Lose Blätter
Franees Külpes jüngstes Werk
rances Külpes frühere Novellen und Romane hatten oft wenig
^-"^mehr Bedeutung, als daß sie deutsch-baltisches Leben mit schlichter
Wahrhaftigkeit wiedergaben. tzöher steht ihr jüngstes großes Werk,
ein Roman, der aus den in sich selbständigen Teilen „Doppelseele" und
„Kinder der Liebe" besteht und bei Georg Müller in München erschienen
ist. Es sei gleich hier zugegeben, daß Frances Külpe auch mit diesen
Büchern nicht den Bezirk eigentlicher Prosakunst erreicht; sie kennt nicht
das Geheimnis dichterischer Sprache, die Sprache wird ihr nicht zum
Mittel, eine Kunst geistiger Auslese und gestaltender Kleinarbeit zu be-
zeugen. Auch die weitere Kunst, nur fruchtbare Auftritte zu bilden und
allein durch deren Anordnung und Ablauf die Fülle der inneren Erleb-
nisse mächtig hervortreten zu lassen, ist ihr nicht gegeben. Eine unab«
weisliche Erinnerung an den Familienblatt-Roman älteren Stils liegt
in ihrer Erzählart, und die langen eingeflochtenen Betrachtungen und
Seitengedanken liegen darin gelegentlich wie schwere, unbehauene Blöcke.
Aber es scheint mir trotzdem berechtigt, dies neue Werk in die Reihe der
wichtigen Prosabücher aus den letzten zwei Iahrzehnten zu stellen. Ihr
Gehalt an tief und wahr geschautem Leben ist ganz außerordentlich und
die Darstellung einer Reihe von wertvollen und ungewöhnlichen Erleb-
nisreihen darin zeugt von einer Reife und Sicherheit der Lebensanschau-
ung, die etwas Beruhigendes und Bereicherndes hat, wie nur wenige
der Bücher unsrer Zeit, die künstlerisch reizvoller sind.
Das Ganze spielt wiederum unter Deutschen in Rußland, und die
mannigfachen Lichter, welche auf das Leben dieses eigen entwickelten Stamm-
teiles fallen, erwecken für ihn eine Teilnahme, die heute doppelt erwünscht
sein mag. Man darf allerdings nicht vergessen, daß das Buch nur volle
Friedenszeit schildert, und die Nachtseite der Kämpfe und Bedrückungen
im deutschen Leben jenseits Ostpreußen gar nicht berücksichtigt. Aber es
ist eine eigne, echte deutschbürgerliche Kultur, festgewurzelt in Land und
Stadt, welche den Stoff des Ganzen hergibt. Der erste Band enthält
die Entwicklung eines ungemein eigenartigen Knaben zum Manne; eine
vielseitige, von mannigfachen, sich widersprechenden Regungen und Nei»
gungen bewegte Seele lebt in tzeinz Stürmer, dem Sohn einer glück»
armen Ehe. Die Dinge der Welt und das Leben der Menschen erfaßt
er instinktiv mit der Wucht einer grenzenlosen Sympathie, die — hin und
her gerissen — ihn oft zu zersprengen droht und den festeren Kern in
sich vermissen läßt. Die verwirrende Fülle seines leidenschaftltchen Mit-
lebens gedeiht ihm äußerlich zum Verderb, er wird wider Willen zum
tzerzenbrecher, scheinbar zum tzeuchler, im Augenblick edler aber unbeherrsch-
ter Leidenschaft zum Totschläger. Aber währenddessen reift er doch innerlich
zu einem wundersamen Reichtum an Menschlichkeit heran! Sein Beruf als
Architekt erfüllt ihn nicht mehr, dichterische Schöpferlust bricht durch. Und
das Merkwürdige geschieht: die gütige, liebevoll eindringliche Schilderung
dieser in Wahrheit „problematischen" Natur ist völlig überzeugend.
