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Weber, Ines [Hrsg.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ein Gesetz für Männer und Frauen: die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur — Mittelalter-Forschungen, Band 24,1: Ostfildern, 2008

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.34905#0338

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IX. Konkurrierende Interessengruppen

323

3. Die Ehe im Kontext frühmittelalterlicher Abhängigkeit -
ein Fazit

a) Interessenausgleich statt Interessenbeschneidung
Den Vermittlungsversuch zwischen den Interessen der unterschiedlichen Gruppie-
rungen (Herr, Verwandtschaft und Braut/Bräutigam) lasst die bereits bekannte
Vorschrift der Capitula legis Salicae addita von 819 prägnant zusammen. Auch
diese Bestimmung ist sich des gleichen Gesetzes für Mann und Frau bewusst. In
bekannter Weise betont er im letzten Satz die Regelung als geschlechtsunabhängig.
Der Einfachheit halber wird auch hier der Beschreibung der Vorschrift gefolgt: Eine
Freie, die einen scruMS zum Gatten nimmt, gerät zusammen mit diesem in Abhän-
gigkeit. Mit der Hochzeit fallen Teile ihres Vermögens (ms) an den Herrn. Als sol-
ches wird ausdrücklich das Gut bezeichnet, das sie »mit ihren Eltern/Verwandten
geteilt hat«. Nur »wenn sie die väterlichen und mütterlichen Dinge nicht mit ihren
Eltern/Verwandten geteilt hat, kann sie weder dem entsprechen, der gegen sie An-
sprüche erhebt, noch mit ihrem Erbe in das Erbe der väterlichen Dinge weiterhin als
Teiler herantreten.«^ Die Höhe des Vermögens, das mit der Hochzeit abwandert,
hängt davon ab, in welcher Weise es der betreffenden Person möglich ist, darauf
zuzugreifen. Spricht die Bestimmung von Vermögenswerten, welche die Frau mit
den Eltern »geteilt hat«, so liegt es nahe, den Erbfall als eingetreten vorauszusetzen.
Das Erbe dürfte bereits aufgeteilt sein, sodass jeder Berechtigte über seinen Anteil
selbstständig verfügen kann. Dieser Teil ist es, der dem domüiMS von Seiten der Braut
zufließt, weil er aus der Gesamtmasse herauslösbar ist. Warum, vor allem aber in
welcher Weise das gesamte Hab und Gut dem Herrn zufällt, lässt die Vorschrift
ebenso offen wie die Frage, ob es sich um bewegliches oder unbewegliches Vermö-
gen handelt. Das Verb pcrucwzm legt zwar eine Besitzmehrung auf Seiten des Herrn
nahe, inwieweit die Frau ein Verfügungsrecht behält, klärt die Bestimmung jedoch
nicht. Das ist aber auch nicht ihr primäres Interesse. Beispielsweise wäre vorstell-
bar, dass die Besitzübertragung nicht zwingend mit einem uneingeschränkten Be-
sitz- bzw. Eigentumsrecht seitens des domüiMS einhergeht. Anders formuliert: Das
Vermögen des zunächst freien Partners könnte ebenso gut den Gesamtbesitzungen
zugeschlagen werden, um damit zu wirtschaften, es also zu mehren. Eine Eigen-
tumsübertragung muss damit nicht zwingend zusammenfallen, zumal bereits er-
wähnt wurde, dass eine Person, die sich in Abhängigkeit begibt, zwar ihr Vermögen
dem Schutzherrn überstellt, es aber zum Nießbrauch nutzen kann und es sogar bei
der Rückkehr zu ihrer Verwandtschaft mit sich nimmt. Mit anderen Worten: Der
domüiMS wird nicht gleichfalls Eigentümer dieser Güter. Es ist mehrfach darauf hin-
gewiesen worden, dass der Edictus Rothari in diese Richtung argumentiert. Falls
die Vermögenswerte jedoch unter den Verwandten noch nicht aufgeteilt wurden.

88 Capitula legi Salicae addita a. 819/820 c. 3 (MGH.Cap 1), S. 292 [Anhang Cap 48, S. 1881].
 
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