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Weber, Ines [Editor]; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Ein Gesetz für Männer und Frauen: die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur — Mittelalter-Forschungen, Band 24,1: Ostfildern, 2008

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.34905#0383

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368

Schluss

nis anderer Epochen anwendbar sein. Im Blick auf Ehe, Familie, Verwandtschaft
soll ein Konzept für das frühe Mittelalter aufgestellt werden, wie sich Lebensbedin-
gungen, kulturell geprägte Verfahrensformen und Religiosität zueinander verhal-
ten. Vorgeschlagen werden soll ein Blick auf die Epoche des frühen Mittelalters, der
diese weniger als Zeit des Übergangs oder gar des Verfalls denn als Zeit der Trans-
formationen mit erheblich kulturstützender Leistung erscheinen lässt und damit
ihre Bedeutung für die Ausprägung europäischer Kultur insgesamt freilegt. In die-
sem Sinn gilt es, die Ergebnisse auf zwei Ebenen zusammenzufassen und einen
Ausblick zu leisten: Auf der einen Seite ist das Verhältnis der sozialen Gruppen zu-
einander einschließlich ihrer Verhaltensmuster im Kontext der frühmittelalterli-
chen Welt zu betrachten; auf der anderen Seite sollen - im Bewusstsein der Grenzen
eines solchen Vorgehens - Kontinuitäten und Diskontinuitäten synchroner Art, was
die Ost- und Westkirche bzw. die nordischen Länder angeht, sowie diachroner Art
hinsichtlich der altkirchlichen und hochmittelalterlichen Entwicklungen beleuch-
tet werden.

1. Die Ehe im Kontext der frühmittelalterlichen Gesellschaft

Das Verhältnis der sozialen Gruppen und >Generationen<
Dass Braut und Bräutigam sowohl familiär als auch herrschaftlich in unterschiedli-
che soziale sowie altersverschiedene Gruppen eingebunden sind, hat zur Folge,
dass sich beim Eheabschluss nicht allein das heiratende Paar gegenübersteht bzw.
deren Eltern miteinander verhandeln, ob sie die Brautleute verheiraten wollen. Viel-
mehr treten Personen und Gruppierungen miteinander in Kontakt, die, eingebun-
den in ein komplexes Beziehungsnetz, unterschiedliche Interessen vertreten. So
spielen neben den Brautleuten und deren Eltern die übrigen Verwandten eine
ebenso große Rolle wie in manchen Fällen der Herr. Die einzelnen Beteiligten bil-
den je für sich schon vor der Eheschließung ein Dreieck wechselseitiger Abhängig-
keiten, weil sie als Wirtschaftsgemeinschaft im sozialen Netzwerk der Gesellschaft
aufeinander verwiesen sind. Nach der Hochzeit fügen sie sich als zwei ineinander
verschachtelte Dreiecke zu einem Sechseck zusammen, sodass der Kreis der Perso-
nen, die in direkter Beziehung zueinander stehen, gewachsen ist.
Insoweit betrifft die Ehe nicht nur das konkrete Paar, sondern ist eine Institu-
tion, die in den größeren Kontext ökonomischer, besitz- und erbrechtlicher Ver-
flechtungen der sozialen Lebenswelt eingebunden ist. Verortet in der Oikonomia
des Hauses, gestaltet sich die konkrete Lebenswelt innerhalb von Grundherrschaft
und Sklaverei deutlich anders als innerhalb des Adels. Deshalb ist es ein Unter-
schied, ob abhängige oder freie Personen eine Ehe eingehen, ob ein junges Mädchen
zum ersten Mal heiratet oder die Witwe sich nochmals vermählt. Alle in diesen
Wirtschaftskreislauf integrierten Personen haben gleichermaßen den Wunsch, das
Paar wirtschaftlich zu versorgen und gleichzeitig Vorkehrungen für die soziale Re-
produktion der Gesellschaft zu treffen. Zusätzlich können sie ihre verwandtschaft-
lichen Bindungen erweitern und neue ökonomische Netzwerke knüpfen. Wie das
 
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