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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,1.1928-1929

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Heft 6 (Märzheft 1929)
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Rosenstock-Huessy, Eugen: Vom Staat zum Stamm
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https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0454

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Dies Denken hat sich seine Apotheose, seine Verklärung geschaffen im Bilde der
Antike. Die gesamte Kultur der N'euzeik iff humaniffisch. Der humane Mensch,
der humanifflsche Mensch hak sich gespiegelt in den Marmorbildern des au-
Liken Hellas und iu dcn Gesehen des antiken Nom.

Die Völker Europaö alle haben ihre festen KulkurbauLen, ihre Verwurzelung
in ein ffaatliches, örtliches und ländliches „Dasein" verklärt durch den Blick
auf das klassische Llltertum.

Wohin wendet sich nun der moderne Nomade, um sein „delokalisiertes", entor-
tetes Völkerwanderungsdasein zu verklären? Er hat im buchffäblichen Sinne
kein Da-scin, sondern nur ein Llnkommen und Fortgehen. Er iff nicht da, son-
dern kommt hin und hcr oder ab und zu. Wie verklärt nun dieser Mensch
seine „Zukunst"?

Eins iff sichcr: Hellas und Nom verblassen für ihn. Das humanistischc Gym-
nasium ist ja nicht zufällig aus dem Inbegriff aller Bildungsanstalt heuk ein
beschcidenes Fünftel oder Sechstel geworden, ein Typ unter vielen. Damit
iff das klassische Ideal preisgegeben. Weder die griechische Kunff noch das
römischc Recht sind heute noch die Maßffäbe der eigenen Sozialordnung für
diese neuen Gesellschaftsschichten. Wie sie die alten humaniffisch vorgebildeten
Llkademikerschichten nicht als ihren „Typ" anerkenncn, so sind auch die Jdeale,
die in diesen Typen geffaltet sind, nicht mehr die Ideale dieser neuen Massen.
Hellas und Rom werden noch lange als Vorbehaltsguk der alten gesättigken
Gesellschaftsschichken lebendige Ideale bleiben. Aber sie sind an ihre sozialen
Grenzen gekommen, über die hinaus sich ihre Geltung nichk mehr vorschieben
läßt.

Denn die neuen Massen empsinden die Bauten mit dcn dorischen Säulen und
den Renaissancefassaden nicht als Schöpsungen aus ihrer eigenen Persönlich-
keit, sondern für sie iff alles gebaute und gefügte Werk ein in die äußere Natur,
in deu unpersönlichen Kosmos eingegangenes Elemenk. Ein bebauker Raum
wird heut das Gebäude, ffatt eines Äusdrucks des inneren Lebens seines Be-
sitzers. Die neue Sachlichkeit macht aus dem Haus die Wohnmaschine. Hänge-
brücke und Skadion verlieren sich in die Natur so, als setzten sie nur rnit
größercr Wcisheit die geologische Erdgeschichte fort. Werft, Fabrik, Masscn-
siedlungen, Bahnhöfe, Schiffe, Hotels sind die charakteriffischen Bauten des
neuen Weltalters. Der einzelne Mensch kommt zu ihnen und verläßt sie als
ein Vorübergehcnder. Ganz ohne SenLimentalitäL gilt der Satz heut als Ge-
setz: „Wir haben auf Erden kcine bleibcnde Statt." Häuser und Bauten ffehen
da und mögen dauern auf Iahrhunderte. 2lber nicht „unsere" Häuser scheinen
sie uns, sondern sachlichcn Ausgaben gewidmet, vom Einzelnen nur vorüber-
gehend betreten und bewohnt.

Das antikc Kunffideal aber hatte alles Gebaute und Bebaute vermenschlicht.
Die Polis iff em der Erde abgekämpftes und vermenschlichtes Stück Boden,
das sich nunmehr von der „Welt" und „Natur" draußen ein sür Alemal unter-
scheidet. „Die Stäkte, die ein guter Mensch betrat, bleibt eingeweiht für alle
Zeitcn" iff das treffendffe Humaniffenwort.

Dic Seele der Kultur zielt gerade auf diese Ilnterscheidung der zivilisierten Men-
schenhäuser von dem unbebauten „Naum". Der Humanismus hat diese anti-
ken Polisideale der Schönheit, der Göttertempel rmd der Raumbeseelung auf
 
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