dem aus-
geglichenen Ensemble beruhe, und
daß man sich in erster Reihe an
dem Werk, nicht an dem einzelnen
Darsteller, der aus dem Rahmen
fällt, erfreuen solle.

Ilnd doch wäre es falsch und
pharisäisch zuglcich, wollte man sich
über diese Tatsachen entrüsten, oder
sie auch nur beklagen. Zunächst ist
jener Widerspruch, den sie auf-
decken, in Wirklichkeit nicht so groß,
wie er theoretischer Betrachtung sich
darstellen könnte. Wie oft im
Leben, erscheinen hier Dinge nur
deshalb unverträglich, weil dem
oberflächlichen Blicke sich der ge-
meinsame Untergrund entzicht, weil
die Etikette, die wir ihnen ange-
heftet, sich nicht mit ihrem Wesen
deckt. Das Sängertum, das ein
Caruso vertritt, ist nicht mehr das
früherer Zeiten; auch der Virtuose
hat heute eine andcre ästhetische

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Musik
 
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