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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

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Heft 20 (2. Juliheft 1912)
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Rundsschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0153
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mäßigen Charakter oder sind Äber--
tragungen von Klavierstücken.

Schade ist, daß Schütts Lieder,
in Norddeutschland wenigstens,
wohl noch so gut wie unbekannt
sind. Denn wenn es das Kenn-
zeichen jeder guten Vokalmusik ist,
daß die Musik der gefühlsnotwen-
dige Ausdruck des Stimmungs- und
Empfindungsgehalts der Dichtung
ist, dann gehören Schütts Lieder
unbedingt dazu. Es sind Blüten von
einem wunderbar feinen Duft, ge-
pflückt in demselben Lande, in dem
Peter Cornelius seinen lieblichen
Dichtungsstrauß gesammelt hat. Da
singt die Sehnsucht und jauchzt die
Lebensfreude, dazwischen ein Klang
vom Volksliede und das Anfblitzen
prächtigen Humors. Der sonnigen
Art Schütts entsprechend fehlen
auch bei ihm Herbst- und Winter-
bilder, sowie elementare Leiden-
schaftsausbrüche, aber für den
zu sanfter Trauer gedämpften
Schmerz, für Stimmungen, die in
Halbschatten getaucht sind, findet er
wahrhaft ergreisenden und innigen
Ausdruck („Rosen", „Geh fort",
„Denk an mich", „Schließe mir die
Augen beide"). Die heiteren Ge-
dichte „Im Frühling^, „Die
Fischerin", „Anmutige Tracht" be-
zeugen wieder seine ausgesprochene
Begabung für das Zierliche und
Anmutige wie das famose „Sankt
Florian hilf" (mit dem gleichen
Anfangsmotiv wie die Humoreske
op. 37 Nr. 3) seinen Sinn für
Humor. Als heiterer Abschluß eines
Liederabends wird es stets von
dankbarster Wirkung sein.

Dagegen wird Schütt an seiner
einzigen Oper „Signor Formica"
— nach der gleichnamigen Novelle
von E. Th. A. Hoffmann — wohl
keine Freude mehr erleben. Ob ein
Wiederbelebungsversuch der alten
romantisch - komischen Oper mit
ihren geschlossenen Formen, ihren

Chören, ihrem Dialog und den ver-
alteten Requisiten einer nur mehr
objektiven Romantik heute noch rat-
sam ist, darüber ließe sich allenfalls
reden; mit dem Textbuch selbst aber
ist der Komponist an einen gänzlich
Anberufenen geraten. Schütt mag
wohl das Karnevalmäßige des Stof-
fes besonders gelockt haben, ohne
daß ihm dessen Bühnenunmöglich-
keit so recht zum Bewußtsein ge-
kommen wäre. Doch hier hat
sich sein Optimismus schwer be-
straft. Lr ist zweifellos kein Dra-
matiker — aber wer mit solcher
Liebe die Erscheinungen des Lebens
erfaßt, wer so Poet der musikalischen
Situation ist wie er, der würde
wohl bei sorgfältiger Beobachtung
auch Charaktere haben darstellen
können. Das Ergebnis wäre dann
etwa eine reizende Spieloper ge-
wesen, denn die Musik zu diesem
Signor Formica ist durchaus frisch
und einschmeichelnd, in den rein
lhrischen Partien von hoher Schön-
heit, es fehlt ihr nicht an volks-
tümlichen Zügen und verheißungs-
vollen Anläufen zur Personen-
charakterisierung, — aber diese toten
Puppen zu dramatischem Leben zu
erwecken, würde selbst dem bühnen-
gewandten Routinier mißlungen
sein.

Die Oper erlitt einen Achtungs-
erfolg, und Schütt hat keine wei-
tere komponiert; er mag sich wohl
zum Dramatiker nicht geboren
fühlen. Seine Größe liegt auf einem
andern Gebiet. And das ist gut
so. Wie selten ist einem gerade
das Bühnenwerk zugänglich, das
man hören möchte, — den Klavier-
poeten kann man sich einladen, so
oft man nach ihm Verlangen trägt,
und in manchem Hause, wo gute
Musik gepflegt wird, mag Eduard
Schütt ein gern gesehener Gast sein.
Man braucht ihn gar nicht per-
sönlich zu kennen, um ihn auch als

(22 Kunstwart XXV, 20
 
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