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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 34.1991

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Nr. 3
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Aktuelle Themen
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Clauss, Manfred: Die Zukunft nicht ohne die Antike: Eine Rechtfertigung des altsprachlichen Unterrichts ex eventu
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https://doi.org/10.11588/diglit.35875#0079

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Grundlagen des individuellen wie sozialen Lebens in einer demokratischen Gesellschaft — auf
der Strecke bleiben.
Eine Bildungskonzeption, die solche negative Tendenzen fördert, zielt auf Ausbildung, nicht auf
vertiefte Allgemeinbildung; sie verrät am Ende die gymnasiale Idee. Man mag eine Schule mit sol-
chem Profil vielleicht zutreffend 'polytechnische Sprachenschute' nennen. Den Namen 'Gymna-
sium' verdient sie nicht. Im Osten war folgerichtig mit der Sache auch der Begriff eliminiert.
3. Die Verantwortung der Sachwaiter der Antike
Der bildungspolitische Befund läßt auch Schlußfolgerungen auf die Vertretung der Alten Spra-
chen in diesem für eine moderne demokratische Gesellschaft nötigen Gymnasium zu. Ihr Platz
ist dort berechtigt. Die Perspektive, die die neuen Bundesländer eröffnen, ist auch hierfür emi-
nent lehrreich; denn die Erfahrung einer über Jahrzehnte währenden Kulturbarbarei mit den an-
gedeuteten Folgen hat offensichtlich weithin das Bedürfnis nach einer auch und gerade an der
Antike ausgerichteten Allgemeinbildung elementar wachsen lassen. Wo immer dies möglich ist,
richtet man — Eiternwünschen entsprechend — Lateinunterricht ein; auch der Griechischunter-
richt ist wieder gefragt. Die Zukunft kommt, wie es scheint, nicht ohne die Antike aus.
Das berechtigt zu folgenden Feststellungen:
1. Die Bemühungen der altsprachlichen Fachpolitik und Fachdidaktik in den letzten 25 Jahren,
die die Verkürzung oder gar Abschaffung des Latein- und Griechischunterrichts erfolgreich abge-
wehrt haben, waren angemessen; der oft enervierende und die physische und psychische Belast-
barkeit übersteigende Einsatz ihrer Vorkämpfer, größtenteils ehrenamtlich und im Status des bil-
dungstheoretischen Amateurs geleistet, hat sich in vollem Maße gelohnt. Die Bildungsinhalte des
altsprachlichen Unterrichts haben sich nachträglich als unentbehrlich erwiesen.
2. Die Richtung, in der sich die Konzeption des altsprachlichen Unterrichts in den letzten Jahr-
zehnten entwickelt hat, stimmt im großen und ganzen. Latein und Griechisch präsentieren sich
als kultur- und spracherschließende Fächer, die für vielfältige Bezüge in Beruf und Leben Kennt-
nisse und Fähigkeiten schaffen, auch als Fächer, deren Inhalte zur Auseinandersetzung mit be-
währten sinnstiftenden Verhaltensmustern und Denkmodellen anregen. Es wird ratsam sein, die-
se sog. Multivalenz der Fachleistungen, die sich in der Arbeit an der Sprache und in der Begeg-
nung mit der Literatur gleichermaßen verwirklicht, in der Mitte der Präsentation und Rechtferti-
gung der Fächer zu belassen, sie sogar verstärkt zu betonen.
3. Wissenschaft und Didaktik der Fächer Latein und Griechisch sind auf wechselseitige Unterstüt-
zung angewiesen. Wie das Beispiel der DDR' lehrt, schrumpften die klassischen Studien an nahe-
zu allen Universitäten, einstmals Hochburgen der Klassischen Philologie wie Leipzig, Berlin, Ro-
stock, fast gegen Null ein, nachdem der altsprachliche Unterricht bis auf Minimalformen abge-
schafft worden war. Universitäre Planstellen wurden nicht mehr besetzt oder mangels sinnvoller
Arbeit aufgegeben; Studenten fehlten weithin (an der Universität Halle, wo allein noch Lehrer-
ausbildung stattfand, immatrikulierte sich nach 1970 acht Jahre lang kein einziger Student für La-
tein und/oder Griechisch). Existenz, Umfang und Blüte der Institute oder Seminare für Klassische
Philologie hängen, dies hat sich hier zweifelsfrei gezeigt, an vielen Universitäten zu einem ent-
scheidenden Teil auch am Schicksal der entsprechenden Fächer am Gymnasium. Auch dies eine
Erfahrung ex eventu. Deshalb sollte die Fachwissenschaft aufhören, die Schule weiter nahezu als
eine quantit^ n^gligeable abzutun. Jene Instanz, die sich für die Erhaltung des altsprachlichen
Unterrichts einsetzt, die Fachdidaktik, dient letztlich auch ihr; sie verdient es nicht länger, als dis-

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