VI.Inzest
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schehen und oben bereits repetiert worden.^ Vielmehr soll die Verknüpfung von
Verwandtschaftsbildung und Inzestvorschriften in ihren unterschiedlichen Facet-
ten in den Blick genommen werden. Welche Personen sind mit welchen Begrün-
dungen vom Inzest betroffen?
In einem ersten Schritt soll problematisierend die im Frühmittelalter vorherr-
schende Idee von Verwandtschaft betrachtet werden. Geben die Texte Auskunft da-
rüber, wer als verwandt zu bezeichnen ist? Zweitens soll der Inzest auf männliche
und weibliche Tabupersonen hin untersucht werden. Näherhin heißt das: Welchem
Geschlecht gehören die tabuisierten Personen an? Welche Personen weiblichen Ge-
schlechts, die unter das Inzesttabu fallen, korrespondieren mit welchen auf männli-
cher Seite? Und weiter gefragt: Mit welchen Konsequenzen müssen die jeweiligen
Geschlechter im Falle eines Verstoßes rechnen? Wird der inzestuöse Geschlechts-
verkehr mit einer Person der mütterlichen Verwandtschaftslinie als genauso ge-
fährlich eingestuft wie der mit einer der väterlichen? Zudem ist zu klären, ob die
Texte selbst Begründungen für das Inzesttabu finden und wenn ja, welche und ob
auch sie die Zusammenhänge zwischen Verwandtschaftsdenken und Inzesttabu
konstruieren. Abschließend soll ein kurzer Blick auf die bewusste und aktive Betei-
ligung am Delikt von Mann und Frau sowie deren Verwandten vor dem Hinter-
grund des frühmittelalterlichen Eheverständnisses gerichtet werden.
Wenden wir uns zunächst dem Grundprinzip zu.
2. Inzesttabu und Verwandtschaftskonstruktion
Betrachtet man das Phänomen des Inzestes in den Quellen zunächst rein quantita-
tiv, so weisen die Konzilien einen massiven, ja geradezu sprunghaften Anstieg der
Vorschriften bereits in der merowingischen Epoche auf. Dies geht soweit, dass die
Konzilien - was eheliche Fragen angeht - fast ausschließlich von diesem Problem
bestimmt werden. »Fragen nach Anerkennung, Durchsetzung und Ausdehnung
der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft [beherrschen] eindeu-
tig das Feld der synodalen eherechtlichen Bemühungen.«^ Die Konzilien und Kapi-
tularien der karolingischen Epoche sowie die Bußbücher greifen dann im Großen
und Ganzen auf die Vorschriften der Konzilien des 6. und 7. Jahrhunderts zurück
und fügen dem dort aufgeführten Personenkreis nur geringfügig einzelne dem
Heiligkeitsgesetz entstammende Personengruppen hinzu. ' Das Spektrum an kon-
kret benannten Subjekten verändert sich jedoch kaum. Entscheidende Wandlungen
zeigen sich hingegen hinsichtlich der Verwandtschaftsgrade. Insgesamt gesehen ist
festzuhalten, dass das Inzestthema in der karolingischen Gesetzgebung längst nicht
mehr das vorherrschende Thema darstellt. Das dürften auch die übrigen Kapitel
dieser Studie bereits gezeigt haben.
35 Das hat Paul Mikat in vorbildlicher Weise geleistet und im Anschluss an ihn Hubertus Lutter-
bach sowie Stefan Chr. Saar weiter entfaltet.
36 MiKAT, Inzestverbote, S. 869.
37 Vgl. LuTTERBAcn, Sexualität, S. 168f, 174.
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schehen und oben bereits repetiert worden.^ Vielmehr soll die Verknüpfung von
Verwandtschaftsbildung und Inzestvorschriften in ihren unterschiedlichen Facet-
ten in den Blick genommen werden. Welche Personen sind mit welchen Begrün-
dungen vom Inzest betroffen?
In einem ersten Schritt soll problematisierend die im Frühmittelalter vorherr-
schende Idee von Verwandtschaft betrachtet werden. Geben die Texte Auskunft da-
rüber, wer als verwandt zu bezeichnen ist? Zweitens soll der Inzest auf männliche
und weibliche Tabupersonen hin untersucht werden. Näherhin heißt das: Welchem
Geschlecht gehören die tabuisierten Personen an? Welche Personen weiblichen Ge-
schlechts, die unter das Inzesttabu fallen, korrespondieren mit welchen auf männli-
cher Seite? Und weiter gefragt: Mit welchen Konsequenzen müssen die jeweiligen
Geschlechter im Falle eines Verstoßes rechnen? Wird der inzestuöse Geschlechts-
verkehr mit einer Person der mütterlichen Verwandtschaftslinie als genauso ge-
fährlich eingestuft wie der mit einer der väterlichen? Zudem ist zu klären, ob die
Texte selbst Begründungen für das Inzesttabu finden und wenn ja, welche und ob
auch sie die Zusammenhänge zwischen Verwandtschaftsdenken und Inzesttabu
konstruieren. Abschließend soll ein kurzer Blick auf die bewusste und aktive Betei-
ligung am Delikt von Mann und Frau sowie deren Verwandten vor dem Hinter-
grund des frühmittelalterlichen Eheverständnisses gerichtet werden.
Wenden wir uns zunächst dem Grundprinzip zu.
2. Inzesttabu und Verwandtschaftskonstruktion
Betrachtet man das Phänomen des Inzestes in den Quellen zunächst rein quantita-
tiv, so weisen die Konzilien einen massiven, ja geradezu sprunghaften Anstieg der
Vorschriften bereits in der merowingischen Epoche auf. Dies geht soweit, dass die
Konzilien - was eheliche Fragen angeht - fast ausschließlich von diesem Problem
bestimmt werden. »Fragen nach Anerkennung, Durchsetzung und Ausdehnung
der Eheverbote wegen Verwandtschaft und Schwägerschaft [beherrschen] eindeu-
tig das Feld der synodalen eherechtlichen Bemühungen.«^ Die Konzilien und Kapi-
tularien der karolingischen Epoche sowie die Bußbücher greifen dann im Großen
und Ganzen auf die Vorschriften der Konzilien des 6. und 7. Jahrhunderts zurück
und fügen dem dort aufgeführten Personenkreis nur geringfügig einzelne dem
Heiligkeitsgesetz entstammende Personengruppen hinzu. ' Das Spektrum an kon-
kret benannten Subjekten verändert sich jedoch kaum. Entscheidende Wandlungen
zeigen sich hingegen hinsichtlich der Verwandtschaftsgrade. Insgesamt gesehen ist
festzuhalten, dass das Inzestthema in der karolingischen Gesetzgebung längst nicht
mehr das vorherrschende Thema darstellt. Das dürften auch die übrigen Kapitel
dieser Studie bereits gezeigt haben.
35 Das hat Paul Mikat in vorbildlicher Weise geleistet und im Anschluss an ihn Hubertus Lutter-
bach sowie Stefan Chr. Saar weiter entfaltet.
36 MiKAT, Inzestverbote, S. 869.
37 Vgl. LuTTERBAcn, Sexualität, S. 168f, 174.