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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,1.1928-1929

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1929)
DOI Artikel:
Michel, Ernst: Volksbildung als "Bildung zum Volk"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0426

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XXXXH.

Volksbildung als „Bildung zum Volk"

Von Ernst Michel^

Volksbildungsbewegung der Iahrzehnte vor dem Weltkrieg war, paral-
'^-^lel der Sozialreform, eine künstliche Reaktion anf die Tatsache, daß die
echte Volksbildung im Versallen war: nämlich die Formung der Volksglieder
durch das LZolkslcben selbst, durch seine Institutionen, Sitten, Bräuche, Rechts-
ordnungen und Sprachbildungen. Man begann die scharfe Scheidnng deö
Volkes in Gebildete und Ungebildete als bedrohlich zu empfinden; man begann
die Anzeichen der Auflösung der alten Volksordnung, im Gefolge der Lechni-
fchen und wirtfchaftlichen Revolution, ernft zu nehmen, und versuchte, der zu-
nehmcnden Zerspaltung der Volksteile sozialpädagogisch entgegenzu-
wirken.

Volksfremd an sich schon, war die neuzeitliche Bildung, zumal nnt der Ent-
stehung des Proletariats, seit den 50er Iahren zunehmend der geistjge Aus-
druck der gehobenen bürgerlichen Gesellschaftsklasse geworden: liberal, indivi-
dualistifch, intellektualistifch, zersetzte sie, wo sie eindrang, die Volksnatur; ja
sie verlor seit der Mitte des Iahrhundcrts auch in der Schicht der Gebildeten
selbst rasch die Kraft zur Lebensbildung. In diesem Zuftand aber Lrat
sie Endc der 70er Iahre in Verdünnungsform in die Bolksbildung ein: als
verbreitende Bolksbildung. Sie ftellte sich dar als ein in Iahr-
Lausenden erzeugter, objektiver Kulturbesih, von dem man glaubte, er wirke
durch geeignete intellektuelle Bermittlung auf jedcn Aufnehmendcn und so auch
auf die breiten Massen bildend. Da man in dieser Zeit die Stellung des
Menfchen in dcr Wirtfchafts- und Lebensordnung noch als gegeben nnd selbft-
verftändlich annahm, wollte man ihm durch solche Kulturvermittlung vor allem
sein außerberuflichcs Dasein heben und „menfchenwürdig" gestalten. Man ging
dabei, echt liberal und individualistifch, von einer aus ziemlich gleichartigen Ako-
men bestehenden Masse aus, der durch geistige Fürsorge, durch popularisierte
Kunst und WissenfchafL Antcil an dcm fejüen Bestand der nationalen Z^ultur-
güter zu gewähren sei.

Schon im Laufe der Kriegojahre wurde der Mißerfolg einer derartigen ^ojäh-
rigen freicn Volksbildungsarbeit immer deutlicher: das erstrebte Ergebnis eincr
eiuheitlichen Volkskultur hatte sie nicht gezeitigt, und das zur Parole erhobene
nationale Schlagwort, das deutschc Volk kämpfe für seine heiligen Kultur-
güter, war jedenfalls in dcn breiten Volksfchichten völlig wirkungslos. Dennoch
setzte nach dem Krieg, als „Volksbildung" cine Forderung des Tages wurde,
ein Volksbildungsbetrieb cin, der im alten Geift der Wissensüberschätzung und

" Anmerkung: Oiese Ausführnngen stellen vcn einieitcnden Teil eines Dortrags dar dcr
unter dem Titcl „Arbeitcrbildung als Problcm der Dolk-Bildung" im Niünchner Kreisoerband
dcs Landesocrbandeü für freie Dolksbildung gebalken wurdc.

Märzheft igsg (XXXXII, 6)

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