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Kunstwart und Kulturwart — 28,2.1915

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Heft 12 (2. Märzheft 1915)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14419#0270

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Vom Heute fürs Morgen

Warum wir jetzt 1813 haben,
nicht 1806

inter, unter und im Waffenkampf
ist ein geistiger Kampf. Was ist
das?

Wir fühlen heute alle, was ein
gutes Kriegsmaterial wert ist. Aber
noch stärker fühlen wir, daß auch
die beste Kanone nicht losgeht, wenn
der Kanonier wegläuft, wenn also
der Geist nichts taugt, der die Ma-
schine — „bedient" sagen wir, be-
herrscht, regiert wäre richtiger. Der
Krieg ist stets gewesen und ist heute
mehr als je neben dem körperlichen
zugleich geistiger Kampf. Schließ-
lich sind auch die Maschinen selbst
Zeugnisse davon. Lin harter, weit
in die Zukunft langender Wille
durchdenkt den Krieg, das letzte
Mittel, strenger als ein kurzatmiger
Geist.

In diesem Hintergrund, Hebel
und Kraftwerk des Krieges, gibt es
nun eine Stelle, an welcher der
Kampf für uns schwerer ist, als für
andere: Unsere Äberzeugung ist
schwerer zu gewinnen, als die ande-
rer Völker. Das Triebwerk in uns
ist schwerer in Bewegung zu setzen.
Vielleicht ist es mächtiger. Aber
wie dem sei, das Schwungrad geht
bei uns schwerer.

Es hat sich in neuerer Zeit als
ganz unmöglich erwiesen, uns zu
Eroberungskriegen zu gewinnen. Es
hätte eine furchtbare Katastrophe
durch unser ganzes Volk hin ge-
geben, wenn wir für den Zweck
eines Eroberungskrieges zu den
Waffen gerufen worden wären. Ein
deutscher Napoleon ist unmöglich.
Wir sind als Volksganzes frei von
der nationalen Eitelkeit, die es bei
unsern Nachbarn leichter macht, das
Volk zum Kriege hinzureißen.

Fehlen uns diese Triebe? Der
Trieb, uns auszubreiten, weit in
die Welt hineinzuwirken? Und der
Trieb, Anerkennung für unsre Ar-
beit zu finden?

W

Mcht an sich. Zumal der Aus»
breitungstrieb fehlte nicht. Von
Haus aus und sozusagen in der
Naturgrundlage haben wir uns als
größere Eroberer als irgendein
anderes europäisches Volk bewährt.
Aus unserm Herzen heraus stammt
der Adel fast aller Kulturstaaten
von Bedeutung. In mehr als einer
Völkerwanderung haben wir uns
über die Welt ausgedehnt. Aber
seit wir in stärkerem Maße geistiges
Leben und Kultur in uns entwickelt
hatten, war uns allmählich und
unter Stockungen und Rückschlägen
eine neue Äberzeugung über diese
Dinge aufgegangen. Durch viele
schwere und schwer zu erlebende, ja
selbst schwer zu überlebende Schick-
sale wieder und wieder in unser
Innenleben zurückgetrieben, hatten
wir starke geistige Energien in uns
ausgebildet und mit ihnen zugleich
allerlei Verzicht und Selbstüberwin-
dung. So hatte sich die Äberzeu-
gung gebildet, daß die wahre Gel-
Lung wie eines Menschen so auch
eines Volkes auf seinem Arbei-
ten und Schaffen beruhe, nicht
„in der Farbe, die sein Anzug iträgt,
oder welche die Landkarte bemalt^.
Wie Luthern einst gar nichts lag
an der Form der Kirche, wenn ihm
nur die Freiheit würde, in ihr die
Wahrheit zu sagen, so lag uns
politisch nichts an der Landfarbe
im Atlas, alles an der Freiheit,
uns unser Leben zu bauen, wie es
unsrer Erkenntnis vom Zusammen-
hang der Dinge und unserm Ver-
hältnis zu ihnen entspricht — heiße

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