hingesprochen, deren Schönheit, Fülle, Tiefe kein einziger mit Gaben
gleicher Art überboten hat, selbst Goethe nicht. (Lin halbes Dutzend von
Leben-Begleitern und Leben-Erhöhern. Ein halbes Dutzend von weiter-
wirkenden Gnadengeschenken deines Volkes an dich und durch dich wieder
an dein Volk. A
Vom tzeute fürs Morgen
„Kaiserturn"
Man schreibt uns:
eit der große Krieg ausgebrochen
ist, treten die ursprünglichen, ein-
fachenGefühle, die immerdasind, aber
nicht immer bemerkt werden, wieder
hervor. So erwacht anch zu neuem
Leben das Gefühl für das Kaiser-
tum. Mir scheint dieses eigentüm-
liche Gefühl, das ganz etwas anderes
ist als das Gefühl der Rnterord-
nung unter einen Despoten, ein be-
sonderes Erbteil der Germanen zu
sein. Bei ihnen hat das Kaiser- oder
Königtum eine andre Wurzel und
eine andere Bedeutung als bei Sla-
wen und Bomanen. Es entstammt
einem Gefühlskreise, der dem Ver-
stande unzugänglich ist, es hat da-
her immer wieder eine ganz anders-
artige seelische Kraft zu entfalten
vermocht, als Erwägungen der Nütz-
lichkeit oder der Staatsnotwendig-
keit. Das Kaisertum war den Ger-
manen fast etwas Mystisches. Ihrem
vererbten Fühlen war der Kaiser
nicht ein mit hoher Macht ausge-
statteter Mensch, sondern die über-
persönliche Repräsentation eines Vol-
kes, oder noch mehr: das Sym-
bol ihres Volkes von sich
selbst.
Vor der Logik muß diese Ge-
fühlslage zu kurz kommen. Rnsre
rationalistische Zeit hat sür sie
auch nicht mehr dasselbe Verständnis
wie frühere, minder kluge und vor
allem minder individualisierte Zei-
ten. Aber die Erfahrung der letz-
ten Monate hat bewiesen, wie tief
uralte Gefühle im Menschen leben,
wie sie von neuem zur tzerrschaft
kommen, wenn ein Sturm durch die
Welt zieht, wenn der Gebildete und
der Ungebildete, der Arme und der
Reiche, der tzohe und der Niedrige
von einfachen, starken Gefühlen über-
wältigt werden.
Das eigentlich Charakteristische
an dem besprochenen Gefühlskreise
scheint mir zu sein: daß „der
Kaiser", „der König" als ein Mittel-
ding zwischen Mensch und Idee
empfunden wurde. Auch das Wort
„Majestät", die alte geschichtliche
Redeweise „Wir" anstatt „ich^ deutet
ja auf dergleichen. Der „Gesalbte"
ward mit der Gottheit selber in
einen innigeren Zusammenhang ge-
bracht als andere, er herrschte „von
der Gnade Gottes", er war geweiht.
Sollte dieses Kaisertum vollkom-
men verkörpert sein, so durfte also
der Gekrönte keine nur menschliche
Regung kennen, er durfte nrcht sub-
jektiv sein, er durfte keine Par-
tei ergreifen, er sollte vielmehr alles
in seiner Person verkörpern, was
ein Volk als repräsentativ für sich
empfindet. Also entsprach nicht
etwa „Persönlichkeit" dem Gefühl
der Majestät. So kommt es, daß
jede Außerung von Subjektivität,
und sei es die schönste, dieses alte
Gefühl enttäuscht, denn das fordert
ja gar nicht einen besondern, einen
ausgezeichneten Menschen, sondern
den Verkörperer des allen Ge-
meinsamen. Die Neugierde nach
Intimitäten eines Kaisers beweist
Fremdheit gegenüber diesem beson-
dern Gefühlskreis; sie stammt aus
andern als germanischen Äuellen.
