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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,1.1928-1929

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1929)
DOI Artikel:
Rosenstock-Huessy, Eugen: Vom Staat zum Stamm
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https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0453

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6oo ArbeiLer und ihre Familien waren 1925 dorthin verpflanzt worden, wurden
1926 von dork wieder weggewiesen.

Im Nuhrgebiet sind in den lehten Iahren Städke von 40 000 aus 25 000 Ein-
wohner zusammengeschmolzen. Wohin mögen die Menschen gewanderL sein?
2lus den Vereinigken Staaten werden uns die Antokarawanen auf den großen
Ost-West-Straßenzügen geschildert; Schlosser nnd andere Handwerker, mit
Weib und Kind, mit allem Gepäck, fahrcn ein paar Tage weiker, bleiben wie-
der ei'nige Wochen, um zu arbeiken, zu rcparieren oder dcrgleichen. Sie haben die
Behörden beunruhigt. Kein Wunder. Deun sie stellen ein fahrcndes Volk
dar, das anderen Lebensgesetzen unkerliegt als das seßhafte.

Es handelt sich hier um Nkomaden.

Der unermüdlich beobachkende Wclls nennk die Menschen unsercr Zeik auf
Grund dieser Vorgänge clslocslisocl, „entorLeLe" Menschen. llnd Alfred Dö-
blin hak einen seiner Romane aus den akemraubenden Bildern ciner so „enkor-
Leten", raftlos von ErdLeil zu Erdteil gcschleuderken Menschheit gesialtet.
„Wirkschaftliche NkoLwendigkeiLen" sagk der Fachmann, zuckk die Achseln und
findek nichts dabei.

Sei's drum. 2lber das Unabänderliche ist immer das Inkcressanke. Denn nur
das Unabänderliche änderk den inkeressanLesten Gegenstcmd unseres Nachden-
kens — dcn Menschen.

Eine WirtschafL, die Menschen von StadL zu Skadt, von Land zu Land, von
ErdLeil zu Erdteil verschleuderk, änderk die Menschennatur. Das was wir
bisher für die feße Substanz sozusagen dcs Menfchcnkums gehalken haben,
wird umgebildek. Der Mensch, der so „entorket" ist, wird ein Mensch ohnc
Volk im landläufigen Sinn dieses WorLes. Denn ein Volk erkennt sich an
den BauLen und Stätken seines Lebens: der deuksche „Staat" und der cnglische
Staat untcrscheiden sich. WerkstaLL und Hofstatt des Franken und des Bayern
sind verschiedcner 2lrL. „Ländlich-sittlich."

Die neuen Nomaden bleiben an allen Stätten „gleich-gültig". Die Aröeits-
stätke und die Wohnstätten, an denen sie „sich aufhalten", haben sie uicht zu
verantworten. Ihren Geburtsort kennen sie nicht. Sie sind forkgezogen und
der Ort ist nicht wiederzuerkennen. Heimat kliugt „sentimental", bestenfalls
wird dies „Sentiment" noch einem Häuserblock, einem 2lusschnitt innerhalb
einer entsprechend größeren Steinansammlung zugewcndct.

Sie sind nicht bodensiändiges Volk, also uicht Kulturvolk, im Sinn der alten
seßhaften und sietigen Staaksordnung. Sie sind gesellschafkliche Wesen. Ihre
Bindung an das bodensiändige Volkstum isi zerschnikten.

In welcher Verbindung lebt der neue Mensch? Worauf beruhk sie? Worin
soll sie bestehen? Worauf wird sie sich gründen?

2. Der Bruch miL dem klassischen Ideal
Ehe wir auf diese RevoluLion ankworken, sei nach eine andere Bewegung aufge-
zeigk, die mir jener Bewegung vom Städter und „Sketer" zu dem freizügigen
„Unsteter" zu enksprechen scheint. Der stetige Mensch der N!euzeit hatte sich
im SkaaL fesi gegründet. suis, j'v rosts, roobor clo drouco, Grund-
gesctze, Stabilisicren, KonsiituLion" (Fesisetzung und Erfassung), das sind die
Worke aus dem 2lBC des staaklich gesonnencn Menschen und des staatsmän-
nischen Denkens der Rkeuzeit.

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