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Weber, Ines [Editor]; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Ein Gesetz für Männer und Frauen: die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur — Mittelalter-Forschungen, Band 24,1: Ostfildern, 2008

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.34905#0043

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I. Der Konsensgedanke in Eheschließungsfragen

Im August des Jahres 866 traf eine Gesandtschaft der bulgarischen Christenheit aus
der Provinz Illyrikum in Rom bei Papst Nikolaus I. (820-867) ein. Im Gepäck hatten
die Boten einen umfangreichen Themenkatalog mit über 100 Anfragen aus allen
religiösen, vor allem pastoralen Bereichend Weil es den Neubekehrten unter dem
Einfluss von »fränkischen und griechischen Glaubensboten und deren unterschied-
liche[r] religiöse[r] Praxis«' kaum möglich war, die wahre Religion von der falschen
zu unterscheiden/ suchte eine Region, die sowohl politisch als auch kirchlich seit
dem Auseinanderbrechen des römischen Imperiums beständig eine Zwitterstel-
lung zwischen Ost und West eingenommen hatte, Rat und Hilfe in Rom.
Uns ist gesagt worden, dass sich die bei Euch praktizierten Zeremonien beim
Abschluss einer Ehe deutlich von den bei uns gebräuchlichen unterscheiden. Wie
wichtig sind nun die Zeremonien, sowohl die weltlichen als auch die kirchlichen?
Verfallen wir wirklich der Sünde, wenn wir derartige Bräuche nicht praktizieren,
und leben wir demnach in wilden Ehen, weil ihnen zur Gültigkeit die rechte Ein-
segnung fehlt?< So oder so ähnlich* muss die aus spürbarer Heilssorge gestellte An-
frage des bulgarischen Klerus zum Eheschließungsrecht an Papst Nikolaus gelautet
haben, die das Oberhaupt der westlichen Kirche mit dem in Eheschließungsfragen
viel zitierten Satz Mafn'mowzMm wow JäczY coz'fMS, scd uoZMwfas beantwortete. Dem römi-
schen Recht entlehnt und als cowscwsMS-Gedanke bezeichnet, verknüpft er die eheli-
che Zustimmung mit dem gültigen Abschluss und geht alsbald in die Debatten um
die rechte Eheschließung und deren rechtsverbindlichen Beginn ein. Sowohl von
Zeitgenossen als auch von Nachfahren immer wieder zitiert, hat dieser Satz das

1 Vgl. HEISER, Responsa, S. 46; zu Art und Anlage sowie Umfang des Schreibens vgl. ebd., S. 73f.
Das Gebiet Illyrikums hatte seit dem Auseinanderbrechen des Imperium Romanum sowohl
geographisch als auch politisch immer eine Zwitterstellung zwischen Ost und West eingenom-
men. Auch kirchlich hatte die Region beständig unter dem Einfluss der orthodoxen sowie der
westlichen Christenheit gestanden. Als diese im 9. Jahrhundert von den Bulgaren erobert wurde
und Letztere sich alsbald zum Christentum bekehrten, entbrannten erneut die gezielten Bemü-
hungen um die Oberherrschaft in dieser Region sowohl auf Seiten des byzantinischen Basileus
als auch auf Seiten Roms. Politische Unabhängigkeitsbestrebungen, verbunden mit der Suche
nach dem rechten Glauben, trafen sich mit dem Wunsch Roms, das seit 130 Jahren verlorene
Vikariat auf dem Balkan zurückzugewinnen (vgl. ebd., S. 11-67).
2 Ebd., S. 46.
3 Vgl. ebd., S. 44-46.
4 Da das Original des Schreibens nicht erhalten geblieben ist, kann sein Inhalt lediglich gemut-
maßt und allenfalls anhand des päpstlichen Antwortbriefes rekonstruiert werden. Zur Entste-
hung und zur Rekonstruktionsdebatte des Bulgarenbriefes sowie zur Interpretation in Fragen
außerhalb des Eherechts vgl. ebd., S. 73f.
 
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