Ia: wenn ein Kaiser eine wissen-
98
i
gleicher Art überboten hat, selbst Goethe nicht. (Lin halbes Dutzend von
Leben-Begleitern und Leben-Erhöhern. Ein halbes Dutzend von weiter-
wirkenden Gnadengeschenken deines Volkes an dich und durch dich wieder
an dein Volk. A
Vom tzeute fürs Morgen
„Kaiserturn"
Man schreibt uns:
eit der große Krieg ausgebrochen
ist, treten die ursprünglichen, ein-
fachenGefühle, die immerdasind, aber
nicht immer bemerkt werden, wieder
hervor. So erwacht anch zu neuem
Leben das Gefühl für das Kaiser-
tum. Mir scheint dieses eigentüm-
liche Gefühl, das ganz etwas anderes
ist als das Gefühl der Rnterord-
nung unter einen Despoten, ein be-
sonderes Erbteil der Germanen zu
sein. Bei ihnen hat das Kaiser- oder
Königtum eine andre Wurzel und
eine andere Bedeutung als bei Sla-
wen und Bomanen. Es entstammt
einem Gefühlskreise, der dem Ver-
stande unzugänglich ist, es hat da-
her immer wieder eine ganz anders-
artige seelische Kraft zu entfalten
vermocht, als Erwägungen der Nütz-
lichkeit oder der Staatsnotwendig-
keit. Das Kaisertum war den Ger-
manen fast etwas Mystisches. Ihrem
vererbten Fühlen war der Kaiser
nicht ein mit hoher Macht ausge-
statteter Mensch, sondern die über-
persönliche Repräsentation eines Vol-
kes, oder noch mehr: das Sym-
bol ihres Volkes von sich
selbst.
Vor der Logik muß diese Ge-
fühlslage zu kurz kommen. Rnsre
rationalistische Zeit hat sür sie
auch nicht mehr dasselbe Verständnis
wie frühere, minder kluge und vor
allem minder individualisierte Zei-
ten. Aber die Erfahrung der letz-
ten Monate hat bewiesen, wie tief
uralte Gefühle im Menschen leben,
wie sie von neuem zur tzerrschaft
kommen, wenn ein Sturm durch die
Welt zieht, wenn der Gebildete und
der Ungebildete, der Arme und der
Reiche, der tzohe und der Niedrige
von einfachen, starken Gefühlen über-
wältigt werden.
Das eigentlich Charakteristische
an dem besprochenen Gefühlskreise
scheint mir zu sein: daß „der
Kaiser", „der König" als ein Mittel-
ding zwischen Mensch und Idee
empfunden wurde. Auch das Wort
„Majestät", die alte geschichtliche
Redeweise „Wir" anstatt „ich^ deutet
ja auf dergleichen. Der „Gesalbte"
ward mit der Gottheit selber in
einen innigeren Zusammenhang ge-
bracht als andere, er herrschte „von
der Gnade Gottes", er war geweiht.
Sollte dieses Kaisertum vollkom-
men verkörpert sein, so durfte also
der Gekrönte keine nur menschliche
Regung kennen, er durfte nrcht sub-
jektiv sein, er durfte keine Par-
tei ergreifen, er sollte vielmehr alles
in seiner Person verkörpern, was
ein Volk als repräsentativ für sich
empfindet. Also entsprach nicht
etwa „Persönlichkeit" dem Gefühl
der Majestät. So kommt es, daß
jede Außerung von Subjektivität,
und sei es die schönste, dieses alte
Gefühl enttäuscht, denn das fordert
ja gar nicht einen besondern, einen
ausgezeichneten Menschen, sondern
den Verkörperer des allen Ge-
meinsamen. Die Neugierde nach
Intimitäten eines Kaisers beweist
Fremdheit gegenüber diesem beson-
dern Gefühlskreis; sie stammt aus
andern als germanischen Äuellen.
Ia: wenn ein Kaiser eine wissen-
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