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Kunstwart und Kulturwart — 28,2.1915

DOI Heft:
Heft 12 (2. Märzheft 1915)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Denknebel
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.14419#0248

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Denknebel

^r^in großer Festsaal, zum Dank an die da draußen mit würdiger Pracht
gerichtet, und eine flutende Menge Lrregter vor Vorhang und Podinm.
^^Ietzt braust die Orgel über sie hin, ein gemeinsamer Gesang erhebt
uns, und nun beginnen die Chöre, aus denen es fernher wie von Kanonen
dröhnt, dann flüstert wie vom Scheidegruß Sterbender, dann schmettert wie
vom Sturme von Siegern, dann jauchzt wie von der Hoffnung auf Wieder-
sehn und zum Schlusse sich auftürmt Gefühl auf Gefühl zu einem über
Alles gipfelnden: das Vaterland ist frei. Ein heiliges Rauschen durch
alle Seelen wie Frühlingssturm im Eichenwald. Dann Abklang, Be-
ruhigung — Pause.

Und du sprichst mit dem Nachbarn. Ia, wir sind alle eins, was braucht's
eigentlich der Worte, wir haben gehört, wir haben mit den innern Augen
auf Frankreichs und Rußlands Felder und aufs Weltmeer hinausgesehn,
fühlend gesehn, geschaut. Da sagt der Nachbar: „Ia, das erhebt einen
doch wieder, wenn man sich über den Maeterlinck geärgert hat. Wenn
man's bedenkt, wieviel Geld der an uns Deutschen verdient hat, und nun
schimpft er auf uns!" . . .

Beethoven beginnt. Wir sind wieder im Lande des reinen Lichts, und
nun schweigen die Instrumente — Menschengesang. „Seid umschlungen,
Millionen! Diesen Kuß der ganzen Welt! Brüder — überm Sternenzelt
muß ein lieber Vater wohnen." Der dichtete das, der gegen Fremd-
herrschaft den Tell schuf, und gegen England die Iohanna, der Freiheits-
dichter vor allen andern und der zugleich Dichter der „Glocke" war, deutsch,
wenn einer unsrer Klassiker, der Geistesbruder Kants, der Vorläufer Fichtes.

Beifall. Stille. „Aber meinen Sie nicht, dieser Kosmopolitismus ist
eigentlich überlebt? Lissauers Haßgesang entspricht doch der Gegenwart
besser.^

2. Märzheft 1915 (XXVIII, 12)
 
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