Sie ist so reich an fein gesehenen und anschaulich wiedergegebenen Einzel»
zügen, daß man den Spannungen und Lösungen dieses wirren Lebens
gern folgt. Auch die „Errettung" des tief Gesunkenen durch die unab«
Franees Külpes jüngstes Werk
rances Külpes frühere Novellen und Romane hatten oft wenig
^-"^mehr Bedeutung, als daß sie deutsch-baltisches Leben mit schlichter
Wahrhaftigkeit wiedergaben. tzöher steht ihr jüngstes großes Werk,
ein Roman, der aus den in sich selbständigen Teilen „Doppelseele" und
„Kinder der Liebe" besteht und bei Georg Müller in München erschienen
ist. Es sei gleich hier zugegeben, daß Frances Külpe auch mit diesen
Büchern nicht den Bezirk eigentlicher Prosakunst erreicht; sie kennt nicht
das Geheimnis dichterischer Sprache, die Sprache wird ihr nicht zum
Mittel, eine Kunst geistiger Auslese und gestaltender Kleinarbeit zu be-
zeugen. Auch die weitere Kunst, nur fruchtbare Auftritte zu bilden und
allein durch deren Anordnung und Ablauf die Fülle der inneren Erleb-
nisse mächtig hervortreten zu lassen, ist ihr nicht gegeben. Eine unab«
weisliche Erinnerung an den Familienblatt-Roman älteren Stils liegt
in ihrer Erzählart, und die langen eingeflochtenen Betrachtungen und
Seitengedanken liegen darin gelegentlich wie schwere, unbehauene Blöcke.
Aber es scheint mir trotzdem berechtigt, dies neue Werk in die Reihe der
wichtigen Prosabücher aus den letzten zwei Iahrzehnten zu stellen. Ihr
Gehalt an tief und wahr geschautem Leben ist ganz außerordentlich und
die Darstellung einer Reihe von wertvollen und ungewöhnlichen Erleb-
nisreihen darin zeugt von einer Reife und Sicherheit der Lebensanschau-
ung, die etwas Beruhigendes und Bereicherndes hat, wie nur wenige
der Bücher unsrer Zeit, die künstlerisch reizvoller sind.
Das Ganze spielt wiederum unter Deutschen in Rußland, und die
mannigfachen Lichter, welche auf das Leben dieses eigen entwickelten Stamm-
teiles fallen, erwecken für ihn eine Teilnahme, die heute doppelt erwünscht
sein mag. Man darf allerdings nicht vergessen, daß das Buch nur volle
Friedenszeit schildert, und die Nachtseite der Kämpfe und Bedrückungen
im deutschen Leben jenseits Ostpreußen gar nicht berücksichtigt. Aber es
ist eine eigne, echte deutschbürgerliche Kultur, festgewurzelt in Land und
Stadt, welche den Stoff des Ganzen hergibt. Der erste Band enthält
die Entwicklung eines ungemein eigenartigen Knaben zum Manne; eine
vielseitige, von mannigfachen, sich widersprechenden Regungen und Nei»
gungen bewegte Seele lebt in tzeinz Stürmer, dem Sohn einer glück»
armen Ehe. Die Dinge der Welt und das Leben der Menschen erfaßt
er instinktiv mit der Wucht einer grenzenlosen Sympathie, die — hin und
her gerissen — ihn oft zu zersprengen droht und den festeren Kern in
sich vermissen läßt. Die verwirrende Fülle seines leidenschaftltchen Mit-
lebens gedeiht ihm äußerlich zum Verderb, er wird wider Willen zum
tzerzenbrecher, scheinbar zum tzeuchler, im Augenblick edler aber unbeherrsch-
ter Leidenschaft zum Totschläger. Aber währenddessen reift er doch innerlich
zu einem wundersamen Reichtum an Menschlichkeit heran! Sein Beruf als
Architekt erfüllt ihn nicht mehr, dichterische Schöpferlust bricht durch. Und
das Merkwürdige geschieht: die gütige, liebevoll eindringliche Schilderung
dieser in Wahrheit „problematischen" Natur ist völlig überzeugend.
Sie ist so reich an fein gesehenen und anschaulich wiedergegebenen Einzel»
zügen, daß man den Spannungen und Lösungen dieses wirren Lebens
gern folgt. Auch die „Errettung" des tief Gesunkenen durch die unab«