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Weber, Ines [Editor]; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Ein Gesetz für Männer und Frauen: die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur — Mittelalter-Forschungen, Band 24,1: Ostfildern, 2008

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.34905#0372

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XII. Die innere Logik von Sünde, Schuld und Strafe

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2. Die Art der Bußleistung als Indikator für das
frühmittelalterliche Bußverständnis

a) Das Fortwirken der altkirchlichen Bußwerke
Bislang hat vornehmlich die Tarifierung der Fastenbuße an sich im Vordergrund
der Überlegungen gestanden. Welche Bedeutung dieselbe innerhalb des frühmit-
telalterlichen Bußsystems hat, welche innere Logik Fasten und Taxierung aufwei-
sen und welche Rückschlüsse sich für das frühmittelalterliche Verständnis der
Buße ziehen lassen, konnte Hubertus Lutterbach in dem erwähnten Aufsatz zur
Fastenbuße für die frühmittelalterlichen Bußbücher aufzeigenV Bereits Bernhard
Poschmann hatte das Fasten als »Hauptbuße« bezeichnet und vom Gegenmittel für
die Sünde schlechthin gesprochen/" sodass pacwzYcrc nicht nur >büßen<, sondern
schlechthin Tastern bedeutet."" Hubertus Lutterbach entwickelt das System weiter,
wenn er das Fasten das »dominierende Bußmittel«"" nennt, das mittelalterlich sogar
zur »Einheitsbuße« wird."" Er konstatiert, dass beide Elemente - Fasten und Tarifie-
rung - zusammengenommen »einen drastischen Einschnitt« nicht nur in der Tradi-
tion des Fastens als Bußleistung, sondern in der gesamten Logik des christlichen
Bußsystems markieren, und stellt damit nochmals den Bruch von der Alten Kirche
zum frühen Mittelalter heraus. Weil das Fasten den Verzicht auf kultisch unreine
Speisen signalisiert,"^ der frühmittelalterliche Mensch sich zudem vor jeglicher kul-
tischer Verunreinigung schützen muss und die Bußbücher vornehmlich das Fasten
und den Verzicht auf Geschlechtsverkehr als Sühneleistung verordnen, muss im
Umkehrschluss jede Sünde eine kultische Befleckung hervorrufen. Anders formu-
liert: Wenn die in den Bußbüchern genau beschriebenen Speisetabus einzig der
Vermeidung der kultischen Befleckung dienen, so muss deren Entsagung zur kulti-
schen Reinigung eines durch Sünde befleckten menschlichen Körpers führen. Im
Hintergrund steht die anhand der Prologe der Paenitentialien nachgewiesene Idee,
dass jede mit dem Körper vollbrachte Sünde auch mit demselben ausgelöscht, das
heißt gesühnt werden muss."" Folglich wird der altkirchlich maßgebliche »Grund-
satz coTÜrana ccuümrns sawam«"" im frühen Mittelalter dahingehend interpretiert,
dass die durch Sünde hervorgerufene kultische Verunreinigung mit dem Fasten,
29 Vgl. LuTTERBAcn, Fastenbuße.
30 PoscHMANN, Kirchenbuße im frühen Mittelalter, S. 22.
31 Wenn andere Bußstrafen verordnet werden, wird das eigens benannt (vgl. ebd., S. 12).
32 LuTTERBAcn, Fastenbuße, S. 427.
33 Ebd., S. 400.
34 »Die Bußbücher verstehen das Vollfasten ebenso wie das Fasten bei gezielt zugestandenen bzw.
verbotenen Lebensmitteln in besonderer Weise als Maßnahme der kultischen Reinigung« (ebd.,
S. 437).
35 Hubertus Lutterbach führt verschiedene Paenitentialien an, in denen auf die folgende Weise ar-
gumentiert wird: »Der Apostel hat gesagt: >Wer durch den Körper sündigt, möge sich auch
durch den Körper bessern. Er soll das tun durch Fasten, Nachtwachen und Gebete zum Herrn<«
(ebd., S. 429).
36 Ebd., S. 428.
 
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