V. Außereheliche Geschlechtsbeziehungen
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4. Außereheliche Geschlechtsverhältnisse als
normverletzendes Handeln
Die frühmittelalterlichen Texte diskutieren das Deliktfeld der vor- und außereheli-
chen Geschlechtsverhältnisse auf der Grundlage zweier Argumentationslinien, die
einander ergänzen. Erstens leitet sich die Erklärung, solche Geschlechtsverhältnisse
zu verbieten, konsequent aus dem frühmittelalterlichen Eheverständnis als kom-
munikativem Vertragsgeschehen unter Gleichen ab. Wenn eine eheliche Gemein-
schaft nur rechtmäßig geschlossen werden kann, indem bestimmte Formvorschrif-
ten eingehalten werden und diese bindende Wirkung haben, handeln die Personen
gegen die Norm, die aus diesem System ausbrechen bzw. sich darüber hinwegset-
zen. Sanktionen sind die Folge. Argumentativ bleiben die Texte zweitens nicht auf
dieser rechtlichen Ebene stehen, sondern begründen dezidiert theologisch, näher-
hin neutestamentlich. Damit wird die >klassische< Vorstellung, Ehebruch sei der
Einbruch in eine fremde eheliche Gemeinschaft, weil die rechtliche Vormundschaft
des Mannes über seine Frau verletzt wird, von den frühmittelalterlichen Texten
nicht aufgegriffen. Ebenso wenig jedoch gründen die Überlegungen auf einem sak-
ramentalen Charakter der ehelichen Gemeinschaft. Stattdessen formen die beiden
genannten Argumentationsmuster zusammen ein konsistentes Bild, wie sich das
Verbot vor- und außerehelicher Geschlechtsverhältnisse in ein frühmittelalterliches
Eheverständnis einfügen lässt, das sich strikt am Prinzip der Unauflöslichkeit ori-
entiert.
a) Die Unauflöslichkeit der ehelichen Gemeinschaft
Grundannahme ist das konsensuelle Vertragsgeschehen, innerhalb dessen es we-
der dem Mann oder der Frau noch anderen Familienmitgliedern erlaubt ist, in be-
stehende Verhältnisse einzugreifen bzw. selbstmündig Geschlechtsverhältnisse zu
erwirken, die einer rechtmäßigen Initiierung durch autorisierte Personengruppen
bedürfen. Kommt es dennoch zu Verstößen, haben nicht nur die Unzuchtpartner
selbst die Braut- bzw. Ehegabe an die Geschädigten zu zahlen, sondern es werden
ebenso die Familienmitglieder bußfällig, die gegen die Norm gerichtete Geschlechts-
verhältnisse durch ihre Zustimmung ermöglicht haben. Sind die Delinquenten un-
verheiratet, können in einzelnen Fällen die entsprechenden Formvorschriften nach-
geholt und eine Eheschließung erwirkt werden. Einige Texte verfügen ein derartiges
Verfahren selbst für ein verlobtes Paar. Abhängig davon, ob der Unzuchtpartner
bereit ist, die Frau zu heiraten, weil der Verlobte sie nicht zurück in die Ehe nehmen
will, kann es sogar zur Eheschließung kommen. Der ehemalige Gatte erhält die
Braut- bzw. Ehegabe zurück.
Ganz anders verhält es sich, wenn die Gatten bereits in einer ehelichen Verbin-
dung leben. Mit äußerstem Nachdruck verweisen die Texte immer wieder auf die
Unauflöslichkeit der ehelichen Gemeinschaft, die für alle Beteiligten unterschiedli-
che Folgen hat. Auf jegliches außereheliche Geschlechtsverhältnis einer verheirate-
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4. Außereheliche Geschlechtsverhältnisse als
normverletzendes Handeln
Die frühmittelalterlichen Texte diskutieren das Deliktfeld der vor- und außereheli-
chen Geschlechtsverhältnisse auf der Grundlage zweier Argumentationslinien, die
einander ergänzen. Erstens leitet sich die Erklärung, solche Geschlechtsverhältnisse
zu verbieten, konsequent aus dem frühmittelalterlichen Eheverständnis als kom-
munikativem Vertragsgeschehen unter Gleichen ab. Wenn eine eheliche Gemein-
schaft nur rechtmäßig geschlossen werden kann, indem bestimmte Formvorschrif-
ten eingehalten werden und diese bindende Wirkung haben, handeln die Personen
gegen die Norm, die aus diesem System ausbrechen bzw. sich darüber hinwegset-
zen. Sanktionen sind die Folge. Argumentativ bleiben die Texte zweitens nicht auf
dieser rechtlichen Ebene stehen, sondern begründen dezidiert theologisch, näher-
hin neutestamentlich. Damit wird die >klassische< Vorstellung, Ehebruch sei der
Einbruch in eine fremde eheliche Gemeinschaft, weil die rechtliche Vormundschaft
des Mannes über seine Frau verletzt wird, von den frühmittelalterlichen Texten
nicht aufgegriffen. Ebenso wenig jedoch gründen die Überlegungen auf einem sak-
ramentalen Charakter der ehelichen Gemeinschaft. Stattdessen formen die beiden
genannten Argumentationsmuster zusammen ein konsistentes Bild, wie sich das
Verbot vor- und außerehelicher Geschlechtsverhältnisse in ein frühmittelalterliches
Eheverständnis einfügen lässt, das sich strikt am Prinzip der Unauflöslichkeit ori-
entiert.
a) Die Unauflöslichkeit der ehelichen Gemeinschaft
Grundannahme ist das konsensuelle Vertragsgeschehen, innerhalb dessen es we-
der dem Mann oder der Frau noch anderen Familienmitgliedern erlaubt ist, in be-
stehende Verhältnisse einzugreifen bzw. selbstmündig Geschlechtsverhältnisse zu
erwirken, die einer rechtmäßigen Initiierung durch autorisierte Personengruppen
bedürfen. Kommt es dennoch zu Verstößen, haben nicht nur die Unzuchtpartner
selbst die Braut- bzw. Ehegabe an die Geschädigten zu zahlen, sondern es werden
ebenso die Familienmitglieder bußfällig, die gegen die Norm gerichtete Geschlechts-
verhältnisse durch ihre Zustimmung ermöglicht haben. Sind die Delinquenten un-
verheiratet, können in einzelnen Fällen die entsprechenden Formvorschriften nach-
geholt und eine Eheschließung erwirkt werden. Einige Texte verfügen ein derartiges
Verfahren selbst für ein verlobtes Paar. Abhängig davon, ob der Unzuchtpartner
bereit ist, die Frau zu heiraten, weil der Verlobte sie nicht zurück in die Ehe nehmen
will, kann es sogar zur Eheschließung kommen. Der ehemalige Gatte erhält die
Braut- bzw. Ehegabe zurück.
Ganz anders verhält es sich, wenn die Gatten bereits in einer ehelichen Verbin-
dung leben. Mit äußerstem Nachdruck verweisen die Texte immer wieder auf die
Unauflöslichkeit der ehelichen Gemeinschaft, die für alle Beteiligten unterschiedli-
che Folgen hat. Auf jegliches außereheliche Geschlechtsverhältnis einer verheirate-